Wissen Sie, was Prioritäten sind? Man lässt den Sektempfang sausen und widmet den geretteten Abend einem Buch. Genau das mache ich heute. Der Sektempfang findet im Leipziger Alten Rathaus statt. Dort bekommt der junge Leipziger Verlag Spector Books heute Abend feierlich den Sächsischen Verlagspreis 2018 überreicht. Damit macht der Freistaat darauf aufmerksam, was die eher kleinen Verlage in Sachsen wirklich leisten – nicht nur für die Leser und Autoren.

Bücher sind eben nicht nur so ein komisches Dings, in dem man herumblättern kann. Soweit ich das sehe, beschäftigt sich weit und breit keine einzige wissenschaftliche Institution mit der Frage, welche Rolle Bücher tatsächlich in der Selbstwahrnehmung einer Gesellschaft spielen. Die Medienlehrstühle sind fast überall rein auf Technik und Marketing ausgerichtet. Regelrecht wehrlos gibt sich die Politik, wenn einschlägige Tech-Konzerne in immer neuen Wellen ihre überteuerten technischen Geräte in die Schulen drücken.

Und damit wichtige Lern-Trainings verdrängen.

Ich halte das für Absicht.

Dass Bücher aber seit Jahrhunderten etwas tun, was alle diese technischen Spielzeuge nicht können, das scheint den ganzen Media-Forschern nicht einmal aufzufallen. Vielleicht, weil sich Konzentration nicht quantifizieren und messen lässt.

Eigentlich wäre es ein Thema für das Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. Denn es gehört zum großen Thema „Wie Denken funktioniert“ und dem Unterthema „Wie wir unsere Fähigkeiten zum Denken trainieren“. Manches davon findet in der Schule statt – oft genug auf erstaunlich wackeligen (oder unbewussten) Grundlagen. Denn beim strukturierten Lernen bilden sich die entsprechenden „Arbeitsstrukturen“ auch im Gehirn aus. Unser Gehirn ist zwar organisch betrachtet kein Muskel, muss aber, um Höchstleistungen zu erzielen, trainiert werden. Deswegen muss man Denken lernen.

Und all die Dinge, die dazugehören: Verknüpfen, Ordnen, Strukturieren, Mustererkennung, Logik usw.

Alles höchst komplex. Die Forscher beobachten, wenn es da oben im Schädel richtig zur Sache geht, regelrechte Feuerwerke unterm MRT. Dann nehmen die unterschiedlich funktionalen Areale im Gehirn Verbindung miteinander auf und ein Feuerwerk an Impulsen rast hin und her – das wir selbst ja nicht sehen. Wir erleben es als eine Flut von Bildern, Assoziationen, Worten, Gefühlen. Und manchmal herrlichen Aha-Effekten. Geistesblitzen, wie es so schön anschaulich heißt.

Und als der Mensch die Schrift erfand, fügte er noch ein weiteres Element hinzu: Die Konzentration. Wer liest, konzentriert sich auf die kleinen Zeichen auf der Seite, das Gehirn schaltet die derzeit überflüssigen Reize aus der Umwelt ein paar Stufen tiefer und setzt damit Kapazitäten frei, die vorher immerfort damit beschäftigt waren, die Signale aus der Umwelt zu dechiffrieren. Wenn man liest, sitzt man ja zumeist an einem sicheren Ort. Da muss man nicht unbedingt auf Tiger, Wegelagerer oder grimmige Honks achten.

Auch wenn das Sensorium die Reize aus der Umgebung weiterhin wahrnimmt und bei möglicher Gefahr wieder alle Sinne auf volle Leistung schaltet. Aber da das in der Regel nicht passiert beim Lesen, kann der größte Teil des Gehirns auf die volle Breite der Informationen umschalten, die der scheinbar so leblose Text auf dem Papier tatsächlich in sich trägt. Denn der Text besteht ja aus Sprache. Und Sprache ist ein Komprimat aus Bildern, Assoziationen, Emotionen.

Was sogar der erlebt, der sich nur ein Hörbuch einlegt und dann mit geschlossenen Augen auf der Couch liegt.

Was eben auch heißt, dass gedruckte Texte bei all jenen, die sie lesen, genau diese Breitband-Effekte im Gehirn auslösen. Nicht alle Bücher. Es gibt auch Bücher voller Geschwätz, oberflächlich, unkonzentriert, gedankenleer. Wer viel liest, weiß das. Und weiß auch, wie enttäuschend das ist, wenn man mit solchen Texten zu tun bekommt. Wie das regelrecht Kopfschmerzen auslöst.

Ja, auch viele Schultexte gehören dazu.

Das ist leider so.

