„Nach neuesten Berechnungen leben in Deutschland derzeit rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Die meisten von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Im Laufe des Jahres 2021 sind etwa 440.000 Menschen neu an einer Demenz erkrankt.“ Das sind erschreckende Zahlen, besonders wenn die Anzahl jüngerer Betroffener steigt. „Demnach müssen wir davon ausgehen, dass in Deutschland derzeit mehr als 100.000 Menschen unter 65 Jahren leben, die an einer Demenz erkrankt sind.“

Diese Zahlen und Fakten veröffentlichte die Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) am 16. August 2022. Prof. Dr. Thyrian, Vorstandsmitglied der Dalz,G sagte zum Anstieg bei der Anzahl der Betroffenen unter 65 Jahren: „Die Ursache dafür, dass diese Zahl deutlich höher ist als in früheren Veröffentlichungen, liegt vor allem darin, dass sich die Diagnostik in den letzten Jahren deutlich verbessert hat.“

Im September 2023 berichteten wir über ein Leipziger Startup, welches an einem Medikament zur Heilung von Alzheimer im Frühstadium forscht, dazu muss die Gefahr der Erkrankung aber bereits vor dem Auftreten von Symptomen erkannt werden.

Auch zur Diagnostik im Frühstadium von Alzheimer ist am Forschungsstandort Leipzig ein Unternehmen tätig. Wir sprachen mit Dr. Ingolf Lachmann, dem Geschäftsführer der Roboscreen Gmbh. Die Leipziger Firma hat auch eine interessante Geschichte.

Ein wenig Firmengeschichte

Herr Dr. Lachmann, vielen Dank für Ihre Bereitschaft zu diesem Gespräch und vor allem für Ihre knapp bemessene Zeit.

Roboscreen ist eine Leipziger Firma mit einer interessanten Geschichte und einem interessanten Wirkungsfeld. Sie sind, wenn ich es richtig mitbekommen habe, Biologe mit dem Schwerpunkt Immunologie. Wie wird man als Wissenschaftler plötzlich Geschäftsführer, der sich eigentlich nur mit Papier beschäftigt?

Mache ich nicht. Das ist der große Vorteil. Ich kann immer noch im Labor arbeiten. Ist natürlich eine Frage des Zeitumfangs. Ich sage mal so, ich bin 2002 als Wissenschaftler hier reingegangen in die Firma, die 2000 gegründet wurde. Ich bin damals mit einem Projekt hier reingegangen, was über die Sächsische Aufbaubank gestartet wurde und der Firma auch einen guten Start ermöglicht hat.

War das damals das BSE-Projekt?

Richtig. Es war nicht ganz BSE. Projektinhalt war die Entwicklung des Bluttests für Creutzfeldt-Jakob, also das Pendant im menschlichen Organismus. Dann gab es 2003 eine Ausschreibung der EU, weitere BSE-Tests zu entwickeln, weil es damals nur drei gab. Wir haben sehr schnell gehandelt und 2003 einen BSE-Test entwickelt und eingereicht. Wir haben 2005 die Zulassung bekommen. Seitdem ist Roboscreen mit BSE-Tests am Markt.

2005 war ja auch das Jahr, in dem Roboscreen zu Analytik Jena (AJ) gegangen ist. War das eine Fusion oder eine Ãœbernahme?

Es war eine Übernahme, Fusion kann man nicht sagen, weil Analytik Jena viel größer war. AJ ist ein Instrumentenhersteller, der damals neben analytischer Chemie einen Life-Science Bereich aufgebaut hat. Für den Life-Science Bereich war es sinnvoll, auch Firmen mit reinzunehmen, die die Tests und die Anwendungen für die Instrumente machen. Die Zulassung des BSE-Tests, das war natürlich ein wichtiger Grund für Analytik Jena.

Im Jahr 2020 gab es eine erneute Änderung in der Firmengeschichte, Roboscreen hat sich von Analytik Jena getrennt. Wie kam es dazu?

