Es gibt Bücher, die werden schon deshalb zu Bestsellern, weil sie ein Thema behandeln, das die Menschen aufregt und fasziniert. Die 1999 ausgegrabene Himmelsscheibe vom Mittelberg bei Nebra gehört zu diesen Dingen. Genauso wie das seltsame Verhalten von Raubgräbern, Hehlern, Bürgermeistern, Rechtsanwälten und bayerischen Forschern drumherum, die aus dem Fund einen der spektakulärsten Kriminalfälle der Archäologie gemacht haben.

Einer, der all diese Vorgänge praktisch von Anfang an begleitet hat, ist der Journalist Thomas Schöne, der sich auch die vielen Marathonsitzungen des Prozesses gegen die Leute angetan hat, die versucht hatten, die Himmelsscheibe gewinnbringend zu veräußern.

Schon der Zugriff mit Unterstützung der Schweizer Polizei war filmreif – wie ausgedacht für einen echten „Tatort“. Freilich ohne einen gestressten Kommissar – dafür mit einem Landesarchäologen, der mit einigem Recht darum bangte, dass der wichtigste Fund aus der mitteldeutschen Bronzezeit für immer in den Abgründen des Schwarzmarktes verschwinden könnte.

Schatzregal und Raubgräber

Dass der damals noch jung im Amt agierende Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Harald Meller, regelrecht im Fieber war, hatte natürlich damit zu tun, dass selbst die wenigen Fotos des Schatzfundes vom Mittelberg verrieten, dass dieser Fund einmalig war und eine Geschichte erzählen würde, die alle gefundenen Schwerter, Spangen und sonstigen Artefakte aus der Bronzezeit nicht erzählten.

Und dass Schöne sich in weiten Teilen des Buches vor allem mit dem Raubfund, dem Weg der Scheibe, den Ermittlungen des LKA, den seltsamen Auftritten diverser Rechtsanwälte und Forscher und sehr ausführlich mit dem Prozess beschäftigt, hat natürlich damit zu tun, dass die Erstauflage des Buches 2008 erschien.

Da war das alles noch frisch, hatte über Jahre die Schlagzeilen der Zeitungen bestimmt. Und vor allem die Forscher aus der Gruppe um Harald Meller in Atem gehalten, die auch für das Gericht nachweisen mussten, dass die Scheibe echt ist und tatsächlich 3.600 Jahre alt.

Und dass auch der dann durch ein Geständnis eines der Raubgräber bekannt gewordene Fundort auf dem Mittelberg stimmt, etwas, was die Verteidiger vor Gericht besonders vehement versuchten, in Zweifel zu ziehen.

Denn nur wenn dieser Fundort auch der richtige war, unterlag der Fund dem in Sachsen-Anhalt geltenden Schatzregal, gehörte also von vornherein dem Land Sachsen-Anhalt. So ein Schatzregal gilt in dreizehn Bundesländern, im Osten sowieso komplett.

Was auch dazu führt, dass die nach 1990 in Scharen in den Osten einfallenden Raubgräber die Herkunft ihrer Funde gründlich zu verschleiern suchten, wenn sie diese auf dem Schwarzmarkt für archäologische Funde anboten.

Und dort werden teilweise horrende Summen geboten für besondere Fundstücke, die dann in den Tresoren und Schatzkammern reicher Sammler verschwinden und für die Forschung verloren sind. Denn wenn zu diesen Fundstücken der tatsächliche Fundort fehlt, ist das Stück für die Forschung wertlos.

Gestohlene Geschichte

Und das bedeutet, wie Schöne und Meller immer wieder betonen, auch den Verlust ganzer Teile der Geschichte, die von der Archäologie nicht mehr erzählt werden können. Und die mitteleuropäische Bronzezeit scheint das besonders betroffen zu haben.

Viele wertvolle Fundgebiete in Ostdeutschland wurden mit Metalldetektoren regelrecht abgegrast und geplündert, ähneln – wie auch der Mittelberg – einem Schweizer Käse. Wo die Fundstücke abgeblieben sind, wird niemand mehr rekonstruieren können.

