Als das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) 2013 in Leipzig gegründet wurde, war eigentlich schon klar, dass die Biodiversitätsforschung eines der Mega-Themen der Gegenwart sein würde. Und dass es dabei um mehr gegen würde als um artenreiche Tümpel und bunte Wiesen. So langsam schält sich auch eine erste, wichtige Erkenntnis heraus: Artenreichtum sichert unsere Lebensgrundlage.

An dem Forschungsverbund sind gleich drei große Hochschulzentren in Mitteldeutschland beteiligt: Halle, Jena und Leipzig. Und etliche Forschungsthemen haben sich mittlerweile um die Frage gruppiert: Was kann Biodiversität zum Schutz von Ökosystemen unter außergewöhnlichen Klimaereignissen beitragen?

Die Antwort auf diese Frage ist enorm wichtig angesichts des anhaltenden Artensterbens und des sich verändernden Klimas, welches zunehmend extreme Wetterumschwünge mit sich bringt.

Oder sollte die Frage nicht eigentlich lauten: Kann es sein, dass Artenreichtum Ergebnis einer Millionen Jahre dauernden Naturgeschichte ist, in der sich gerade die artenreichsten und komplexesten Lebensgemeinschaften auch als die stressresistentesten erwiesen haben? Dass also nicht einzelne Arten überlebt haben, auch wenn die Geschichte der Spezies immer an einzelnen Arten dargestellt wird, sondern komplexe Bio-Gemeinschaften?

Aber wie untersucht man so etwas? Es gibt ja nun einmal keine versteinerten Lebensgemeinschaften – zum Beispiel aus dem Zeitalter der Saurier.

Gras wäre doch ein geeigneter Untersuchungsgegenstand, fanden ein paar IDiV-Forscher: Es sieht so hübsch einfach aus, ist aber bei genauerem Betrachten ein höchst komplexer Lebensraum.

Mehr als 40 Graslandexperimente in Europa und Nordamerika haben sich jetzt für diese aktuelle Untersuchung zusammengetan – darunter maßgeblich Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv). Und die Studie, die sie jetzt im “Nature” veröffentlicht haben, bestätigt: Ökosysteme mit hoher Artenvielfalt zeigen bei extremen Klimaereignissen mehr Widerstandskraft.

An der Untersuchung waren, unter der Leitung von Dr. Forest Isbell von der University of Minnesota, mehr als drei Dutzend Forscher aus den USA, Deutschland, Großbritannien, Irland, Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden, Tschechien und Japan beteiligt. Insgesamt 46 Graslandexperimente in Europa und Nordamerika wurden über mehrere Jahre beobachtet und die gewonnenen Daten analysiert. Die Wissenschaftler ordneten zunächst jedes untersuchte Jahr auf einer Fünf-Punkte-Skala von „extrem trocken“ bis „extrem feucht“ ein. Dann untersuchten sie die oberirdische Biomasseproduktion der Pflanzen pro Jahr bei höherer und bei niedrigerer Biodiversität.

Das Ergebnis war dann eindeutig: Je größer die Zahl der dort wachsenden Pflanzenarten ist, umso niedriger sind die Auswirkungen von extremen Feucht- oder Trockenperioden auf die Biomasseproduktion des Graslandes. In die Studie eingeflossen sind auch Daten aus dem Jena-Experiment: Seit 2002 wird an der Saale in Jena die Vielfalt unterschiedlich artenreicher Wiesen untersucht.

“Die aktuelle Studie trägt zu einem besseren Verständnis bei, welche Rolle Biodiversität im Kampf der Natur gegen unvorhersehbare Ereignisse spielt“, erklärt dazu Nico Eisenhauer, Mitinitiator und -autor der Studie und Professor am iDiv sowie an der Universität Leipzig. Für Eisenhauer zeigen die Ergebnisse „sehr eindrucksvoll, dass die Zerstörung der Umwelt das natürliche Gleichgewicht unserer Ökosysteme nachhaltig negativ beeinflusst.“

Wobei “Zerstörung der Umwelt” eher die eigentlichen Vorgänge in den einstmals hoch komplexen Landschaften der von Menschen besiedelten Kontinente vernebelt, denn artenreiche Biotope werden ja in der Regel vernichtet, um an ihrer Stelle Monokulturen und intensive Landwirtschaftsformen anzulegen. Artenreiche Wälder werden abgefackelt, um neue Anbauflächen für exportträchtige Landwirtschaftsprodukte anzulegen. Aber auch kleine, einstmals zum europäischen Kulturland gehörende Biotope werden untergepflügt, entwässert oder abgeholzt, um immer größere Feldkulturen anzulegen. In Sachsen führt das mittlerweile zum massiven Rückgang aller Tierarten, die vormals noch ausreichend Schutzstreifen zwischen den intensiv bearbeiteten Feldern gefunden haben.

Dabei puffern artenreiche Lebensgemeinschaften extreme Wetterereignisse deutlich besser ab.

Während extremer Wetterlagen war laut Studie die Produktivität in Pflanzengemeinschaften mit nur ein oder zwei Arten im Durchschnitt um 50 Prozent verändert. Wohingegen sie sich bei Gemeinschaften mit 16 oder 32 Arten nur halb so stark veränderte. Heißt im Klartext: Monokulturen wurden deutlich stärker geschädigt als die artenreicheren, naturbelasseneren Lebensräume.

“Wir Wissenschaftler suchen schon seit Jahrzehnten nach stabilisierenden Faktoren für Ökosysteme”, erklärt Eisenhauer. „Die vorliegenden Ergebnisse sollten uns Forschern und den politischen Akteuren vor Augen führen, wie sehr Biodiversität zur Stabilisierung unserer Ökosysteme beiträgt – und das angesichts des weltweiten Klimawandels.“

Nur scheint die Natur beim “Reparieren” der Schäden durch Extremereignisse nicht ganz so schnell zu sein, wie Menschen sich das so denken.

Denn die Resultate zeigen auch, dass die Biodiversität keinen besonders großen Einfluss darauf hat, wie schnell ein Gebiet nach einer Dürre oder Starkregenereignissen zur normalen Biomasseproduktion zurückkehrt.

Dylan Craven, Ko-Autor und iDiv-Postdoc, resümiert: „Als Herausforderung für die Zukunft bleibt zu erforschen, aufgrund welcher Faktoren – außer der Biodiversität – sich Ökosysteme nach extremen Wetterereignissen wieder erholen.“

Nur eines schält sich immer deutlicher heraus: Komplexe Lebensgemeinschaften sind gegen extreme Wetterereignisse widerstandsfähiger. Oder sollte man da lieber noch vorsichtig sein, denn wesentlicher Untersuchungsgegenstand waren ja nun einmal Grasländer, was die Forscher zumindest zu der Aussage bringt, “dass sich artenreiche Pflanzengemeinschaften insgesamt resistenter gegenüber äußeren Wettereinflüssen erweisen.”

Neben dem Forschungszentrum iDiv haben aus Deutschland auch die Universitäten Leipzig, Halle-Wittenberg, Jena, Bayreuth, Greifswald und die TU München sowie das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ an der Studie mitgearbeitet.

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