Grün, gelb, orange, rot. Vier Farben aus der Herbstpalette verraten ab heute den Nutzern und Besuchern der Stadtbibliothek Leipzig, wo sie gerade sind. Jede Etage hat ihre eigene Farbe. Wer bei Quietschgrün landet, ist in der Kinderbibliothek. Dunkelgrün ist die Lyrik. 300 geladene Gäste feierten am gestrigen Abend die Wiedereröffnung der Stadtbibliothek nach zwei Jahren Umbau.

Wie viele es heute werden, wagt nicht einmal Dr. Arne Ackermann, der Leiter der Städtischen Bibliotheken Leipzig, zu sagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das sanierte und umgebaute Haus am Wilhelm-Leuschner-Platz voller Neugieriger sein wird, ist groß. Um 10 Uhr wird Oberbürgermeister Burkhard Jung persönlich das Haus für die Leser wiedereröffnen. Immerhin kommt Leipzig damit nach weit über 60 Jahren der Notlösungen zurück in die Spitzenliga der deutschen Stadtbibliotheken. Die Mannschaft um Arne Ackermann hat zuvor die besten Bibliotheken der Bundesrepublik und Europas bereist, um sich Anregungen zu holen und die neuesten Standards zu sehen.

Denn wenn man schon einmal die seltene Gelegenheit hat, so ein Haus für eine Bibliothek komplett umzubauen, dann sollte man schon versuchen, den rund 950.000 Besuchern den besten Rahmen zu geben für ihre Suche nach Fachliteratur, Musik, Spielen und Schöngeistigem. Lesen bildet. Lebenslanges Lernen ist für Leute, die sich bei den Städtischen Bibliotheken anmelden, zumeist Lebensmaxime. Wichtigste Folgerung: ein barrierefreies Haus. Das ist das 1893/1896 einst als Grassi-Museum erbaute Gebäude nun. Mit einem Lift geht es ins Erdgeschoss, ab da sind alle Etagen per Fahrstuhl erschlossen.2006 stand das Haus kurz vor der Schließung, das Bauordnungsamt packte sein Veto auf den Tisch.

Die Stadt musste handeln. 1991 war die Stadtbibliothek erst in das Gebäude gezogen, das zuvor 50 Jahre lang von den Chemieanlagenbauern als Verwaltung genutzt worden war. Notdürftig hergerichtet, nachdem englische Bomber das Haus 1943 zerstört hatten. Von der alten Baupracht, die Hugo Licht entworfen hatte, war da schon nicht mehr viel zu sehen – bis auf die Prachtfassade zum Wilhelm-Leuschner-Platz. Aber 1991 war der Einzug auch nur als Provisorium gedacht – und als Ende eines geradezu unmöglichen Zustandes: Bis 1986 in Barthels Hof notdürftig aktiv, war die Stadtbibliothek fünf Jahre lang überhaupt nicht mehr zugänglich gewesen. Ein Fördereinverein gründete sich, machte Druck und ist bis heute aktiv, um die Lesehalle der Leipziger auf den Stand zu bringen, der so einer Stadt angemessen ist.

Umbenennen müsste man das Ganze freilich, meint etwas locker Kulturbürgermeister Michael Faber. Eigentlich müsste es Mediathek heißen, denn ein Großteil des Bestandes sind ja keine Bücher mehr – sondern CDs, Spiele, Filmträger. Und absehbar ist, dass sich die Bibliothek der Stadt weiter verändern wird. Das ist jetzt schon zu sehen.Gleich im Entrée findet man die Rückgabeautomaten, an denen man ab jetzt alle ausgeliehenen Stücke rund um die Uhr zurückgeben kann. Das ist internationaler Standard. “Ich bin mir sicher, dass dieser Service von unseren Besuchern dankbar angenommen wird”, sagt Birgit Spazier, Leiterin der Bibliothek am Leuschner-Platz. “Und zu Beginn werden wir natürlich dabei stehen und die Nutzer in das System einweisen. Natürlich hat jeder seine Schwellenängste.” Mit Bibliothekskärtchen und PIN-Zahl meldet man sich an, schiebt die ausgeliehenen Stücke unter den Scanner – wenn das Fach grün aufleuchtet, kann man das Ausgeliehene einfach hineinschieben. Dahinter sorgt eine pfiffige Sortiermaschine dafür, dass die zurückgegebenen Medien gleich vorsortiert werden in kleine, bullige Container. Die müssen dann von den Bibliotheksmitarbeitern nur wieder auf die richtige Etage transportiert und per Hand einsortiert werden.

Während der Öffnungszeiten ist natürlich auch der quietschgrüne Tresen im Foyer besetzt. Aber die Öffnungszeiten sind nach wie vor ein Thema, das Arne Ackermann bedrückt. 46 Öffnungsstunden in der Woche sind nicht viel. Er zitiert aus einer jüngst veröffentlichten “Nicht-Leser-Studie”, warum Leute eben nicht in eine Bibliothek gehen: Gleich nach “Die haben nicht, was ich suche” sagen die Befragten “Die haben nicht offen, wenn ich Zeit habe”. Aber das ist eine Geldfrage. Für Öffnungszeiten braucht man Personal. “So lange die Stadt ihren Haushalt konsolidieren muss, ist an mehr Personal und längere Öffnungszeiten leider nicht zu denken”, sagt Ackermann.

