Diese Serie scheint doch zu einer Art Mittelstreckenrennen zu werden. Wer dranbleibt, weiß, dass wir uns eine Menge Gedanken darüber machen, warum Journalismus heute so in der Krise steckt. Oder zu stecken scheint. Denn eigentlich steckt er nicht in der Krise. Er ist nur unter Beschuss geraten. Es gibt eine Menge Leute, die wären froh, wenn es keinen unabhängigen, kritischen Journalismus mehr gäbe. Einen, der ihnen auf die Finger guckt und hinter die Kulissen schaut.

Journalisten sind neugierige Leute. Eigentlich wollen sie nur wissen, was wirklich los ist. Denn das ist das Lebenselixier einer offenen Gesellschaft. Was gern verwechselt wird mit Meinungsfreiheit. Die beschreibt etwas anderes.

Pressefreiheit bedeutet nicht, jeder Meinung denselben Raum einzuräumen oder sie gar hinzunehmen, wie Leute sie äußern. Aber aufmerksam sein sollte man. Denn hinter Meinungen stecken Interessen. Immer steht die Frage: Wem nutzt es? Und wohin führt es?

Und was passiert mit einer Gesellschaft, die nicht mehr nachfragt, die in Filterblasen abtaucht und nicht mehr miteinander kommuniziert? Auch nicht mehr fragt?

Dass viele Medien heute in der Krise stecken, hat damit zu tun. Denn ein paar clevere Bürschchen im Silicon Valley haben ja, wie sich sicher herumgesprochen hat, die gesellschaftliche Gesprächsbasis neu erfunden. Sie nennen es „social media“. Und sie verdienen damit richtig viel Geld, denn sie haben entdeckt, dass man mit der Art und Weise, wie journalistische Medien bislang ihr Geld verdient haben, noch viel mehr Geld verdienen kann. Sie haben riesige Netzwerke aufgebaut, in denen die Nutzer eben nicht nur Nutzer sind, sondern selbst Produzenten. Sie haben die Produktion von Informationen potenziert. Milliarden dieser Informationen schwirren permanent durch diesen Kosmos und werden automatisch geteilt und verteilt. Wer in dieser Welt unterwegs ist, bekommt ständig neue Informationen.

Und er kann selbst welche produzieren. Und Algorithmen verteilen sie weiter – nach Vorlieben. Jeder kann sich auswählen, was er gern sehen möchte. Den Rest erledigen clevere Maschinen.

Hoppla. War da was?

Was passiert, wenn jeder sich seine News-Welt selbst zusammenstellt?

Wird er zum Redakteur seiner eigenen Medienwelt? Wird er. Mit allen Konsequenzen. Konsequenzen, die den Cleverles in Kalifornien nicht mal einleuchten wollen. Denn aus ihrer Sicht ist das System genial. Denn ihnen geht es nur um Ausspielkanäle. Sie können jedem Werbekunden etwas schenken, was der bei den alten, klassischen Medien so nie bekommen hätte – und wovon Werbetreibende augenscheinlich träumen: Zielgenaue Werbung. Nutzergenau. Denn jeder Nutzer dieser gigantischen Netzwerke ist auslesbar. Er bezahlt die unendlichen Möglichkeiten seines Lebens in dieser digitalen Welt mit Daten. Mit dem kompletten auslesbaren Datensatz.

Das finden viele sogar gut. Denn damit werden sie ja doppelt transparent: Die große Maschine weiß, was sie mögen, und liefert es ihnen – von Algorithmen punktgenau ausgerechnet – direkt auf ihre Seite.

Aber – nicht vergessen: Das ist die Sicht der Netzwerkbetreiber. Das ist ihr Geschäftsmodell.

Und andersherum? Was passiert da?

Was passiert, wenn Menschen auch über ihre Gesellschaft nur noch das erfahren, was die Algorithmen für sie auslesen?

Das klingt doch auch positiv, oder? Jeder wird nur noch mit Nachrichten konfrontiert, die ihm gefallen.

