Das passte dann schon mal: Die Metropolregion Mitteldeutschland legt ein neues "Median"-Heft unter dem Titel "Läuft." vor - und gar nichts läuft. Die Post streikt erst mal und das Heft ist länger als eine Woche unterwegs. Zum Glück veraltet das Thema nicht so schnell. Im Gegenteil: Die ganze Region sitzt in den Startlöchern. Oder grübelt noch, wie man starten könnte. Oder denkt sich Blaupausen aus für eine Zeit, in der Politiker anders ticken.

So, wie man sich früher mal Politiker vorgestellt hat: vorausschauend. Bevor man dann in der deutscheinheitlichen Praxis erleben durfte, dass die meisten eben doch wieder nur Verwalter, Bremser, Bürokraten sind, ein Teil davon noch im Dampf-und-Kohle-Zeitalter zu Hause, ein anderer Teil bemüht, ja nicht durch Visionen aufzufallen. Und dann sind da noch die, die mit aller Sturheit an ihren kleinen regionalen Grenzen hängen und nicht merken, dass Prozesse dadurch gehindert und zerstört werden.

Was hat das mit der Post zu tun? Eine Menge. Denn wie kaum ein anderes Unternehmen steht dieser Konzern für die Frage nach moderner Logistik. Die Antwort hat die Post noch lange nicht gefunden. Dazu steckt sie noch viel zu sehr im alten Denken der reinen Senkung von Kosten. Aber genau das wird auch die Post zum Umdenken zwingen – denn das Thema der ausdünnenden ländlichen Räume wird auch die Organisation von Postdiensten anders erzwingen.

Nur wie?

Selbst beim ÖPNV gibt es auf einmal Kommissionen, Studien, Arbeitsgruppen, die sich Gedanken machen über die künftige Finanzierbarkeit, wenn immer mehr Menschen in die Großstädte abwandern und ländliche Räume ausdünnen. Ein notwendiges Thema in diesem Heft, das sich einmal konzentriert mit der künftigen Mobilität in Mitteldeutschland beschäftigt. Deswegen: “Läuft.” Hätte auch heißen können: “Läuft nicht.” Denn nicht nur beim ÖPNV hakt es. Das ist in mehreren Geschichten in diesem Heft Thema. Zum Beispiel, wenn sich Kai Bieler mit einer Machbarkeitsstudie der Metropolregion Mitteldeutschland beschäftigt (“Höchste Eisenbahn”), die die künftige Organisation und Finanzierbarkeit von Regionalverkehr untersucht. Da taucht auf einmal ein Begriff auf, der möglicherweise künftig mal Politik wird: “Mitteldeutschland-Takt”, verwandt dem von den Grünen geforderten “Sachsen-Takt”. Dahinter steckt: Züge endlich so fahren zu lassen, dass an allen Knotenpunkten vernünftige und berechenbare Umsteigebeziehungen bestehen. Zugverkehr also endlich einmal vom Fahrgast her denken. Ein überfälliges Thema.

Genauso wie die Frage: Wie kann man die zunehmend von Menschen entleerten ländlichen Räume noch sinnvoll und bezahlbar mit ÖPNV versorgen? Denn wenn es keine sicheren und regelmäßigen ÖPNV-Verbindungen mehr gibt, packen die Menschen erst recht ihre Sachen und ziehen weg.

Eigentlich ist das ein eigenes Thema: Wie kann man ländliche Siedlungsräume so organisieren, dass sie für ihre Bewohner attraktiv bleiben? Natürlich geht das. Aber das erfordert ein komplexes Umdenken bei allen Infrastrukturen – von der Post über die Nahversorgung bis hin zu Bus und Zug.

Um komplexe Zusammenhänge zu gestalten, braucht man Zahlen. Die gibt es eigentlich. Von Statistikämtern werden sie gesammelt – auf Bundes-, Landes-, Stadtteilebene. Man muss nur wissen, wie man sie in Modelle verwandelt. Oder erst einmal so anschaulich macht, dass auch Laien sehen können, wie Dinge sich verändern, wie das Leben in Mitteldeutschland fließt und aus Prozessen besteht.

So ein bisschen versuchen das die drei Akteure von Einundleipzig, die in diesem Heft vorgestellt werden.

