Man könnte es auch so sagen: Je mehr Anstrengungen Politik für mehr Umweltschutz unternimmt, umso kreativer werden fossile Unternehmen, ihre umweltschädlichen Produkte als grün zu verkaufen. „Greenwashing“ ist längst kein Sport mehr. Genau sowenig wie der massiv zunehmende Lobbyismus der milliardenschweren Fossil-Konzerne, die damit ihre Wünsche direkt auf den Tischen der Ministerinnen und Minister platzieren. Das hat das DIW Berlin jetzt einmal genauer unter die Lupe genommen.

Das bekannteste Beispiel für ungebremsten Lobbyismus benennen die Autorinnen Olimpia Cutinelli und Sonja Dobkowitz gleich zum Einstieg in ihren Beitrag zum jüngsten Wochenbericht des DIW: „Der Automobilsektor ist einer der wichtigsten Sektoren für die grüne Transformation. Im Jahr 2022 machte der Verkehr knapp 20 Prozent der gesamten deutschen Treibhausgasemissionen aus, und der Anteil ist seit 1990 um gut sieben Prozentpunkte gestiegen.

Gleichzeitig sind in diesem Sektor emissionsarme Technologien durchaus vorhanden: elektrisch oder mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge. Ein Grund für ein Festhalten an konventionellen, emissionsintensiven Fahrzeugen stellt die politische Einflussnahme der Automobilhersteller dar.“

Politik und Wähler manipulieren

Grundsätzlich sei die Vertretung von Interessen in der Politik durch die Bereitstellung von Informationen ein förderlicher Bestandteil der Demokratie. Allerdings seien oftmals Schieflagen zu beobachten, schreiben die beiden Autorinnen.

„So zeigt die Forschung, dass Lobbyarbeit, die den Status Quo beibehalten will, erfolgreicher ist, und dass Unternehmen, die von Umweltschutz negativ betroffen wären, mehr Lobbyarbeit betreiben als solche, die profitieren würden. Zudem belegt sie, dass Lobbyarbeit gegen Umweltschutz hohe gesellschaftliche Kosten mit sich bringt und zu einer Abweichung politischer Entscheidungen vom Wähler/-inneninteresse führt.“

Der Bundestag hat zwar ein großes Lobbyregister, dem zu entnehmen ist, wer mit dem obersten deutschen Entscheidungsgremium Kontakt aufnimmt, um seine Interessen zur Sprache zu bringen. Aber wesentliche Elemente fehlen. Denn gleichzeitig versuche diese Lobbyorganisationen ja auch die Meinung der Wähler zu beeinflussen. Das ganze Geld fürs Greenwashing ergibt ja nur Sinn, wenn die Wähler dem auch folgen und die dreckigen Produkte weiter kaufen. Aber wenn sich die Nachfrage der Bürger nach grünen Produkten verstärkt, ändern sich auch, mit Verspätung, die Geldflüsse für die Lobbyisten.

Nur: Dazu gibt es in Deutschland noch keine Daten. Die DIW-Forscher/-innen haben deshalb auf Daten aus den USA zurückgegriffen.

Suchanfragen als Basis für die Messung umweltfreundlicher Präferenzen

Zur Messung der Haushaltspräferenzen wird ein Index herangezogen, der auf der Häufigkeit von Online-Suchanfragen (Google) in US-Bundesstaaten basiert. Dabei wird das Interesse an Begriffen genutzt, die auf eine Bereitschaft zu umweltbewussten Verhaltensveränderungen schließen lassen – konkret handelt es sich um die Suchbegriffe „Recycling“, „Solar Energy“ und „Electric Car“.

„Der Index stellt aus mindestens zwei Gründen einen zuverlässigen Indikator für die umweltbezogene Bereitschaft zur Verhaltensveränderung von Haushalten dar. Erstens demonstriert ein Vergleich mit Umfragedaten von Gallup zur Sorge über Klimawandel, dass der Index ähnliche zeitliche Muster wie die Umfragedaten aufweist.

Zweitens zeigen die Daten, dass ein höherer Index mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einhergeht, dass ein Haushalt ein Elektroauto besitzt oder Solarenergie nutzt. Auch die spätere Unterstützung von Umweltpolitik ist positiv mit früheren Indexwerten verknüpft“, so die Autorinnen.

Aber wie kriegt man heraus, welche Interessen hinter den Geldern der Lobbyisten stecken? „Lobbyausgaben zu Umweltthemen können nicht direkt in solche gegen und solche für mehr Umweltschutz unterteilt werden, da Informationen zu der Intention der Einflussnahme fehlen. Die Literatur nutzt daher Informationen zur politischen Ausrichtung der beauftragten Lobbyist/-innen, um annäherungsweise das Motiv hinter den Lobbyausgaben zu erfassen. Die Grundannahme ist, dass Unternehmen republikanisch gesinnte Lobbyist/-innen einsetzen, um Umweltregulierung zu verhindern, und demokratisch orientierte, um sie zu fördern.“

Zwei unterschiedliche Strategien

Aber wie reagieren z.B. Automobilhersteller auf eine grünere Nachfrage?