Auch nicht die deutschen Museen, die solche Stücke dann oft mit falscher Herkunftsangabe aufgekauft haben. Ganz zu schweigen davon, dass ihnen jeglicher Fundzusammenhang am Fundort fehlt, denn bei archäologischen Ausgrabungen werden eben nicht nur die kostbarsten Stücke geborgen, sondern wird jede Information gesammelt, die im Erdreich ringsum zu finden ist.

Die Himmelsscheibe von Nebra: Bestätigung des Fundortes | Museum exklusiv

Und Harald Meller ahnte schon, dass die Himmelsscheibe mehr Information bieten würde, als auf den ersten Fotos, die er zu sehen bekam, zu erkennen war. Dass einige Kollegen da in Bayern neidisch werden würden, ahnte er anfangs nicht und schüttelte später nur den Kopf darüber, wie sie versuchten, die Echtheit der Scheibe in Zweifel zu ziehen, ohne sie je in Händen gehabt zu haben.

Forscher sind auch nur Menschen. Auch das gehört zur Geschichte. Und manche vergessen alle wissenschaftlichen Standards, wenn sie glauben, andere würden zu viel des Ruhmes ernten.

Die Entdeckung einer ganzen Welt

Und was die Scheibe alles verriet, hat Harald Meller ja inzwischen zusammen mit Kai Michel in zwei reich illustrierten Büchern beschrieben: „Griff nach den Sternen“ und „Die Himmelsscheibe von Nebra“. Bücher, die erstmals kompakt sichtbar machen, dass die Scheibe ganz und gar nicht zufällig in Mitteleuropa gefunden wurde – und das in einem Gebiet, das reich ist an Hügelgräbern und Artefakten der Bronzezeit.

Die Scheibe ermöglichte erstmals auch, nicht nur die Beziehungen zwischen einigen der imposantesten Fundstätten in Mitteldeutschland herzustellen und dahinter ein frühes Reich sichtbar zu machen, das über Handelswege mit anderen Regionen Europas eng vernetzt war.

Auf einmal bekommen die alten Fürstengräber im Bornhöck und in Leubingen einen völlig anderen Stellenwert, werden Handelsrouten für Gold, Kupfer und Zinn sichtbar, gibt es auffallende Verbindungen ins Babylonische Reich.

Und weitere Funde, die sich in dieselbe Zeit datieren lassen, machen erstmals Hierarchien sichtbar, die man in dieser frühen Bauerngesellschaft so bislang nicht nachweisen konnte. Und die archäologischen Forschungen nach 1990 ermöglichten es auch, uralte Kreisanlagen wie die in Pömmelte und Goseck zu finden, die möglicherweise – genauso wie die Himmelsscheibe – astronomischen Zwecken dienten.

Auf einmal wird auch die Himmelsvorstellung der Menschen vor 3.600 Jahren sichtbar. Und die Forschungen mit modernsten Mitteln an der Himmelsscheibe sind noch lange nicht beendet.

Thomas Schöne kann sie im Grunde nur gerafft erzählen. Sonst hätte es das Buch in der nunmehr fünften und erweiterten Auflage endgültig gesprengt. Denn längst ist die Himmelsscheibe, deren Replik im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle gezeigt wird, zu einem Besuchermagneten geworden.

Genauso wie der touristisch ausgelegte Pfad der Himmelswege, mit dem man sowohl den Mittelberg mit dem Ausguck und dem Fundort besuchen kann, als auch die Arche Nebra mit ihrer großen astronomischen Inszenierung und die Ringheiligtümer in Pömmelte und Goseck.

Das ist deutschlandweit tatsächlich etwas Einmaliges und sichtlich für manchen Forscher in Süddeutschland ein Problem, das schwer zu verdauen ist. Denn damit wird der mitteldeutsche Raum erkennbar als einer der frühesten Hotspots menschlicher Kultur in Deutschland. Nirgendwo in Deutschland kann man das so direkt und anschaulich erleben.

