Da ist etwas passiert in den vergangenen 40 Jahren, das nicht nur das Vertrauen in die Politik massiv geschädigt hat, sondern auch den Ruf der großen Wirtschaftsunternehmen regelrecht unterminiert hat. Und das, obwohl gerade bürgerliche Medien nur zu gern Heldengeschichten über die Macher in den Konzernvorständen schreiben. Oder gerade deshalb. Die Art der Selbst-PR ist gründlich nach hinten losgegangen.

Eine am Mittwoch, 23. Oktober, veröffentlichte Studie unter Leitung von Professor Ansgar Zerfaß von der Universität Leipzig offenbart ein hohes Maß an Misstrauen der Bevölkerung in großen europäischen Ländern (Deutschland, Großbritannien, Italien) gegenüber denjenigen, die das Bild von Unternehmen und anderen Organisationen in der Öffentlichkeit prägen.

Im Vergleich zu Italien und Großbritannien genießen Journalisten in Deutschland der Studie zufolge weiterhin einen Vertrauensvorschuss gegenüber den formalen Vertretern von Organisationen wie Top-Managern oder PR- und Marketingverantwortlichen, also jenen gegenüber, die dann in wirtschaftsnahen Medien so gern „die Wirtschaft“ genannt werden.

Aber alles „Greenwashing“ nutzt nichts: Die Bürger nehmen es den Konzern-Marketingleuten nicht mehr ab, dass sie Ökologie und Gesellschaft tatsächlich ernst nehmen. Und schon gar nicht, dass sie wirklich an Lösungen für all jene Probleme arbeiten, die einige von ihnen durch rücksichtsloses Wirtschaften verursacht haben und immer noch verursachen.

Deshalb vertrauen gerade jüngere Menschen zunehmend den Aussagen von externen Unterstützern wie beispielsweise Fachexperten, Kunden oder Fans. Wenn Aktivisten und andere Organisationen mit eigenen Zielen oder normale Mitarbeiter über ein Unternehmen sprechen, ist dies demnach sogar vertrauenswürdiger, als wenn offizielle Sprecher dies tun.

Kommunikationsverantwortliche in ihrer Filterblase

Dies hat – so schätzt die Studie ein – Konsequenzen für die Positionierung von Unternehmen im öffentlichen Diskurs und die gesellschaftliche Kommunikationskultur insgesamt – insbesondere deshalb, weil Kommunikationsverantwortliche in den untersuchten Ländern bislang offenkundig eine falsche Vorstellung vom Bevölkerungsvertrauen in verschiedene Akteure haben.

Die wissenschaftliche Studie wurde von Kommunikationsforschern der Universität Leipzig gemeinsam mit Kollegen der Leeds-Beckett-Universität sowie der IULM Universität Mailand im Rahmen des pan-europäischen Forschernetzwerkes EUPRERA durchgeführt. Unterstützt wurde die auf zwei Befragungen basierende Studie durch den Kommunikationsdienstleister Cision Insights, London/Frankfurt, und die Kommunikationsagentur Fink & Fuchs, Wiesbaden.

Zum einen wurde eine repräsentative Bevölkerungsbefragung in Deutschland, Italien und Großbritannien durchgeführt, um ein Bild davon zu erhalten, inwieweit Bürger den unterschiedlichen Sprechern einer Organisation vertrauen – seien es die Leitung und professionelle Kommunikationsexperten, normale Mitarbeiter oder Kunden sowie externe Experten – im Vergleich zu Journalisten, die über eine Organisation berichten. Zum anderen führte das Forscherteam eine Befragung unter Kommunikationsverantwortlichen in den gleichen Ländern durch, um die Ergebnisse mit den Erwartungen der Kommunikationsexperten zu spiegeln.

Nutzerbearbeitung über „social media“-Kanäle

Die Studie aber zeigt auch, welchen Einfluss die konzerneigenen Marketing-Abteilungen mittlerweile gerade über die „social media“ haben. Sie schalten ja damit die Kommunikationsebene Medien aus und versuchen ihre Sichtweisen direkt beim Nutzer anzubringen.

Die Ergebnisse der Bevölkerungsumfrage verdeutlichen, dass professionellen Kommunikatoren in Großbritannien ein deutlich höheres Vertrauen geschenkt wird als in Italien und Deutschland. Wider Erwarten gibt es insgesamt nur noch geringe Unterschiede beim Vertrauen in Journalisten einerseits und PR- bzw. Marketingfachkräfte andererseits. In Italien sind die Vertrauenswerte sogar fast gleich. In Deutschland genießen Journalisten allerdings weiterhin einen deutlichen Vertrauensvorschuss gegenüber Kommunikatoren, die für einzelne Organisationen arbeiten.

