Manchmal träume ich von einer Stadt, die sich wieder lieben lernt - mit all ihren Schwächen. Und deren große Könige nicht so tun, als wäre alles unvergleichlich wunderbar. Ein großes, fröhliches Wir, frisch aus der Waschmaschine. Eine Stadt voller Blasmusik. Nur: Sie hört sich selbst nicht mehr zu. Sie ist wie ein großer Werbespot für Buntwäsche. Ich träume von einer Stadt, die sich wieder zuhört.

Die wieder lernt, sich selbst zu hören und nicht die platten Werbesprüche all der Leute, die eine Stadt für eine Ware halten. Oder ein Produkt, das man verkaufen kann, muss oder möchte. Als ginge es nur um die schöne Verpackung und den Glanz in den Augen der Käufer.

Nur: Wer nicht mithalten kann, sind eigentlich die Leipziger. Sie sind erstaunlich still geworden. Das Abwinken ist immer wieder zu sehen, wenn es darum geht: “Warum mischst du dich nicht ein? Warum überlässt du die Entscheidungen anderen? Als wäre es nicht auch deine Stadt, deine Straße, dein Quartier. Ein bisschen wenigstens.” Denn alles Meins ist es ja nie. Man ist immer nur Teil von etwas.

Aber wie wird man das, wenn man sich nicht zu Wort meldet? Oder einen Ort hat, an dem man sich hinsetzen kann, den Laptop aufschlägt und dann liest? Vielleicht noch einen Kaffee dazu. Eine Seite wie diese.

Von der ich weiß, dass sie noch viele Wünsche offen lässt. Manchem ist schon das Wenige, was wir hier veröffentlichen, zu viel. Noch viel mehr als das, was alle anderen veröffentlichen im Minutentakt. Alle auf der Jagd nach dem ersten, teuren Quentchen Aufmerksamkeit.

Und wir? Das erste Quentchen wollen wir gar nicht. Wir erzählen von keiner Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint. Und vielleicht wirklich aus den Fugen gerät, weil niemand mehr jemandem zuhört, alle nur noch um Aufmerksamkeit winseln. Oder schreien. Und die meisten Medien das genauso zeigen, weil sie das für wichtig halten. Weil alle es für wichtig zu halten scheinen.

Wieder zuhören lernen

Aber wer kann das ändern hier unten? Hier, wo unser Leben geschieht? In dieser Stadt? Niemand und alle.

Das Leben geht hier weiter. Und es geht uns an. Ganz elementar. Wir gestalten das, was aus diesem Fleckchen Erde wird. Unbewusst, wenn wir uns treiben lassen und alles so hinnehmen. Bewusst, wenn wir uns verständigen über die Geschichten, die jetzt zu erzählen sind. Das, was wir uns wünschen von diesem Ort auf Erden.

Aber wo am besten? Vielleicht auf der Seite einer Zeitung, die man aufklappen kann. Und die einlädt, wieder zuzuhören, wenn andere sprechen.

Was etwas Verpöntes ist. Ich weiß. Dazu ist im Dauerbeschuss immer neuer katastrophaler Meldungen kein Raum mehr. Atemlosigkeit beherrscht die Diskussionen, Gereiztheit, Gnadenlosigkeit. Eins drängt das andere aus dem Fokus, kreischt um Aufmerksamkeit.

10 Minuten Stille

Und dann wir mit dieser stillen Zeitung, die uns einfach wünschen: Setzen Sie sich doch zehn Minuten hin, lesen Sie das, was Sie berührt. Bis zu Ende. Auch wenn es in Ihnen fiebert, weil da draußen noch so viele neue Nachrichten, Sensationen und Ablenkungen warten.

Ja, warum nur? Kann es sein, dass Sie gar nicht zum Innehalten kommen sollen? Dass niemand will, dass sie mal für zehn Minuten herunterkommen, sich konzentrieren und sich in einen Text vertiefen? Tschuldigung. Ja, einige unserer Texte sind schrecklich lang.