Oft genug argumentieren Politiker mit Ist- und Soll-Zuständen. Das ist längst zu wenig. Nicht weil es früher weniger Prozesse gab, sondern weil die Informatik längst weiter ist. Es ist schlicht peinlich, wenn das Planen und Denken der Zeit noch passiert wie im Postkutschenzeitalter.

Schon wieder die Post. Die wird in anderen Geschichten ganz bestimmt wieder auftauchen. In diesem “Median”-Heft ist sie so explizit nicht vertreten. Dafür dominiert ein anderes Thema, das auch in Mitteldeutschland unübersehbar in der Sackgasse steckt: die Elektromobilität. Dabei hat die Region nicht nur exzellente Auto- und E-Bike-Bauer, die längst an der Spitze der Entwicklung operieren. Doch das Handicap sind nach wie vor die existierenden Strukturen. Die neuen E-Fahrzeuge versuchen in einem System Platz zu finden, das über 100 Jahre lang ganz und gar aufs spritgetriebene Auto zugeschnitten wurde. Doch das Autozeitalter in dieser Form ist an seine Grenzen gekommen. Die großen Städte ersticken im Blech – und zwar nicht im gestauten, das immer wieder gern beschworen wird, sondern im geparkten Blech. Es erweist sich immer mehr als logistischer Unsinn, wenn Menschen sich ein teures Auto zulegen, das sie keine Stunde am Tag brauchen – aber die restlichen 23 Stunden steht es da und frisst wertvollen Stadtraum.

Das wissen auch die Autobauer aus Leipzig: Der Trend wird zu flexibleren Mobilitäts-Angeboten gehen. Das wird nicht nur in Leipzig ausprobiert. Ein Projekt aus Thüringen wird vorgestellt, eines aus Sachsen-Anhalt.

Und zwischendrin gibt’s eine weitere Werbegeschichte für die Flughäfen in Leipzig und Dresden, dass man sich nur wundert: Muss das sein? Was soll diese Werbung für Sommerreiseziele, wenn die künftige Mobilitätsstruktur der Region Mitteldeutschland diskutiert wird?

Und dass die Flughäfen noch lange nicht gut vernetzt sind, sollte sich eigentlich herumgesprochen haben. S-Bahnen, die an Flughäfen enden und einfach nicht weiter fahren zur nächsten Großstadt, sind ein Witz. Sie erzählen aber von den Problemen dieser Region, den Grenzen in den Köpfen der Planer und Politiker, die sich noch lange nicht als Prozessgestalter verstehen, als Ermöglicher von notwendigen Veränderungen. Dabei sind die wichtigsten Probleme alle längst offenkundig. Sie haben auch alle mit Bewegung zu tun, mit der Schaffung nachhaltiger und logischer Vernetzungen.

Da erstaunt es schon, dass der “Mitteldeutschland-Takt” jetzt tatsächlich thematisiert wird. Wenn das bisherige Tempo beibehalten wird, ist das ein Thema für 2025, auch wenn die Metropolregion sich so etwas schon für 2017 wünscht, wenn die ICE-Strecke von München nach Berlin in Betrieb ist. Sollte das passieren, wäre es ein kleines Wunder. Aber Wunder sind in Mitteldeutschland in den letzten Jahren nicht passiert. Die Dinge, die es zur Verwirklichung geschafft haben, haben alle einen langen und zähen Entwicklungsprozess hinter sich. Und die meiste Zeit hat die Region mit den Achnee- und Nuja-Sagern vertrödelt, die irgendwie immer dann auftauchen, wenn alle anderen schon losrennen wollen. Oder losfahren. Was egal ist.

Mitteldeutschland ist eine ausgebremste Region.

Und nach 25 Jahren Rumgemähre verstärkt sich das Gefühl im Bauch, dass das von einigen Leuten sogar beabsichtigt ist.

Das in einer Auflage von 10.000 Exemplaren erscheinende Magazin „median“ richtet sich an Entscheider aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung, Investoren sowie Multiplikatoren und Medienvertreter. Dazu wird das Heft neben dem personalisierten Posteinzelversand zusätzlich vom 1. Juli bis 15. Juli 2015 im deutschlandweiten ICE-Netz der Deutschen Bahn in der 1. Klasse aushängen.

Die aktuelle Ausgabe kann auch unter www.mitteldeutschland.com als PDF heruntergeladen werden.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar