Ist das nun der Bericht eines Scheiterns? Oder einer darüber, wie mühsam es ist, eine von falschem Marktentwicklungen deformierte Politik wieder auf das richtige Gleis zu setzen? Es ist die Geschichte der Zukunftskommission Landwirtschaft, die noch Bundeskanzlerin Angela Merkel 2019 eingesetzt hat, um die verfahrene Landwirtschaftspolitik in Deutschland aus der Sackgasse zu bekommen. 2021 legte die Kommission ihren ersten Bericht vor. Und dann passierte: nichts.

Wie so oft, wenn von der Bundesregierung eingesetzte, hochkarätige Kommissionen mit unabhängigen Fachleuten konkrete Vorschläge unterbreiten. Fachleute, die aber auch aus ihrer eigenen Arbeit meist schon wissen, wie frustrierend solche Kommissionen sind und dass das am Ende verfasste Papier, das realistische Lösungen aufzeigt, dann doch meist an der umtriebigen Lobbyarbeit von diversen Politiker/-innen scheitert, die am elenden status quo nichts geändert haben wollen.

Das Wasser bis zum Hals

So passierte es auch dem ersten Bericht der Zukunftskommission Landwirtschaft, der 2021 – noch in den letzten Monaten von Merkels Amtszeit – vorgestellt wurde. Aber schon da war spürbar, dass sich die zuständige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner nicht trauen würde, das ganze Paket umzusetzen. Sie hätte sich damit mit Wirtschaftsverbänden anlegen müssen, die mit dem miserablen Zustand der Gegenwart eine Menge Geld verdienen.

Und denen das Leid der Bauern genauso egal ist wie es die Wünsche der Kunden sind, die – Umfragen bestätigen es immer wieder – gesunde Tierhaltung genauso finden wie eine umweltschützende Landwirtschaft.

Fast vergessen ist, dass dem schon 2019 Bauerndemonstrationen vorausgingen, weil schon damals vielen Landwirten das Wasser bis zum Hals stand. Denn sie sind es nicht, die die Preise auf dem Markt bestimmen, für den sie produzieren. Die Preise bestimmen die großen Einzelhandelsketten und Nahrungsmittelkonzerne, die selbst die Lebensmittel zu Dumping-Waren gemacht haben.

Dieser Preisdruck landet ungefedert bei den Bauern, die gezwungen sind, so billig zu produzieren, dass sie bestenfalls gerade so über die Runden kommen. Es ist ein System, das auf große landwirtschaftliche Industriebetriebe zugeschnitten ist, wie sie immer mehr die ländlichen Räume dominieren. Längst kaufen Konzerne und Stiftungen die landwirtschaftlichen Flächen zu Preisen auf, die kein Bauer bezahlen könnte.

Aber statt das Papier als Arbeitsgrundlage zu nehmen, blieb es erst einmal schön in der Vitrine. Das ist stets der beste Weg, die Umsetzung eines notwendigen Programms noch einmal zu verzögern.

Zweiter Bericht im November 2024

Die Kommission wurde nicht aufgelöst, auch wenn etliche Mistreiter zutiefst enttäuscht von Bord gehen wollten. Sie setzten sich auch unter der neuen Regierung noch einmal zusammen und verfassten ein neues Papier, das nun im November 2024 an die Bundesregierung übergeben wurde. Just wieder zu einem Zeitpunkt, an dem weder der noch amtierende Bundeskanzler noch sein Landwirtschaftsminister noch handlungsfähig waren, in der Landwirtschaft das Ruder herumzureißen.

Wobei Rainer Münch und Ludger Schulze Pals auch zu dem Schluss kommen, dass so ein Projekt nicht von einer Regierung oder Partei allein gestemmt werden kann. Dazu sind viel zu viele Menschen involviert und zu viele Interessen berührt. Es ist ein Projekt, das über die Legislatur und den Tellerrand der Parteien hinaus umgesetzt werden muss. Denn eins darf nicht wieder und wieder passieren: Dass diejenigen, die am Ende sowieso die Last tragen, unter den Aufgaben (finanziell) zusammenbrechen.

Das Buch endet terminlich mit dem 17. September 2024, hat also den zweiten Bericht noch nicht zum Inhalt. Aber es weist auch darauf hin, dass eine mögliche Chance, dass die Landwirtschaft endlich auf einen neuen Kurs kommt, wohl derzeit bei der EU-Kommission liegt, wo einer der Akteure aus dem deutschen Kommissions-Verfahren aktiv mitwirkt: der bis 2023 als Vorsitzender der Zukunftskommission agierende Prof. Peter Strohschneider.

Der größte Hebel bei einem Umbau der Landwirtschaft sind nämlich die Finanzmittel aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), die bislang immer nur nach Fläche verteilt wurden und damit vor allem den großen Agrarfabriken zugutekamen. Seit Kurzem werden die Mittel nicht mehr derart mit der Gießkanne verteilt, sondern teilweise gezielt für Umweltschutzmaßnahmen in den Betrieben.