Weil sonst gar nicht alles reingepasst hätte.

Aber, das müssen Sie zugeben: Es ist ein anderes Gefühl, wenn man sich so herunterregelt, die Bässe und die Spitzen rausnimmt. Und niemand verlangt, dass Sie das jetzt liken sollen. Oder disliken.

Kommentieren schon eher, weil es darum ja in Medien eigentlich gehen sollte: Dass die Leser wirklich wieder Leser werden und hinterher sagen können, was sie wurmt. Oder was noch fehlt. Oder was sie sich wünschen.

Leser sind Lotsen, wenn sie gut sind

Denn um der Stadt zuhören zu können, brauchen wir ja auch Sie. Als Lotsen in Ecken, in die wir seltener kommen oder noch gar nicht waren. Denn Zeitung ist eigentlich, wenn man sie regional denkt, eine dauernde Exkursion in die Tiefen und Untiefen der Stadt. Das kostet eine Menge Fahrgeld. Geduld sowieso. Und es dauert.

Zeit ist auf einmal eine Größe. Und wer die sich überschlagenden Nachrichten abschaltet, weiß, wie sich der Sturz in die Stille anfühlt. Beängstigend. Auf einmal sind wieder all die Dinge präsent, die man bei all dem Lärm völlig ausgeblendet hat.

Mancher rät uns: Dann peppt doch eure Seite auf! Macht Filmchen und witzige Clips. Das bringt Zuspruch. Wollen Sie das wirklich? Noch mehr Ablenkung? Kann es sein, dass das Schönste eigentlich eine aufklappbare Zeitung ist, die keine Ablenkung verspricht, sondern 10 Minuten Konzentration?

Zehn Minuten für etwas, was einen tatsächlich berührt. Ãœber das man reden könnte. Auch in der Zeitung selbst, die ja wie ein gutes Kaffeehaus sein könnte. Wo man in aller Ruhe seinen Kaffee trinkt und bis unten ans Ende liest. Und dann – wenn einem danach ist – schreibt, was einem wichtig ist. Oder was einem noch fehlt.

Aber vielleicht fehlt Ihnen ja nichts.

Kann ja sein. Vielleicht ist Leipzig dann auch nur eine Fata Morgana. Oder eine Waschmittelwerbung.

Eine neue Zeitung für eine andere Stadt oder Eine andere Zeitung für eine neue Stadt?

Eine neue Zeitung für eine andere Stadt oder Eine andere Zeitung für eine neue Stadt?

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Es gibt 4 Kommentare

Da ja Feedback gewünscht ist – und weil ich das Thema grad woanders hatte und wieder dran gedacht hab: Ich liebe ja eure Buchrezensionen (unter anderem), manchmal fesseln die mich schon so, dass ich dann auf den Link unten drunter klicke und das Buch dazu bestelle.
Vor ein paar Jahren gings um den Beschissatlas, den hab ich dann auch gleich bestellt. Das Buch ist toll, viele wichtige Fakten, über die ich viel und lange nachgedacht hab. Aber warum dieses Buch – und damit die Rezension – für mich so wichtig war: ich hab nach dem lesen sofort meine Ernährung auf vegetarisch umgestellt, noch nicht mal der Tiere wegen, sondern wegen all dem, was unser Fleischkonsum in der Welt anrichtet. Das alles wurd einfach zu gut erklärt in diesem Buch.
Drei Monate später war ich dann Veganerin (bis heute) und denke immer noch über dieses Buch nach. Und das alles, weil meine Lieblingszeitung spannende Buchrezensionen liefert. Danke von Herzen dafür. Und bitte nicht aufhören. 🙂

Tja, so ist es nun mal im Leben – was der eine mag, muss der Andere nicht mögen. Dennoch gestatte ich mir auch mal etwas “Eigenwerbung”, ganz ohne Jammern. Ich würde mich so rasend freuen, mehr Zeit zum Schreiben zu haben, dass ich es kaum in Worte bringen kann (untypisch).

