Die Fakten sind eigentlich kurz erzählt: Der deutsche Presserat, in welchem auch die Leipziger Internet Zeitung seit diesem Jahr eingeladenes Mitglied ist, befindet durch drei regelmäßig tagende Beschwerdeausschüsse darüber, ob es in den Presse-Medien Verstöße gegen die selbst auferlegte Ethik im journalistischen Bereich gibt. Dauersorgenkind ist die "BILD", weit weniger oft im Rund der öffentlich Gerügten die "Leipziger Volkszeitung". Diesmal hat es die LVZ Delitzsch-Eilenburg getroffen, weil Menschen in einem Kommentar von Frank Pfütze zu Abschaum und damit zu Abfall wurden.

Die Stimmung im eher beschaulichen Rackwitz hatte sich Anfang September 2013 arg verfinstert. Manche sahen bereits dem Untergang der 5.000-Seelen-Gemeinde entgegen, als in der ersten Septemberwoche die Informationen über ein Asylbewerberheim für 120 Personen durchsickerten. Schnell war die gesamte, früher der NPD vorbehaltene Klaviatur auf Wiedervorlage. Eben die, wie sie derzeit an allen “betroffenen” Orten bis hin zu Leipzig auf Seiten der besorgten “bürgerlichen Mitte” zum Einsatz kommt.

Die Kinder sind grundsätzlich gefährdet, wenn die Fremden kommen, Gewalt und Kriminalität reichen sich die schmutzigen Pranken und natürlich sinken die Grundstückspreise. Obenauf noch das böse Treiben der Linken und Rechten – wobei so manche rechtsextreme Gesinnung durchaus so lange in der freundlichen Nachbarschaft blüht, bis alle entsetzt auf einen selbstredend vollkommen unerwarteten Totschlag blicken können. Es ist nicht mehr der alte Schlachtruf “Ausländer raus”, der hier erschallt, eher die kleine verschämte Schwester: “Die sollen da etwas aufbauen, wo sie herkamen”.

Und natürlich das längst salonfähige “Not in my Backyard” statt offenen Armen für Schwache, da man sich selbst in der erodierenden Mittelschicht zurückgesetzt fühlt. Der Missbrauch der positiven Kraft von wirklichen Bürgerinitiativen, die sich mutig gegen Starke richten, ist hier ebenso immanent, wie der Ruf, man sei das! (eine) Volk. Längst gängige Argumente in der “Mitte einer Gesellschaft”, die selbstverständlich und ganz leise an der Seite von alternden Lokal-Journalisten gegen Asylbewerber, Moscheebauer und Andersdenkende ist, gelebt hinter Gardinen an Fenstern in eigenen Häusern mit Warmwasser und T-Shirt-Verhältnissen bei Minus 15 Grad im Vorgarten.
Da kann die offen auslebende NPD auch rasch zur geduldeten Schutzmacht, ja stellvertretend ausführenden Kraft werden. All dies geboren auch aus einem Ich-zentrierten Leben, das den täglichen Konsum und die Lektüre “der Zeitung” für politische Bildung hält, auch wenn man vielleicht nur noch die kleine Bestätigung der eigenen Vorurteile sucht. Denkfaulheit vielleicht, fehlende Neugier? Überforderung in jedem Fall. Am Ende landet das Kreuzchen bei der CDU, weil es für mehr Risiko nicht reicht – alles soll so bleiben, wie es ist – die Welt steht still.

Die Politik bemüht sich in einem solchen Umfeld immer wieder rasch – aber nur ganz kurzfristig – mit eiligen Handlungen, “auf die Ängste der Bürger” einzugehen. Im Falle von Rackwitz so sehr, dass sich der Widerstand der kleinen Gemeinde gelohnt haben dürfte. Statt irgendwann das dicke Brett der Erklärungen rings um die Exporterfolge Deutschlands, den weltweit tobenden Wirtschaftskrieg, auf dessen Siegerseite sich auch die Rackwitzer befinden, die Debatte über den fehlenden fairen Handel mit der “dritten Welt” zu beginnen, gab es hier seitens einer selbst ins Mark asylskeptischen Landesregierung eine Bestätigung für den Kampf der “anständigen Rackwitzer”. Und dies auch von einer machtlos und bildungsfern wirkenden Medien- und Politiklandschaft im Leipziger Umland.
Da wird kein Asylbewerberheim sein, wo sich der “anständige Deutsche” wehrt, lautet bis heute die Botschaft aus Rackwitz. Die zweite: Und deine Zeitung versteht dich.

So ist der nun öffentlich gerügte Kommentar-Versuch des LVZ Redaktionsleiters für Delitzsch-Eilenburg, Frank Pfütze, letztlich nicht mehr als eine Fraternisierung mit dem Entstandenen, nicht Hinterfragten, Liegengelassenen. Wenn er also Antifa wie Neonazis als roten und braunen Abschaum vulgo Abfall bezeichnet, versucht er zu begründen, warum sich die Rackwitzer selbst nicht dazugehörig fühlen müssen. Die Gleichstellung von Links und Rechts endet dabei entgegen der sächsischen Lehrmeinung zwar regelmäßig bei der Statistik für ermordete Mitmenschen in den vergangenen 23 Jahren – aber wo es die Mitte zu verteidigen gilt, scheint jede Abgrenzung wie ein Gewohnheitsrecht, jede Gleichstellung legitim. Und sei es nur, um zu zeigen – die sind die Finsteren, wir sind gerecht.

Denn sie, die Rackwitzer, Wahrener, Leipziger, Schneeberger, Grimmaer und Bornaer sind die Guten, Fleißigen, Überraschten, zufällig Betroffenen und gänzlich Unbeteiligten, die einfach Angst vor Flüchtlingen haben dürfen, ja auch müssen. Denn nun kommt das Böse, herbeigerufen durch die natürlich selbst ausschließlich kriminellen Asylbewerber in Gestalt von linken Radikalen und rechten Untermenschen – der Abfall ist zu Gast im sonst so freundlichen Rackwitz im immer freundlichen Sachsen.

1.200 Unterschriften gegen eine Unterbringung von 120 Asylbewerbern in ihrer Gemeinde stehen dem entgegen. Gegen jene 120 Asylbewerber, die es nun wohl besser getroffen haben, da sie nach Leipzig-Schönefeld kommen. 1.200 mögliche Abonnenten der LVZ.

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Kein leichter Gang gegenüber der Geschäftsleitung, wenn man als Redaktionsleiter nach dem eigenen Rückgrat, einem sicherlich gegebenen Bildungshintergrund und hier und da in Zeiten von Journalisten-Entlassungen nach etwas mehr Zeit zum Nachdenken suchen würde. Weil man sich mit den eigenen Lesern anlegen müsste, einem Bildungsauftrag verpflichtet.

Zeit – ein notwendiges Gut für Kopfballspieler übrigens, welches so ursächlich ist, dass dieser Kommentar einen halben Abend kosten musste. Auch auf die Gefahr hin, dass Anwanzerei schneller zu schreiben ist und besser verstanden wird.

Die Rüge jedenfalls geht letztlich an die gesamte LVZ, die Rackwitzer und an alle, die eine billige Lüge glauben wollen. Die Lüge, dass sie immer im Recht sind, wenn sie Andere im Namen einer scheinbaren Mehrheit aburteilen. Und das gilt auch für Nazis, weil man ihnen aus sehr guten Gründen eben in solchen Entmenschlichungen nicht Recht geben sollte. Sie haben es früher selbst mit Kommunisten, Juden und allen gemacht, die ihrer damaligen Mehrheit im Wege waren. In wirklichen Bildungsgesellschaften ist es das Wort, welches zum Schutz der Verfolgten wird.

Nachtrag: Nach Medienberichten möchte die LVZ die öffentliche Rüge, welche sie nach dem Pressekodex, welchen sie wie auch die L-IZ.de und viele andere Medien unterschrieben hat, zum Abdruck der Zeilen des Presserates verpflichtet, juristisch prüfen. Auch dies ist letztlich ein Missverständnis, da es sich um eine ethische und keine juristische Dimension handelt.
Es geht letztlich darum, einen Fehler einzugestehen, der mehr umfasst, als den Aussetzer eines Redakteurs.

Der Kommentar von Frank Pfütze nachzulesen bei der Initiative “menschen.würdig” (nicht ganz korrekt wegen der missachteten Urheberrechte)
Die drei Beschwerdeausschüsse des Deutschen Presserats tagten vom 03. bis 04.12.2013 in Berlin. Sie behandelten insgesamt 103 Beschwerden. 6 Veröffentlichungen wurden gerügt.

Kommentar zu politischer Auseinandersetzung geht zu weit

Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG erhielt eine öffentliche Rüge für einen Kommentar. Darin setzte sich die Redaktion mit Kundgebungen von NPD und linker “Antifa” im Zusammenhang mit der geplanten Einrichtung eines Asylbewerberwohnheims in einem kleinen Ort bei Leipzig auseinander. Der Kommentator hatte die Ansicht vertreten, “der braune und rote Abschaum” solle sich von dem Ort fern halten.

Der Beschwerdeausschuss war der Ansicht, dass die Bezeichnung “Abschaum” gegen Ziffer 9 des Pressekodex verstößt, weil sie beleidigend ist. Menschen als “Abschaum”, also Abfall, zu bezeichnen, verletzt die Menschenwürde der Betroffenen.

Die Ziffer 9 (Schutz der Ehre) lautet: Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.

Der deutsche Presserat im Netz
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