„Zwei gegenläufige Hypothesen sind plausibel. Auf der einen Seite können Unternehmen zu mehr Lobbyarbeit gegen Umweltschutz tendieren, um zusätzliche Umweltregulierungen zu vermeiden“, stellen die Autorinnen fest.

„Auf der anderen Seite ist es denkbar, dass Unternehmen mehr umweltfreundliche Lobbyausgaben tätigen. Wenn Firmen mehr umweltfreundliche Produkte anbieten, um auf eine grünere Nachfrage zu reagieren, dann könnten sie ein Interesse daran haben, den Wettbewerb in diesen Märkten gering zu halten. Strengere Umweltregulierungen, die die Unternehmen aufgrund ihrer neuen Produkte erfüllen, können dies erreichen.“

Das ergibt dann erst einmal ein ganz seltsames Bild: Die Lobbyausgaben für Umweltschutz werden zunächst reduziert, obwohl die Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten steigt. „Allerdings erhöhen Unternehmen ihre Ausgaben für mehr Umweltschutz in den folgenden Quartalen bis zum Ende des Analysehorizontes wieder, sodass etwa acht Quartale nach der Veränderung der Haushaltspräferenzen ein positiver Effekt auf Lobbyausgaben für Umweltschutz zu verzeichnen ist. Letztlich kumuliert der stetige Anstieg der umweltfreundlichen Lobbyausgaben bei einer um 15 Prozent höheren siebenjährigen Wachstumsrate.“

Und so wird sichtbar, wie Konzerne erst einmal noch ihre alten, umweltschädlichen Produkte schützen und weiter zu vermarkten versuchen, bevor sie – durch die Konsumenten gedrängt – endlich umschwenken und umweltfreundlichere Produkte bewerben.

„Kurzfristig schützen Unternehmen ihre Einnahmen aus dem Verkauf von Verbrennungsmotoren mit umweltunfreundlicher Lobbytätigkeit, während sie langfristig saubere Marktsegmente durch mehr Lobbyausgaben für Umweltschutz schützen“, werten Olimpia Cutinelli und Sonja Dobkowitz die Ergebnisse.

Viel Geld für fossile Geschäftsmodelle

Aber noch etwas kommt hinzu: Manche Konzerne wehren sich mit allen Mitteln, ihre Produktion umweltfreundlich umzustellen. Sie buttern deutlich mehr Geld in Kampagnen gegen den Umweltschutz.

„Die Hypothese lautet, dass Unternehmen mit einem schmutzigeren Produktportfolio stärker auf Lobbyismus zurückgreifen. Dahinter stehen drei mögliche Erklärungen: Erstens dürften Unternehmen mit einem höheren Anteil von Verbrennungsmotoren stärker von einer sinkenden Nachfrage nach diesen Produkten betroffen sein. Zweitens könnte für sie ein größerer Anpassungsdruck bestehen, in eine grüne Transformation ihrer Technologie zu investieren. Drittens könnten sie von neuen Regulierungen stärker betroffen sein“, schreiben die Autorinnen.

Und das betrachten sie durchaus als Mahnung an die Politik, sich von diesen Kampagnen nicht immer wieder beeindrucken und einschüchtern zu lassen, sondern die Kampagnen mitzudenken, wenn sie Weichen für mehr Umweltschutz stellen. Denn wenn die Politik das nicht mitdenkt, haben die milliardenschweren Konzerne leichtes Spiel, Bürger und Medien zu beeinflussen und politische Entscheidungen zu konterkarieren. Es brauche also auch Maßnahmen gegen Lobbyismus.

„Dieser Artikel zeigt am Beispiel der Automobilindustrie in den USA, dass Unternehmen in den Jahren 2006 bis 2019 ihre Ausgaben für Lobbyarbeit gegen umweltpolitische Maßnahmen erhöht haben, um die für sie negativen Effekte einer grüneren Nachfrage abzumildern“, stellen Olimpia Cutinelli und Sonja Dobkowitz fest.

„Zudem setzen Unternehmen, die auf den Verkauf von Verbrennungsmotoren spezialisiert sind, Lobbyismus gegen Umweltregulierung als Reaktion auf grünere Haushaltspräferenzen stärker ein. Im Hinblick auf die Bedeutung der gegen Umweltschutz gerichteten Lobbyaktivitäten für eine effektive Umweltregulierung ist dieses Ergebnis nicht zu unterschätzen – selbst wenn die Lobbyaktivitäten nur zeitlich begrenzt erhöht werden.

Die Politik sollte sich dieser Problematik bewusst sein, zumal grünere Haushaltspräferenzen als vielversprechende Ergänzung zu steuerpolitischen Anreizen gelten. Insbesondere könnten strengere Transparenzvorgaben und Verhaltenskodizes für Politiker/-innen einem übermäßigen Lobbyismus gegen Umweltregulierung entgegenwirken.“

Aber da tut sich auch Deutschland schwer. Und öffnet damit den Bremsern einer umweltfreundlichen Veränderung Tür und Tor. Und unterläuft aus purem Opportunismus die eigenen Klimaziele.

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