46 Beschäftigte haben in der neuen Stadtbibliothek genug zu tun. Über vier Geschosse verteilen sich die nun weiträumig und hell untergebrachten Bestände. Im Erdgeschoss gibt es einen kleinen Trinkwasserbrunnen der Wasserwerke, gleich neben dem Kaffeeautomaten. Ein Café gibt es nicht. “Natürlich haben wir daran gedacht”, sagt Arne Ackermann. “Aber die Sache ist für den Betreiber nicht wirtschaftlich, wenn er das Café nicht unabhängig von der Bibliothek öffnen kann.” Und 46 Stunden sind zu wenig.60 Stunden würde Ackermann schon gern öffnen in der Woche, 84 Stunden wäre ein Traum. Natürlich auch für all jene Leipziger, die jeden Tag acht, zehn Stunden arbeiten müssen und den Weg in die “Bibo” sowieso nur in exotischen Randzeiten schaffen. Jetzt müssen samstags vier Stunden reichen.

Aber man muss auch nicht mehr so lange in der Schlange stehen. Im Treppenhaus stehen auch vier Automaten, mit denen man seine Neuausleihen gleich selbst verbuchen kann. Kleiner Extra-Service: Man kann sich die Ausleihe per Bon bestätigen lassen. Ist gut für die Eltern, die ihre Sprösslinge schon mal allein losschicken, sich das Lese- und Hörfutter selbst zu holen. Alles ist mit Datum und Titel aufgelistet. Und wenn der Ausleiher noch Gebührenschulden hat, zeigt es der Apparat auch an. Bis zu 10 Euro kann man auflaufen lassen, danach gibt es den freundlich deutlichen Hinweis, erst einmal die Schulden zu begleichen, sonst darf man nichts Neues ausleihen.

Aber nicht nur mehr Platz gibt es jetzt in allen Abteilungen. Es gibt auch mehr gemütliche Sitzgelegenheiten (in den Farben der Abteilung), 130 an der Zahl, und Arbeitsplätze. Denn nicht jeder will ja die Medien mit nach Hause nehmen. Auch mehr internetverbundene Plätze gibt es. 180 Kilometer Kabel wurden im Haus verlegt, davon allein 60 Kilometer Datenleitung. Deswegen meldete sich am Freitagnachmittag auch gleich die Lecos zu Wort, das stadteigene Unternehmen fürs Daten-Management. All die elektronischen Ein- und Ausbuchvorgänge via RFIS müssen ja reibungslos funktionieren. “Wir haben im Vorfeld natürlich ausgiebig getestet”, sagt Birgit Spazier. “Aber wir können natürlich nicht voraussagen, wie das System im Dauerbetrieb standhält.”Denn die Leipziger Stadtbibliotheker rechnen damit, dass die Zahl der Besucher und der Ausleihen im neuen Haus noch einmal deutlich steigt. In der Vergangenheit wurden stets um die 6.000 bis 8.000 Ausleihen pro Tag gezählt. Das neue Rücknahmesystem kann bis zu 1.800 Stück pro Stunde verarbeiten.

Der völlig neu gestaltete Oberlichtsaal macht schon durch reines Hörensagen Furore. “Da haben wir jetzt schon mehrere Anfragen von verschiedenen Unternehmen”, sagt Spazier. Nur buchen können sie den Saal mit seiner guten Akustik noch nicht. Die Gebührentabelle – die auch der Stadtrat bestätigen muss – muss noch ausgearbeitet werden. “Aber in der Anfangszeit werden wir den Saal natürlich für unsere eigenen kulturellen Veranstaltungen intensiv nutzen”, so Ackermann.

Am heutigen Samstag kann man sich das alles angucken, sieht auch einmal richtig volle Regale. Denn die Schließung des Interims seit August hat auch dafür gesorgt, dass viele gern ausgeliehene Medien wieder zurück ins Haus kamen. Auch das ein Thema – siehe den ersten Wunsch der Nicht-Leser: Der Erwerbsetat der Stadtbibliothek war jahrelang im Keller. Mittlerweile hat der Stadtrat beschlossen, dass der Etat mindestens so hoch sein muss, dass der Bestand binnen zehn Jahren komplett erneuert werden kann. Heißt in Zahlen: 1,2 Millionen Euro pro Erwerbsetat pro Jahr. Ab 2015 wird das so sein. Bis dahin gibt es Zwischenschritte. 860.000 Euro stehen im Haushalt 2013 zur Verfügung.

Am heutigen Samstag, 27. Oktober, wird das sanierte Haus von OBM Burkhard Jung um 10 Uhr eröffnet. Danach gibt es Mitmachangebote, Führungen, Kabarett. Um 16 Uhr bietet das Reinhard Quartett “Gehobene Schätze”, ab 18 Uhr singt Sachsendiva Katrin Troendle.

Am Sonntag startet das Programm um 14 Uhr mit dem Chor der Volkshochschule. Und der mongolische Schriftsteller Galsan Tschinag wird um 16 Uhr die neue Leipziger Lyrikbibliothek eröffnen. Ab 18 Uhr gibt es einen LivelyriX Slam. An beiden Tagen gibt es Kinderprogramm. Wenn die Kleinen überhaupt ein eigenes Programm brauchen, denn auch ihre Kinderbibliothek ist mit bunten und gemütlichen Ecken und Elementen ganz nach ihren Vorstellungen eingerichtet. Ganz ähnlich der Bereich der Jugendliteratur.

www.leipzig.de/stadtbib

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar