Von Kosmopoliten spricht Diyendo Massilani. Aber so empfanden sich die Menschen, die vor 30.000 und 40.000 Jahren in den eisfreien Weiten des großen Kontinents Eurasien unterwegs waren, bestimmt nicht. Auch wenn sie dann und wann überrascht gewesen sein dürften, dass sie auf andere Gruppen von Menschen stießen, die etwas anders aussahen und wohl auch etwas anders sprachen. Und trotzdem paarte man sich. Zum Glück für heutige Anthropologen.

Denn so lassen sich Wanderwege nachvollziehen und das alte, starre Bild von sesshaften Menschengruppen zerstiebt immer mehr in Einzelteile. Der Mensch war schon immer ein Wanderer, hat sich in Gruppen auf den Weg gemacht, wenn ein neues Ziel in der Ferne lockte – neue Wälder, neue Jagdgründe.

Man hatte ja alle Zeit der Welt, musste nicht fristgerecht irgendwo landen um irgendeinen überflüssigen Geschäftstermin wahrzunehmen. Und man musste auch nicht wieder umkehren, wenn man am Ende der Wanderung tatsächlich ein neues Tal voller Leben fand. Denn es war genug Platz, selbst da, wo man schon auf andere Menschen traf.

Ein solches Ergebnis eiszeitlicher Wanderungen konnten die Forscher nun in der Mongolei verorten.

Forschende des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der Mongolischen Akademie der Wissenschaften haben das Genom des ältesten menschlichen Fossils, das bis jetzt in der Mongolei gefunden wurde, analysiert. Und sie konnten jetzt belegen, dass die 34.000 Jahre alte Frau rund 25 Prozent ihrer DNA von Westeurasiern geerbt hat. Die Vorfahren heute lebender Menschen hatten den eurasischen Kontinent folglich schon kurz nach der ersten Besiedlung erneut durchquert.

Und sie begegneten in Asien einem Verwandten, der heute ausgestorben ist und den auch erst genetische Forschungen am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie sichtbar gemacht hatten.

Die in „Science“ veröffentlichte Studie zeigt nämlich auch, dass das Erbgut der Frau, sowie auch das eines 40.000 Jahre alten Individuums aus China, DNA-Segmente von Denisovanern enthielt, einer ausgestorbenen Homininenform, die vor der Ankunft des modernen Menschen in Asien lebte. Dem es also ganz ähnlich erging wie dem Neandertaler.

Die im Salkhit-Tal in der östlichen Mongolei gefundene Schädeldecke gehörte einer Frau, die vor 34.000 Jahren lebte. Foto: Institut für Archäologie, Mongolische Akademie der Wissenschaften

Im Jahr 2006 entdeckten Bergleute im Salkhit-Tal im Bezirk Norovlin in der östlichen Mongolei eine menschliche Schädeldecke mit eigenartigen morphologischen Merkmalen. Ursprünglich als Mongolanthropus bezeichnet, wurde das Fundstück zunächst für einen Neandertaler oder sogar einen Homo erectus gehalten. Bei den Überresten des „Salkhit“-Individuums handelt es sich um das einzige bekannte Fossil eines Homininen aus dem Pleistozän, das in der Mongolei gefunden wurde.

Die aus der Schädeldecke extrahierte alte DNA zeigte nun, dass diese einem modernen Menschen gehört hatte, einer Frau, die vor 34.000 Jahren lebte und enger mit Asiaten als mit Europäern verwandt war. Vergleiche mit dem einzigen anderen bisher per DNA-Analyse untersuchten frühen modernen ostasiatischen Menschen, einem 40.000 Jahre alten Mann aus der Tianyuan-Höhle bei Peking in China, zeigten genetische Ähnlichkeiten zwischen beiden Individuen. Sie unterscheiden sich jedoch insofern, dass das Erbgut der Salkhit-Frau etwa zu einem Viertel von westlichen Eurasiern abstammt, wahrscheinlich durch Vermischung mit alten Sibirern.

Migration und Interaktion

„Das ist ein direkter Beleg dafür, dass Gemeinschaften moderner Menschen in Ostasien schon vor 34.000 Jahren recht kosmopolitisch waren“, sagt Diyendo Massilani, Erstautor der jetzt veröffentlichten Studie und Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. „Dieses seltene Fundstück zeigt: Migrationen und Interaktionen zwischen verschiedenen Populationen fanden in ganz Eurasien bereits vor etwa 35.000 Jahren häufig statt.“

Die Forschenden wendeten eine neue am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie entwickelte Methode an, die es ermöglichte, DNA-Abschnitte von ausgestorbenen Homininen in den Genomen der Salkhit- und Tianyuan-Individuen zu finden. Dabei stellten sie fest, dass die beiden Genome nicht nur DNA von Neandertalern enthielten, sondern auch DNA von Denisovanern, den geheimnisvollen asiatischen Verwandten der Neandertaler.

„Es ist faszinierend zu sehen, dass die Vorfahren der ältesten Menschen Ostasiens, von denen uns genetische Daten vorliegen, sich bereits mit Denisovanern vermischt hatten, einer ausgestorbenen Homininenform, die Erbgut an die Vorfahren von heute in Asien und Ozeanien lebende Populationen weitergegeben hat“, sagt Byambaa Gunchinsuren, Forscherin am Institut für Archäologie der Mongolischen Akademie der Wissenschaften. „Das ist ein direkter Beweis dafür, dass Denisovaner und moderne Menschen einander vor mehr als 40.000 Jahren begegnet sind und sich miteinander vermischt haben.“

„Interessanterweise überschneiden sich die Denisovaner-DNA-Fragmente dieser sehr alten Ostasiaten mit denen, die man in den Genomen heute in Ostasien lebender Menschen findet, nicht aber mit den Densiova-DNA-Fragmenten heute lebender Populationen aus Ozeanien. Es scheint also in der Vergangenheit verschiedene unabhängige Vermischungsereignisse zwischen Denisovanern und modernen Menschen gegeben zu haben“, sagt Massilani.

Was eben auch bedeutet: unterschiedliche Wanderungsbewegungen zu unterschiedlichen Zeiten. Auch wenn sie immer nur durch einzelne Puzzle-Stücke belegt werden können. Aber mit jedem Puzzle-Stück kommt mehr Bewegung in die frühe Geschichte des modernen Menschen, die vor allem eine Geschichte der Wanderungen war.

Wanderungen in einer Welt, die ihnen fast unendlich groß vorgekommen sein muss. Und vor allem grenzenlos. Denn sie gehörte niemandem und wer darin unterwegs war, arrangierte sich mit denen, die er auf solchen langen Wanderungen antraf. Sie waren Kosmopoliten von Natur aus und wussten es nicht einmal.

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