Es ist eine hier richtig beschrieben Frage von Zeit. Zeit, sich wirklich eingehend mit Vorgängen zu befassen, Zeit, Veranstaltungen zu besuchen, fair zu berichten (statt etwas “hinzurotzen”), teilweise Vorgänge über Jahre zu beobachten und zu begleiten.

Mir ist neulich zum Beispiel klargeworden, was es für unzählige Stunden gekostet hat, Legida zu beschreiben, nicht nur durch mich, aber auch. Rückschlüsse zu ziehen auf die Anfänge auf den Montagswahnmachen war auch nur möglich, weil ich da dabei war usw. Parallel die gesamte Asylproblematik in Leipzig – nun verbunden mit den Fragen, wer eigentlich die neuen Wohnungen baut und warum wir trotz einer wachsenden Stadt mehr Geld für die Straßenbahn zahlen. Und wie es überhaupt dazu kam, dass die Löhne in Leipzig im Schnitt so niedrig sind usw.

In den Stadtrat zu gehen und sich vorab wirklich mit den Themen zu befassen, ist nur ein weiteres Beispiel.

Das alles (jetzt ganz ehrlich) hat in dieser Intensität niemand je bezahlt, die stillen Stunden des Lesens, Zuhörens, Nachvollziehens schon gar nicht. Die Stunden wären sozusagen unberechenbar gewesen. Es geht also auch um die “Ökonomisierung” von Journalismus. Immer schneller, immer mehr, immer gut? Nein – das wird nichts und mittlerweile sperrt sich auch einiges in mir, die nächste Runde im Affenzirkus der Beschleunigung mitzudrehen.

Es ist kein Jammern – versprochen. Ich habe in meinem ganzen Leben nie eine so harte Crew wie diese hier bei der L-IZ.de getroffen. Eine, die Entscheidungen mitgetragen hat, die ich lieber nicht beschreiben möchte, weil dann der Begriff “Jammern” oder “Selbstmitleid” absolut lächerlich erscheint.

Auch jetzt gehen wir mal wieder einen Weg, den noch niemand versucht hat. Wir suchen statt zu jammern nach rund 12 Jahren eine Entscheidung und argumentieren: ob es lokale Berichterstattung mit einem vernünftigen finanziellen Background geben kann oder ob wir halt „nur“ noch für Abonnenten berichten. In beiden Fällen ist es möglich mehr zu tun, als bislang – die Gründe haben wir in der Reihe „In eigener Sache“ schon ausführlich beschrieben. Und wir werden darin immer weiter schreiben, worum es geht …. Gern auch in kürzeren Beiträgen 😉

Das sollte jetzt wohl auch eher ein Kommentarartikel werden. Aber er ist auch hier gut aufgehoben. Danke Dave für den Anstoß.

M.F.

Ich seh das nicht als “Selbstmitleid”, sondern als berechtigte Frage. Aber das nur nebenbei.
Dem Rest schließ ich mich an, ich mag gerade die langen Texte.

Ich mag Eure Artikel, auch manche von den längeren, ich bewundere Eure Energie und Euren Einsatz für die wichtigen Themen dieser Stadt, ich mag, dass Ihr laute wie leise Themen aufgreift, ich mag die Diversität von Sport über Politik und Kultur bis zu Schwarwel (was ist eigentlich mit Volly Tanner?), aber was mir manchmal zu viel ist, sind Texte, die deshalb zu lang sind, weil ihr Inhalt breiter getreten wird als nötig, und was mir auch missfällt, ist das Selbstmitleid nach dem Motto ‘wie kann es sein, dass nur so wenige Leute für unsere tolle Qualität zahlen wollen’. Das bringt nix und führt nur zur Einigelung. Meiner Meinung nach. Trotzdem bin ich sehr froh, dass es Euch gibt. So, das hätte vielleicht besser ein Leserbrief werden sollen.

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