Als Ergänzung zu herkömmlichen Therapien gibt es für Trauernde, die beispielsweise den Verlust einer krebskranken Person nicht überwinden können, mittlerweile ein Angebot im Internet. Im ersten Teil des Interviews erklärt Anette Kersting, die Direktorin der Uniklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, wie genau die Onlinehilfe funktioniert und welche Erfahrungen ihr Team bislang damit gemacht hat.

Sie bieten für Menschen, deren Trauer sechs Monate nach dem Todesfall noch nicht nachgelassen hat, eine Internettherapie an. Ist das nicht etwas unpersönlich?

Das könnte man denken, weil sich Arzt und Patient gar nicht sehen. Unsere Erfahrungen zeigen aber das Gegenteil. Die Therapien, die wir durchführen, haben sehr persönliche Inhalte. Wir verschicken keine vorgefertigten Schriftstücke, sondern widmen uns den individuellen Problemen. In der Internettherapie sehen die Patienten die Therapeuten zwar nicht, aber das bietet ihnen die Möglichkeit, sich eine ideale Vorstellung von ihrem Therapeuten zu machen. Es entsteht eine enge persönliche Beziehung.

Wie finden Sie heraus, wer für eine Internettherapie geeignet ist?

Zunächst muss ein Fragebogen ausgefüllt werden. Damit möchten wir herausfinden, ob diejenigen, die sich dafür interessieren, tatsächlich diejenigen sind, die von dieser Therapie profitieren können. Es gibt auch Ausschlusskriterien: Wenn jemand akute Suizidgedanken hat, ist eine Internettherapie sicherlich nicht das Richtige.

Wie muss man sich den Ablauf der Therapie zeitlich und inhaltlich vorstellen?

Die Therapie dauert insgesamt fünf Wochen. Die Patienten erhalten währenddessen Informationen über Trauerverläufe und den Umgang mit Verlusten. Sie bekommen aber auch Aufgaben von uns, die sie an zwei Abenden in der Woche erledigen sollen. In den ersten beiden Wochen sollen sie sich an die Person erinnern, die sie verloren haben, und aufschreiben, was sie gerade über die Situation denken. Innerhalb von 24 Stunden bekommen die Patienten werktags eine individuelle Rückmeldung.

In den folgenden zwei Wochen werden die Betroffenen gebeten, sich vorzustellen, dass das, was sie selbst erlebt haben, einer Freundin oder einem Freund passiert wäre. Dieser fiktiven Person sollen sie zur „Unterstützung“ einen Text schreiben. Das ist eine gewisse Distanzierung. Auch hier gibt es dann eine individuelle Rückmeldung. In der letzten Woche geht es darum, auf die Therapie zurückzuschauen und einen Abschiedsbrief zu schreiben. Der kann an den Verstorbenen, die fiktive Person oder auch an uns gerichtet sein und soll dabei helfen, nach vorne zu blicken.

Mit der aktuellen Studie wollen Sie nachweisen, dass diese Therapieform für Trauernde wirkt, die eine Person durch eine hämatologische Krebserkrankung, also beispielsweise Leukämie, verloren haben. In der Vergangenheit haben Sie bereits ähnliche Studien durchgeführt. Worum ging es dabei?

Wir haben eine Internettherapie für Eltern entwickelt, die während der Schwangerschaft ein Kind verloren haben, und für Hinterbliebene, die jemanden durch einen Suizid verloren haben, und dabei nachgewiesen, dass diese Therapien helfen. Auch ein Jahr nach dem Ende der Behandlung gab es noch signifikante Verbesserungen der Trauersymptomatik. Das ist besonders schön, denn wenn es Patienten nach dem Ende der Therapie besser geht, ist das natürlich gut, aber wir möchten ja anhaltende Effekte erreichen.

War das Interesse zur Teilnahme an den Studien groß?

Es braucht eine gewisse Zeit, bis sich die Information, dass es ein solches Angebot gibt, verbreitet. Dadurch, dass es durch Drittmittel finanziert und von den Krankenkassen in der Regel nicht übernommen wird, endet es nach einer gewissen Zeit auch wieder. Bei der Internettherapie für Eltern, die ihr Kind verloren haben, hatten wir sehr viele Anfragen und haben mehr Patienten behandelt als wir eigentlich geplant hatten. Ähnliches gilt für die Angehörigen von Personen, die Suizid begangen haben.

Hinzu kommt, dass sich beide Gruppen nur sehr selten von sich aus in Psychotherapie begeben, doch die Internettherapie ist relativ anonym. Wir benötigen zwar Name, Anschrift und für Notsituationen die Adresse des Hausarztes, aber ansonsten muss niemand von der Therapie erfahren, nicht mal die eigene Familie. Die Schwelle, Hilfe zu suchen, ist also geringer.

Informationen zur Online-Trauertherapie

Der zweite Teil des Interviews erscheint am Dienstag, 27. Juni 2017 auf L-IZ.de.

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