Es ist trotzdem Zensur. Sogar eine freiwillige, selbst gewählte. Spätestens dann, wenn diese Art Auswahl dazu führt, dass die klassischen, unabhängigen und deshalb oft auch so ärgerlichen Medien ausgeblendet werden.

Der Kampf liegt noch gar nicht so weit zurück, da bot der größte dieser Social-Media-Konzerne allen klassischen Medien an, sie könnten sich, wenn sie in der Timeline der Nutzer mit ihren Artikeln angezeigt werden wollten, ja einkaufen. Quasi bezahlen dafür, dass sie in diesem Kosmos der Milliarden schwirrenden Informationen (von denen 99,9 Prozent reiner Schrott sind) überhaupt noch wahrgenommen werden. Im nächsten Schritt war es noch honoriger. Da wurde ihnen angeboten, sie könnten ihre Artikel for free einspeisen und würden sogar noch Geld bekommen, wenn sie auf ihre Marke verzichten, dafür an der eingeblendeten Werbung mitverdienen. Klingt immer schön: Mitverdienen.

Das haben eine Reihe renommierter Verlage auch getan. Bis sie dann die Rechnung gesehen haben: Sie haben Leser verloren und nur Peanuts verdient. Peanuts, mit denen man keine Journalisten bezahlen kann.

Die meisten sind wieder ausgestiegen, weil sie begriffen haben, dass auch dieses Modell sie einfach verschlingt, ohne ihnen in diesem künstlich geschaffenen Kosmos wieder die Rolle zu geben, die sie draußen, in der alten analogen Welt, noch haben. Noch. Zumindest bei denen, die noch klassische Medien konsumieren und bereit sind, sich damit zu konfrontieren, dass Meinungen und Vorurteile noch keine reale Sicht auf die Welt sind.

Das werden immer weniger.

Denn es ist unbequem. Es ist unbequem, der informierte Bewohner einer demokratischen Gesellschaft zu sein.

Es ist bequemer, sich in einer Informationsblase immer wieder bestätigt zu fühlen, dass alle Leute um einen herum genauso denken. Auch wenn es lauter Chauvinisten sind. Oder Leute, die den Klimawandel für eine Erfindung „der Medien“ halten. Der anderen Medien.

Denn auch die großen „social media“ sind Medien. Nur ist das den Nutzern selten bewusst. Und weil es ihnen nicht bewusst ist, misstrauen sie den Informationen nicht, die der Algorithmus für sie auswählt. Sie haben ja selbst ihre Wünsche angemeldet, was sie gern sehen wollen.

Die „social media“ sorgen also für zwei Dinge: Sie verstärken die Zersplitterung der Gesellschaft und die Unfähigkeit unterschiedlicher Gruppen, miteinander zu kommunizieren – denn der Algorithmus sorgt ja dafür, dass sie sich gar nicht mehr digital begegnen. Und sie sorgen dafür, dass sich die Nutzer für informiert halten, obwohl sie nur noch den kleinen Teil sehen, den die Algorithmen für sie ausfiltern. Sie haben sich selbst zensiert und leben in einer digitalen Welt ohne Widersprüche. Einer Wohlfühlwelt. Aber wer die Widersprüche ausfiltert und den Nutzern suggeriert, sie müssten sich mit den Widersprüchen nicht mehr beschäftigen, der macht sie ahnungslos. Und gegenüber dem, was in ihrer Welt geschieht, blind. Und damit auch machtlos. Denn wer die Mittel nicht (mehr) hat, einzuschätzen, wie die Dinge wirklich sind, der ist nicht besser informiert, sondern schlechter.

Der gute Werbekunde ist der hilfloseste Bürger, den man sich vorstellen kann.

Und weil das so ist, werden diese Art „social media“ zu Brandbeschleunigern. Weil sie das Gefühl in den abgeschotteten Gruppen verstärken, über alles nötige Wissen zu verfügen. Sie merzen den Zweifel aus. Das ist brandgefährlich.