Ein grelles Licht auf eine verborgene Szene

Wobei Schöne auch etwas betont, was in den ganzen Affären rund um den Fund noch viel wichtiger war: Der Fall warf ein grelles Licht auf die deutsche Raubgräberszene, die Hehler und die dunklen Pfade, auf denen die Zeugen unserer Geschichte geplündert und beiseite geschafft werden. Und zwar ziemlich ohne Aufsehen bis 2002, bis Harald Mellers Sturheit damit belohnt wurde, dass der Fund vom Mittelberg ins Landesmuseum von Sachsen-Anhalt kam.

Und natürlich diskutiert er den Sinn des Schatzregals, das ja scheinbar dafür sorgt, dass die Raubgräber die Fundorte verschleiern. Aber die Begründungen ziehen nicht. Denn dass sie um die Unrechtmäßigkeit ihrer Taten wussten und trotzdem so handelten, wurde Raubgräbern und Hehlern beim Prozess in Halle auch vom Richter deutlich gemacht.

Die Leute mit ihren Metalldetektoren wissen, dass sie andere bestehlen – in diesem Fall eben nicht nur Länder oder Landesmuseen, sondern uns selbst. Denn das sind die Spuren unserer Geschichte. Und gerade die Himmelsscheibe zeigt, was für ein riesiges Stück Geschichte einfach im Nirwana verschwunden wäre, wäre der Hortfund an irgendeinen Sammler irgendwo in der Welt verkauft worden.

Erst mit dem, was die Bronzescheibe den Wissenschaftlern verriet, bekam Mitteldeutschland seinen auffälligen Platz auf der Landkarte der Bronzezeit – korrespondiert mit Babylon, Mykene und Stonehenge. Und das Bild des Europas vor 3.900 bis 3.600 Jahren wurde komplexer, auch weil sich für die Forscher jetzt erst richtig lohnte, die Wege der Metalle nachzuverfolgen.

Auf Himmelswegen

Und natürlich konnten die Forscher nun die Frage zu lösen zu versuchen, warum die eindrucksvolle Himmelsscheibe dann auf dem Mittelberg deponiert wurde. Was ist da passiert? – Und auch wenn sich die Geschichte fast gänzlich auf Sachsen-Anhalt konzentriert, darf man ja nicht vergessen, dass auch Sachsen Teil dieser Welt war, genauso wie Thüringen.

Die Wege waren schon damals kurz. Himmelswege auch damals, denn der Himmel bestimmte das Leben der Menschen, die von ihrer Bauernwirtschaft leben mussten, noch in einem ganz anderen Maß als wir heute.

Goseck und Pömmelte waren auch Observatorien, genauso, wie sie Heiligtümer waren und wahrscheinlich auch Orte für die kultischen Feste der Menschen, die sich hier zu den großen Himmelsdaten trafen.

Die Himmelsscheibe macht ihre Vorstellung von der Welt in beeindruckender Weise sichtbar. Auch wenn ihre Funktion als Kalender wohl nur den Eingeweihten zugänglich war, die ihre Macht auch auf der Kenntnis der Himmelserscheinungen aufbauten.

Auch deshalb endet im Grunde der eine Krimi um die Himmelsscheibe, in dem die menschlichen Leidenschaften tobten, im Jahr 2008, während die Jahre danach die Faszination der Scheibe und das, was sie zu erzählen hat, erst so richtig sichtbar werden ließen.

Das Buch fasst im Grunde alles zusammen, was es zum ersten Krimi-Teil mit „Raubgräbern, Hehlern und Gelehrten“ zu wissen gibt, ergänzt um die wichtigsten Ereignisse und aufsehenerregenden Ausstellungsreisen bis 2021.

Ein Buch, in dem Schöne noch einmal zum Mitfiebern einlädt, denn die Angst, dass dieser einmalige Fund verloren gehen könnte, war real. Und gerade Harald Meller muss sie massiv gespürt haben in den Tagen, als er fieberhaft den Kontakt zu den Leuten suchte, die die Scheibe zwischenzeitlich bei sich hatten.

Thomas Schöne Tatort Himmelsscheibe Mitteldeutscher Verlag, Halle 2022, 14 Euro.

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