Analytik Jena wurde 2015 von der Schweizer Endress+Hauser Gruppe übernommen. Die sind mehr auf die Bereiche chemische Industrie, Umwelt, Analytik und Life-Science ausgerichtet. Diagnostik ist nicht ihr Feld. Damals war ich schon Geschäftsführer von Roboscreen und habe 2018 mein Interesse geäußert, die Firma herauszuführen, um die Arbeit an der Diagnostik weiterzuführen.

2020 gab es ein Zeitfenster, in dem sowohl beim Konzern als auch in Jena die Bereitschaft da war, uns herauszulösen und als selbstständige Firma auszugründen. Das haben wir im Frühjahr 2020 verhandelt und zum 1. Juni 2020 vollzogen.

Sie konnten den wissenschaftlichen Teil übernehmen und den administrativen Teil mussten Sie komplett neu aufbauen.

Genau, das haben wir auch ganz passabel hinbekommen. Bis Herbst 2020 war alles gelöst, wir haben vieles über Leipziger Dienstleister umgesetzt und das funktioniert auch wunderbar. Insofern sind wir jetzt wieder eine richtig hier in Leipzig ansässige Firma. Roboscreen ist jetzt eine Privatfirma in der Rechtsform einer GmbH mit drei Gesellschaftern.

Einer ist Klaus Berka, das ist der Gründer von Analytik Jena, der dort 2015 ausgeschieden ist und uns unterstützen wollte, weil die Übernahme 2005 seine Idee war. Die andere ist André Reinhardt, der schon lange in der Firma und hier für Marketing und Vertrieb verantwortlich ist, der Dritte im Bunde bin ich.

Alzheimer Diagnostik

Alzheimer und Parkinson sind ja, wie man sagt, die Geißeln der Menschheit. Die Menschen werden älter. Sie sprechen von Tests für Alzheimer, Sie nennen das ELISA „enzyme-linked immunosorbent assay“, also enzymgekoppelter Immuntest.

In welchem Stadium der Alzheimer-Erkrankung zeigt dieser Ergebnisse? Es gibt ja diese vorklinische Phase, in der Alzheimer schon da ist, aber noch keine Symptome zeigt. Dann gibt es die erste klinische Phase, in der es leichte Ausfälle gibt. Und dann gibt es die völlige Demenz, um es mal einfach auszudrücken.

2005 begannen wir damit, Labortests für Alzheimer, Parkinson und ähnliche Erkrankungen zu entwickeln. Erste Labortests für Alzheimer wurden Anfang des 21. Jahrhunderts von einer belgischen Firma eingeführt. Daneben gibt es bildgebende Verfahren wie MRT und beides sind Bestätigungstest für die Diagnose der Krankheit.

Um das ein bisschen auszumalen, wie die Alzheimer-Diagnostik bis heute funktioniert, an erster Stelle steht immer die ärztliche Erhebung. Die Patienten werden, meist durch Familienangehörige, in eine Sprechstunde gebracht, dort beurteilen Fachleute aufgrund der Ausfallerscheinungen, ob der Verdacht einer kognitiven Störung naheliegt, die sich in Richtung Alzheimer entwickeln könnte.

Dann werden bei Bedarf Bestätigungstests durchgeführt. Die Labortests, die bisher eingeführt wurden, haben den Nachteil, dass sie auf Rückenmarksflüssigkeit basieren. Das heißt, es wird punktiert und es werden dann diese Analysen im Labor durchgeführt. Die Punktion ist ein invasiver Eingriff und für viele Menschen entsteht das Gefühl, dass dieser etwas ganz Schlimmes ist. Wenn man Patienten über längere Zeiträume begleiten will, ist es auch schwierig, weil immer wieder Rückenmarksflüssigkeit entnommen werden muss.

Seit sechs bis acht Jahren hat sich das in Richtung Blutanalytik verschoben und ist jetzt stark am Kommen in klinischen Studien, aber noch nicht in der Routinediagnostik. Die bisher verwendeten Biomarker für Alzheimer, aber auch Parkinson und andere neurodegenerative Erkrankungen, gibt es im Blutplasma, aber in sehr niedriger Konzentration. Deswegen haben auch wir uns seit 2019 darauf fokussiert, diese Testungen auch für Blutplasma zu entwickeln.

Neuere Ergebnisse zeigen, dass man mit diesen Markern in Kombination mit psychiatrischen Analysen, Fragebögen und anderen Tests (z.B. genetische Analysen) schon etwa 15 Jahre, bevor die Krankheit mit Merkmalen offensichtlich wird, diese bereits diagnostizieren kann.

Alzheimer ist ja nun nicht altersabhängig oder altersbedingt, er tritt zwar, soweit ich weiß, mit steigendem Alter häufiger auf oder wird häufiger diagnostiziert, aber ist ja wohl altersunabhängig.

Das Risiko für eine Alzheimer-Erkrankung ist altersunabhängig, es gibt aber eine starke Verschiebung in Richtung der über 50-Jährigen. Im jüngeren Alter tritt Alzheimer weniger häufig auf. Was man einfach wissen sollte ist, dass Alzheimer überall existiert, weltweit. Auch in China, Südkorea, Japan, wo immer gesagt wird, dass die Menschen dort viel gesünder sind als wir.

Das stimmt in dem Fall nicht, diese Krankheit ist auch dort verbreitet. Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit mit einer Forschungsgruppe in Montana, die seit vielen Jahren Studien an Kindern und Jugendlichen in Mexico-City durchführt. Die Studien beschäftigen sich mit der Umweltverschmutzung und deren Einfluss auf die Sterblichkeit und verschiedene Krankheitsbilder.

Ich wollte gerade fragen, ob es für die Entstehung von Alzheimer Umwelteinflüsse gibt?

Genau das finden die Forscher bei Kindern und Jugendlichen. Sie finden dort pathologische Entwicklungen, wie wir sie bei über 50-jährigen Menschen finden, die Plaquebildung im Gehirn, die Zerstörung des Nervengewebes und die Ausbildung von Alzheimer-Diagnosemerkmalen. Man kann das bei diesen Patienten in Mexiko-City ganz stark mit hoher Umweltverschmutzung und mit einer bestimmten Größe von Nanopartikeln in Verbindung bringen.

Es wird immer wieder diskutiert auch in wissenschaftlichen Beiträgen, wo kommt die Krankheit her, wie wird sie verursacht, spielen Umweltaspekte, Ernährung, Schwermetalle und so weiter eine Rolle.

Wenn ich es richtig verstehe, es geht Ihnen um viele neurodegenerative Erkrankungen, nicht nur Alzheimer. Wollen Sie das jetzt zusammenführen und die Faktoren für Alzheimer oder andere Erkrankungen finden? Kommen wir so zu einer personalisierten Medizin?

Richtig, aber wir stehen noch am Anfang, eine solche Multiparameteranalyse zu entwickeln. Wir arbeiten natürlich auch an der gängigen Diagnostik und versuchen uns an der Entwicklung in Richtung Blutplasma zu beteiligen. Wir haben auch schon erste Tests entwickelt. Aber da gehört natürlich mehr dazu, die müssen geprüft, validiert werden. Dafür muss man sehr gute Tests haben, muss diese an einer großen Zahl von Patientenproben testen, um dann ein Profil erstellen zu können.

Alzheimer ist nicht immer eindeutig. Es gibt eine Mischung zwischen unterschiedlichen Degenerationsformen. Deswegen ist es interessant, dass man in Zukunft mehr zu den Einzelpatienten kommt. Die Tests haben aber bisher noch nicht die Genauigkeit für Routineuntersuchungen, da müssen zuvor noch sehr viele Aspekte geklärt werden. Das ist der aktuelle Stand.

Eine Leipziger Life-Science Firma mit einem hochinteressanten Forschungsgebiet und einer spannenden Firmengeschichte. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Lachmann, und viel Erfolg weiterhin.

Teile des Interviews wurden am 21.03.2024 im Laborjournal veröffentlicht.

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