Umweltproblem Landwirtschaft

Aber das kann nur ein Anfang sein. Denn auch in der Zukunftskommission stritt niemand mehr ab, dass die heutige industrialisierte Landwirtschaft ein Hauptverursacher von Umweltschäden ist – Motor für ein massenhaftes Artensterben, für eine Zerstörung der fruchtbaren Böden, eine Belastung des Grundwassers und der fließenden Gewässer, für zunehmende Dürre- und Überschwemmungsprobleme.

Im Grunde läuft auch hier die Uhr und alle Veränderungen passieren zu langsam. Viel zu langsam. Das lassen Münch und Schulze Pals immer wieder durchblicken, wenn sie einzelne Mitglieder der Kommission porträtieren.

Und zumindest andeuten, wie intensiv die Debatten waren und wie sich Peter Strohschneider als Moderator ins Zeug legte, um die scheinbar unvereinbaren Sichtweisen in der Kommission zusammenzuführen. Denn hier saßen nicht nur die Präsidenten der diversen Bauernverbände, hier saßen auch die Vertreter der Lebensmittelindustrie, aus Umwelt und Tierschutz und aus der Wissenschaft.

Es ist sowieso schon verblüffend, dass sie sich zweimal auf gemeinsame Papiere einigen konnten, in denen auch Themen angesprochen wurden, die auf den Bauerndemos der letzten Jahre nicht zu hören waren. Aus gutem Grund nicht: Die Bauern thematisierten ihre akuten Probleme. 2023 ja bekanntlich den drohenden Wegfall der Subvention für Agrardiesel, der vielen kleineren Betrieben den Garaus zu machen drohte.

Wenn man von höherer Warte blickt, wird aber sichtbar, dass es um viel mehr geht. Der Bericht der Zukunftskommission behandelt das zum Beispiel im Kapitel „Resilienz landwirtschaftlicher Betriebe“, also ihrer Widerstandsfähigkeit, auch die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.

Was auch wieder mit dem Kapitel „Biodiversität in der Landwirtschaft“ zu tun hat und dem schon lange geforderten „Umbau der Tierhaltung“. Aber all das lässt sich nur umbauen, wenn sich auch die Rahmenbedingungen ändern – die Bauern ihre dann zwangsläufig teureren Produkte auch loswerden, die Kunde also mitspielen, aber auch die großen Handelsketten. Und wenn die GAP-Mittel genau in die Betriebe fließen, die sich auf den Weg zu einer umweltschonenden Landwirtschaft gemacht haben.

Warum ist wieder nichts passiert?

Aber wie gesagt: Die beiden Autoren lassen hinter dem Wort Scheitern noch ein Fragezeichen stehen, haben eine kleine Hoffnung, dass die wichtigsten Regelungen nun über die EU kommen, wenn schon die deutschen Landwirtschaftsminister sich nicht trauen, über die notwendigen Änderungen auch zu reden. Am Ende überlegen die beiden Autoren, ob sich die „demokratische Entscheidungsstrukturen“ in Deutschland nicht ändern müssten, damit Veränderungen erst möglich werden.

Aber das ist vielleicht der falsche Fokus. Weil die großen Bremsklötzer eher im Lobbyismus liegen und der massiven Beeinflussung der Politik durch große Konzerne, die mit dem derzeitigen System Milliardengewinne einfahren, auf die sie nicht verzichten wollen.

Aber es stimmt auch, dass unter der Ampelregierung ebenfalls zu wenig passiert ist und die Gelegenheit versäumt wurde, wichtige Weichenstellungen in der Landwirtschaft vorzunehmen. Was nur zum Teil daran liegt, dass der Bundesregierung seit 2023 finanziell die Hände gebunden waren und ein neoliberaler Koalitionspartner mit seiner Schuldenbremsen-Politik verhindert hat, dass diese Regierung überhaupt noch etwa gestalten konnte.

So bleibt nicht nur im Buch das Ende offen. Genauso wie in der Klimapolitik, die seit 20 Jahren von Aufschieberei geprägt ist, als würden sich die Probleme von allein lösen. Was sie aber nicht tun. Im Gegenteil: Sie verschärfen sich. Und im Fall der Landwirtschaft geht es direkt um unser aller Ernährung. Nur wird Aussitzen und Vertagen von den Wählern in Deutschland leider honoriert. Und dabei liegen Konzepte auf dem Tisch – erarbeitet von einer Kommission mit Mitgliedern, die sich für gewöhnlich heftig befehden, die aber hier all ihre Grips zusammengeworfen haben und gezeigt haben: Es geht, wenn nur endlich einmal jemand den Mumm hat, aus so einem Bericht eine konsistente Politik zu machen.

Rainer Münch, Ludger Schulze Pals „Brücken bauen“ Landwirtschaftsverlag, Münster-Hiltrup 2025, 24 Euro.

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