Zumindest einer jubelte am Donnerstag, 15. August, über den von der wirtschaftsnahen „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) vorgestellten „Bildungsmonitor 2019“: Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU): „Diese Ergebnisse zeigen: Sachsen hat nicht nur das leistungsfähigste Bildungssystem in Deutschland, sondern auch das sozial gerechteste.“ Da dürften sich nicht nur viele Eltern gefragt haben: In welchem Land ist Piwarz eigentlich Minister?

Dass er keine kritische Distanz zu dem hat, was die INSM jedes Jahr als eine Art Bildungs-Ranking präsentiert, ist zumindest verständlich, denn kein anderes Bundesland versucht so diszipliniert, die Vorgaben des neoliberalen Thinktanks beim Thema Schule und Bildung zu befolgen. Motto: Mit möglichst geringem Mitteleinsatz möglichst gute Testergebnisse zu erreichen.

Aber tatsächlich bildet der „Bildungsmonitor“ mit seinen sehr reduzierten Kriterien, die dann vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zu einer Art Punkte-Ranking zusammengeschmissen werden, überhaupt nicht ab, wie erfolgreich Kinder im jeweiligen Landesschulsystem wirklich sind. Wenn man nur den wichtigen Marker Schulabschluss nimmt, landet Sachsen tatsächlich nicht auf einem 1. Platz, sondern auf einem blamablen 11. Das hat auch mit „sozial gerecht“, wie Piwarz meint, überhaupt nichts zu tun.

Erst recht nicht, wenn die Schüler bei den diversen PISA- bzw. IQB-Tests in der 4. und 9. Klasse immer auf Spitzenplätzen landen. Entweder stimmen dann diese Testergebnisse nicht – oder die Kinder werden für ihren Leistungsstand nicht honoriert.

Beides setzt riesige Fragezeichen über die „Effizienz“ des sächsischen Schulsystems. Aber ein bisschen Zynismus gab es dann zumindest aus der Linksfraktion im Sächsischen Landtag.

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„Pünktlich zum Wahlkampfendspurt in Sachsen publiziert die von der Wirtschaft finanzierte Initiative ihr Bildungsranking. Weil Sachsen im Ranking erneut vorn liegt, sonnen sich reihenweise Regierungspolitiker im Glanze des Ergebnisses und loben die Bildung im Freistaat über den grünen Klee. Ist ein Schelm, wer Arges dabei denkt? Eltern und ihre Kinder kämpfen gerade um die nötigen Ressourcen für einen halbwegs gesicherten Start ins neue Schuljahr“, sagte am Donnerstag die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Cornelia Falken.

„Die soziale Benachteiligung, die in Sachsen so gering sein soll, hat hierzulande viele Gesichter. Das belegt, um doch einmal eine Studie heranzuziehen, der regelmäßig publizierte Chancenspiegel der Bertelsmann-Stiftung. Diesem zufolge gelangt Sachsen in den Bereichen Integrationskraft und Durchlässigkeit nur auf einen Platz im Mittelfeld. Und der Bildungserfolg hängt stark davon ab, in welcher Region Sachsens man aufwächst. In sozialökonomisch benachteiligten Stadt- bzw. Landesteilen (hohe Sozialhilfedichte u.a.) ist der Anteil von Abiturienten geringer; dafür liegt der von ,bildungsarmen‘ Schulabgängern ohne Schulabschluss (vor allem ausländischer Jugendlicher) dramatisch über dem Durchschnitt.“

Sie verweist dabei auf eine Stellungnahme der damaligen Kultusministerin Brunhild Kurth zu einem Antrag der Linken aus dem Jahr 2015 (Landtags-Drucksache 6/898).

Falken: „Fazit: Wer nicht in Ranglisten denkt, die doch nur einen Durchschnitt wiedergeben, und sich einen Blick für die Realität an den Schulen bewahrt hat, der sieht erheblichen Handlungsbedarf.“

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Natürlich zeigt auch der „Bildungsmonitor“ da und dort, wo die Fehlstellen sind. Da er freilich selbst voller Fehlstellen ist und vor allem die „Effizienz des Mitteleinsatzes“ als Maßstab nimmt, fehlen natürlich ganz grundlegende Indikatoren.