Moderne Gesellschaften sind auf den Zweifel angewiesen. Nur wenn der Zweifel lebendig ist, der alles jederzeit in Frage stellt, bleibt der Wunsch lebendig, sich zu korrigieren, Fehler zu beheben, Dinge besser zu machen.

Denn der eigentliche Wachstumstreiber der menschlichen Gesellschaft ist nicht das viel gelobte BIP. Nur so am Rande: Auch Marktgläubige leben in einer Filterblase. Die Filterblase ist keine neue Erfindung. Aber sie wird mit digitalen Algorithmen ins Extrem getrieben.

Der eigentliche Wachstumstreiber war immer der Zweifel, verbunden mit Neugier und dem Willen von Menschen, die Dinge besser zu machen.

Wer in seiner Peergroup das Gefühl hat, alles sei richtig und die eigene Truppe unschlagbar und unvergleichlich, der verliert dieses wichtige Antriebsmittel. Der wird erst geistig bequem und dann real radikal. Weil er dann glaubt, seine Lösung für alles müsste man auch allen anderen überhelfen.

Geistige Filterblasen führen in den Radikalismus. Egal, wie er sich nennt.

Deswegen haben Demokraten die Medien immer für wichtig gehalten. Auch wenn sie ärgerlich waren. Und hoffentlich wieder werden. Denn augenblicklich sind die meisten Medien sehr verängstigt, manche auch panisch. Denn mit den genialen Modellen aus dem Silicon Valley wurde ihnen der finanzielle Boden unter den Füßen weggezogen. Und zwar gleich doppelt: mit den Werbeeinnahmen und mit der Aufmerksamkeit der Bürger.

Denn realer Journalismus hat etwas Unbequemes: Er macht immer wieder klar, dass Dinge nicht perfekt sind, manchmal sogar falsch oder kaputt, zerstörerisch oder tödlich. Journalisten versuchen, eine unbequeme Ware ans Volk zu bringen. Sie sind exemplarische Vertreter des ewigen Zweifels. Und sie hören nicht auf nachzuhaken, so lange der Zweifel nicht aufgelöst ist. Weil sie das für ihre Aufgabe halten. Nämlich, dass eine funktionierende Gesellschaft sich fortwährend immer wieder selbst infrage stellen muss, alle ihre Grundlagen, Denkweisen und Visionen. Journalisten sind es, die melden, wenn etwas kaputt ist.

Das stört. Das stört so sehr, dass sich einige Leute freuen, wie die Konzerne aus dem Silicon Valley die Medienvielfalt in Deutschland Stück für Stück auffressen. Ihr einfach die Basis wegoptimieren. Denn wo die ständigen Zweifler und Frager fehlen, kann man irgendwann machen, was man will. Dann wird Politik wieder zu einer gut verborgenen Sache. Und zu einer gut verkäuflichen. Auf dem Weg sind wir ja schon lange. Denn es ist ja nicht so, dass dem Journalismus in Deutschland nicht schon viele Zähne gezogen worden wären.

Wenn aber die verbliebenen kritischen Medien ausgefiltert werden, was richtet das dann eigentlich mit den Bürgern und ihrer heiß geliebten Demokratie an?

Wie viel sehen sie dann davon noch? Und wie viel bleibt dann erst recht verborgen, weil diese komischen Leute fehlen, die einfach meinen, dass Zweifeln und Nachfragen zum Handwerk gehört? Die Stück für Stück „zu teuer“ geworden sind, entlassen, weil die Werbekunden eine Art Wohlfühl-Welt besser finden, weil sich da mehr verkaufen lässt. Wen interessiert denn, ob die Welt das aushält?

Sollte uns das nicht jeden Tag interessieren? Weil es unsere Welt ist? Nur so als Frage.

Journalisten sollten eigentlich immer in der Enkel-Dimension denken: Wo führt das alles hin, wenn wir heute nichts ändern?

Das ist genau die Frage, die so unbequem ist. Und weshalb Journalismus heute so unter Beschuss steht. Denn wer wird schon an die Enkel denken, wenn er heute den großen Reibach machen kann?

Die Serie „Medien machen in Fakenews-Zeiten“.

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