Es gibt keine Unterrichtseinheit in unseren Schulen, die sich wirklich mit der Funktionsweise von Texten und Sprache beschäftigt. Obwohl wir darüber mittlerweile so einiges wissen. Aber in unserer Gesellschaft dominieren Medien, in denen der geschriebene Text kaum noch eine Rolle spielt. Mit fatalen Folgen. Sie verändern Welt-Sichten. Sie prägen Bilder. Und sie fressen mit ihrer Inkonsistenz die Zeit und die Konzentration, die Menschen eigentlich brauchen, wenn sie etwas komplexere Vorgänge erst einmal begreifen wollen.

Denn wenn das alles als Bild durch unsere Aufmerksamkeit flutet, entstehen keine Strukturen, docken all diese Nachrichten nicht in Erkenntnismustern an. Dann dominieren die schrillen Clowns, die um die Sekundenaufmerksamkeit konkurrieren. Aber das, was wirklich wichtig ist zu wissen, um die Dinge einordnen zu können, wird weggefiltert.

So wie bei einem Smalltalk beim Sektempfang. Sorry, Martin Dulig, Dr. Eva-Maria Stange und Burkhard Jung – ich werde nicht mit Ihnen anstoßen. Auch nicht mit dem netten Helmut Stadeler, dem Vorsitzenden des Börsenvereins in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, und auch nicht mit dem Literaturkritiker Denis Scheck.

Dafür werden Markus Dreßen, Anne König und Jan Wenzel da sein, die drei von Spector Books, die ja eigentlich mit diesem ersten Sächsischen Verlagspreis ausgezeichnet werden.

Wofür sie ihn bekommen, hat Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange am 1. März so erklärt: „Ich freue mich, dass mit dieser Entscheidung ein herausragender sächsischer Verlag in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt wird. Mit dem Sächsischen Verlagspreis wird der Beitrag der unabhängigen Verlage für die kulturelle, wissenschaftliche und gesellschaftliche Vielfalt im Freistaat gewürdigt.

Darüber hinaus geht es um die Anerkennung des unternehmerischen Idealismus’ und persönlichen Engagements in dieser Branche. Wir schätzen gestalterisch und literarisch hochwertige Bücher und wissen doch, dass die durch die Digitalisierung veränderten Lesegewohnheiten die Verlage vor besondere Herausforderungen stellen.“

Man merkt: Auch die Regierung ist noch sehr auf der idealistischen Schiene und sieht nicht wirklich, wie wichtig Bücher eigentlich sind, wenn man denn schon mal davon träumt, einmal eine Wissensgesellschaft werden zu wollen. Wir sind ja keine. Ein paar wenige unter uns sind eine.

Der Rest läuft – hübsch am Nasenring geführt – der Informationsgesellschaft hinterher. Jetzt frage mal einer seinen Lehrer, wo der Unterschied zwischen Information und Wissen besteht. Viele Lehrer werden dabei ins Stottern kommen. Außer die guten, die es wirklich wissen.

Ein paar Zahlen zum Verlagswesen in Mitteldeutschland lieferte das SMWK auch noch. Danach sind in Sachsen allein 197 engagierte Klein- sowie Großverlage tätig, über 70 davon in der alten Verlagsstadt Leipzig, die mit rund 1.000 jährlich produzierten Neuerscheinungen in Mitteldeutschland die Nr. 1 ist.

Der Welttag des Buches am 23. April wurde 1995 von der UNESCO eingerichtet als Feiertag für das Lesen, für Bücher, für die Kultur des geschriebenen Wortes und auch für die Rechte ihrer Autoren.

Seit 2003 vergibt der Landesverband Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen des Deutschen Buchhandels e.V. auch einen Preis von 250 Euro für ein Mitglied, welches mit einer besonderen Veranstaltung zum Gelingen des „Welttags des Buches“ beiträgt.

In diesem Jahr wird der Verlag salomo publishing aus Dresden ausgezeichnet. Aus diesem Verlag haben wir jüngst erst den Historischen Roman „Sudička“ von Dieter Kalka vorgestellt.

***

Und jetzt noch zum heutigen Sektempfang, zu dem Börsenverein und Ministerien auch noch ein paar wichtige Vor-Worte mitgeschickt haben. Denn: „Die Freiheit des Wortes ist die Grundlage einer freien, demokratischen Gesellschaft. Unabhängige Verlage verbreiten das freie Wort, stoßen Debatten an, fördern den gesellschaftlichen Dialog und die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft.“

Was ja auch die schlichte Erkenntnis impliziert: Einfach eine Meinung zu haben, hat mit freiem Wissen und Denken noch nichts zu tun. Nicht einmal ansatzweise.

Verliehen wird der Preis heute um 18 Uhr im Alten Rathaus. Der Eintritt ist frei,

Für jeden, der Spector Books einmal kennenlernen möchte, ist das bestimmt ein lohnender Termin.

Ich werde mich trotzdem in ein Buch zurückziehen. Über das ich dann morgen an dieser Stelle erzähle. Einer muss ja weitererzählen, was die hiesigen Verlage so alles in Bücher packen.

Wer die Bücher im Kosmos der L-IZ sucht, findet sie hier.

 

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