So vergibt das IW an Sachsen im Punkt „Bildungsarmut“ tatsächlich einen 1. Platz und die INSM erklärt dazu: „Die guten Bedingungen zur Verbesserung der sozialen Teilhabe machen sich beim Ziel der Vermeidung von Bildungsarmut bezahlt. Bei früheren IQB-Vergleichsstudien waren die Risikogruppen im Lesen und in Mathematik in Sachsen besonders gering. Verbesserungspotenzial besteht jedoch noch bei der Schulabbrecherquote. Dieser steht aber eine sehr hohe Erfolgsquote bei der Berufsvorbereitung gegenüber.“

Aber tatsächlich rührt das IW unter Bildungsarmut nur drei zusammenhanglose Zahlen zusammen: Erfolgsquote Berufsvorbereitungsjahr, IQB Risikogruppe Lesen 4. Klasse und die Schulabbrecherquote. Das mindeste, was man hier erwarten könnte, wären die Quote an Bildungsempfehlungen fürs Gymnasium, die Quote an Studienanfängern und die Quoten für Studienabbrecher und Abbrechern in der Berufsausbildung. Da würde sich das Bild nämlich konkretisieren.

Dass ein Schulabgang ohne qualifiziertes Zeugnis keine Erfolgsnachricht ist, betont sogar die INSM selbst: „In der Bildungspolitik geht der Trend in die falsche Richtung. Die Schulabbrecherquote stieg allein binnen eines Jahres von 5,7 auf 6,3 Prozent an – unter Ausländern sogar von 14,2 auf 18,1 Prozent.“

„Dieser Fehlentwicklung dürfen die zuständigen Politiker in Bund und Ländern nicht tatenlos zusehen. Die bisherigen Anstrengungen reichen offensichtlich nicht aus. Wenn in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Sachsen-Anhalt prozentual fast doppelt so viele Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen wie in Hessen, Hamburg und Bayern, ist nicht nur die Chancengerechtigkeit in Gefahr“, erklärte INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr.

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Ob das sächsische Bildungssystem so leistungsfähig ist, wie die INSM meint herauslesen zu können, erschließt sich aus den verwendeten Daten nicht wirklich.

Es legt nur die Vermutung nahe, dass Sachsen vor allem von einer kommunal mit großem Mitteleinsatz geschaffenen Förderkulisse profitiert.

Bei der vom IW bewerteten „Förderinfrastruktur“ ist der 1. Platz wahrscheinlich sogar gerechtfertigt. Die INSM dazu: „Sachsen weist hohe Ganztagsquoten in den Kindertageseinrichtungen und Grundschulen auf. So besuchten in Sachsen 87,3 Prozent der Grundschüler im Jahr 2017 eine offene oder gebundene Ganztagsschule (Bundesdurchschnitt: 41,6 Prozent). Dies ist die zweithöchste Quote aller Bundesländer. Deutlich überdurchschnittlich fiel mit 73,8 Prozent auch der Anteil der Schüler an Ganztagsschulen im Sekundarbereich I aus (Bundesdurchschnitt: 44,8 Prozent). Darüber hinaus wurden im Jahr 2018 von den Drei- bis Sechsjährigen 82,1 Prozent der Kinder in Sachsen ganztägig betreut (Bundesdurchschnitt: 45,9 Prozent). Im Jahr 2018 hatten außerdem 11 Prozent des Personals in Kindertageseinrichtungen einen Hochschulabschluss (Bundesdurchschnitt: 7,1 Prozent).“

Aber es sind eben die Kommunen, die hier investieren und die Betreuungsmöglichkeiten immer weiter ausbauen. Damit können sie aber nicht alles auffangen. Schon gar nicht die soziale und sprachliche Benachteiligung vieler Kinder. Dazu braucht es Extra-Unterstützung in der Schule. Das betont übrigens sogar die INSM: „So sollten zur Stärkung der Integration und Durchlässigkeit des Bildungssystems die Bildungsausgaben stärker nach einem Sozialindex differenziert und Sprachförderung systematisch mit Beginn der KITA über die Bildungslaufbahn hinweg gestärkt werden.“