Insbesondere über digitale Kanäle gibt es immer mehr Quellen für Informationen über Unternehmen und andere Organisationen, sodass für die Bevölkerung neben den klassischen Sprechern einer Organisation, wie der Leitungsebene (z. B. Vorständen, Top-Managern) oder Pressesprechern, auch normale Angestellte und Markenbotschafter, Aktivisten und Experten sowie Kunden und sogenannte Influencer als Botschafter von Organisationen eingesetzt werden.

Dabei konnte die vorliegende Studie erstmals für die drei Länder aufzeigen, dass externen Experten ein besonders hohes Vertrauen entgegengebracht wird, wenn sie über eine Organisation berichten. Aber auch externen Unterstützern wie Kunden und Fans wird von knapp jedem fünften Befragten vertraut. Überraschend für die Forscher war das schlechte Abschneiden der Führungsebene, die in der Praxis häufig speziell positioniert wird, über die Länder und Generationen hinweg.

Vertrauen in Wirtschaftsjournalisten ist gesunken

Das Forscherteam war ebenfalls daran interessiert zu erfahren, ob das Verständnis von Public Relations (PR) bzw. Öffentlichkeitsarbeit unter der Bevölkerung einen Einfluss auf das Vertrauen in die Kommunikationsprofession allgemein sowie in individuelle Kommunikationsfachkräfte hat.

Und da gibt es ganz offensichtlich einen Widerspruch in der Eigen- und Fremdwahrnehmung: Die Mehrzahl der Befragten konnte mit den Aufgaben und Leistungen von Kommunikationsverantwortlichen sehr wenig anfangen. Sie werden daher eher kritisch gesehen. Das trifft besonders für die deutsche Bevölkerung zu, die mit PR-Experten am wenigsten anfangen kann. Dagegen gehen Kommunikationsverantwortliche selbst davon aus, dass ihnen in der Bevölkerung ein hohes Vertrauen entgegengebracht wird. Dies stellt die Kommunikationsbranche vor große Herausforderungen und erfordert weiteren Aufklärungsbedarf darüber, was Kommunikationsverantwortliche tun und wie sie arbeiten, resümiert die Studie.

Prof. Dr. Ansgar Zerfaß vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig betont entsprechend: „Unsere Studie verdeutlicht den Vertrauensverlust in professionelle Sprecher von Organisationen ebenso wie den Vertrauensverlust in Journalisten, die über Organisationen berichten. Dass gerade in der jüngeren Bevölkerungsgruppe andere Botschafter wie Kunden und normale Mitarbeiter an Vertrauen gewinnen, ist eine nicht umkehrbare Konsequenz der digitalen Kommunikation.“

Was eben auch bedeutet: Viel zu viele Journalisten haben in der jüngeren Vergangenheit viel zu unkritisch über „Wirtschaft“ berichtet, auch viel zu oft einfach nur die PR-Pakete aus den Kommunikationsabteilungen übernommen und ihre eigentliche Aufgabe, auch Wirtschaft transparent darzustellen, nicht erfüllt. Das untergräbt logischerweise das Vertrauen in ihre Berichterstattung.

Dr. Markus Wiesenberg ergänzt: „Nichtsdestotrotz sind Journalisten- und Kommunikationsverbände in Deutschland aufgefordert, das Bewusstsein für die Leistungen und den Wert professioneller Kommunikationsarbeit zu stärken, damit der Vertrauensverlust nicht weiter zunimmt. Das ist eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass gesellschaftliche Gräben überwunden und eine offene Meinungsbildung ermöglicht werden.“

Über die Studie

Die „Trust in Communicators“-Studie basiert auf zwei Teilen: Zum einen wurden in einer repräsentativen Omnibusbefragung in Deutschland, Italien und Großbritannien durch Kantar TNS im Frühjahr 2019 die Einstellungen der Bevölkerung gegenüber unterschiedlichen Kommunikatoren sowie zur Öffentlichkeitsarbeit abgefragt. Zum anderen wurden im selben Zeitraum durch das Forscherteam der EUPRERA Kommunikationsfachkräfte in den gleichen Ländern online befragt, was sie denken, wie die Bevölkerung den unterschiedlichen Kommunikatoren in ihren Ländern vertraut.

Basierend auf wissenschaftlicher Literatur sowie Vertrauensstudien zu Kommunikationsfachkräften wurden den Befragten Item-Batterien vorgelegt, die sie ausfüllen mussten. Die Omnibusumfragen repräsentieren die deutsche, italienische und britische Bevölkerung zwischen 16 und 64 Jahren. Die Kommunikationsfachkräfte wurden im Zuge der pan-europäischen Panel-Befragung – dem European Communication Monitor – im selben Zeitraum befragt. Die gesamten Studienergebnisse können online eingesehen werden.

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