Freilich fordert die INSM dann wieder mehr Vergleichstests zwischen den Schulen länderübergreifend und mehr Digitalisierung. Obwohl die Punkte im „Monitor“ überhaupt nicht begründen, was die INSM gleich mit Bekanntgabe der neuen Zahlen forderte, betonte die Lobby-Initiative dann doch ihre rein aus Wirtschaftsinteressen herrührenden Forderungen: „Um die digitale Grundbildung zu sichern, sollte der Digitalpakt zügig umgesetzt, die digitale Infrastruktur dauerhaft sichergestellt und ein Ideenwettbewerb um die besten digitalen Lehrmethoden entfacht werden. Ferner sind bestehende soziale Unterschiede bei der ökonomischen Bildung zu verringern und eine ökonomische Grundbildung bundesweit sicherzustellen. Lehrkräfte sind in den Bereichen Integration, Digitalisierung und ökonomische Bildung entsprechend zu qualifizieren.“

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Und dass die INSM ihr elitäres Denken in der Bildung einfach nicht loswird, bestätigt Hubertus Pellengahr, wenn er erklärt: „Mehr Geld allein macht noch keine gute Bildung. Auch wenn die Bildungsausgaben zunehmen und der Staat mehr in Kita und Ganztagsschule investiert – das Geld muss vor allem effektiver eingesetzt werden. Der in den vergangenen Jahren im Bildungsmonitor beobachtete Rückschritt in wichtigen Handlungsfeldern ist alarmierend. Wir schlagen daher vor: Mehr bundesweit vergleichbare Tests und mehr Handlungsfreiheit für die Schulen, um einen Ideenwettbewerb zu entfachen sowie gleichzeitig mehr nach einem, die familiären Hintergründe der Schüler erfassenden, Sozialindex differenzierte Mittel für die Bildungspolitik, um die Schwächsten besser zu fördern. Die Herausforderungen an ein modernes Bildungssystem reichen dabei von Durchlässigkeit und Integration bis zur Sicherung von digitaler und ökonomischer Grundbildung.“

Man macht ein Bildungssystem aber nicht durchlässiger, wenn man noch einen Sozialindex in die Bildungslandschaft einführt. Denn eines kann der „Bildungsmonitor“ gar nicht erfassen: Wie diskriminierend das in den Ländern unterschiedlich sortierte Schulsystem mit seiner frühen Trennung der Kinder eigentlich wirkt. Denn die PISA- und IQB-Ergebnisse der 4. Klassen erzählen von einer völlig anderen Welt als die der 9. Klasse, wo eigentlich streng zwischen Hauptschul- und Gymnasialzweig getrennt werden müsste. Dann würde man auch deutlicher sehen, wie Bildungsbarrieren in Deutschland funktionieren und Kinder aus „bildungsfernen“ Familien systematisch benachteiligt werden.

Da das aber nicht passiert, helfen auch die Ratschläge von Studienleiter Prof. Dr. Axel Plünnecke vom IW nicht die Bohne: „Wir brauchen dringend einen weiteren Ausbau von Kita-Plätzen und Ganztagsschulen, mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung, Investitionen in digitale Bildung und mehr Mittel zur individuellen Förderung in sozialen Brennpunkten. Aktuell werden von Staat und Privat in Deutschland gut neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung ausgegeben – diese Marke sollte auf zehn Prozent steigen. Durch mehr gezielte Ausgaben in Forschung und Bildung können Wirtschaftswachstum und Teilhabe gestärkt und dadurch der Wohlstand langfristig gesichert werden.“

Nein. Das klingt zwar gut, bietet aber nicht den geringsten Ansatz, „Teilhabe“ wirklich zu stärken. Dazu müsste man so mutig sein, die wirklichen Barrieren im elitären Schul-Kasten-System zu benennen. Wer das nicht tut, zementiert die Benachteiligungen weiter.

Wenn die INSM sich um die Ausbildung der Schulkinder im Umgang mit Geld sorgt

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