Es gibt Leidenschaften, die können selbst vormundschaftliche Regierungen nicht unterbinden. Dazu gehört auch das Sammeln von schönen und wertvollen Büchern, Grafiken und Exlibris, wie es die Menschen betreiben, die sich in der 1956 in (Ost-)Berlin gegründeten Pirckheimer-Gesellschaft tummeln. Die gibt vierteljährlich ein Heft mit dem schönen Titel „Marginalien“ heraus. Und darin geht es natürlich um Bücher und Bücherfreunde.

So wie in der Nummer 249, welche die Mitglieder der Pirckheimer-Gesellschaft in diesem Frühjahr zugesandt bekamen. Und weil sie Mitglieder sind, bekamen sie auch gleich noch die Grafik „Engel“ des in Leipzig lebenden Grafikers Karl-Georg Hirsch dazu. Der in diesem Heft der „Marginalien“ auch eine Rolle spielt, denn er ist einer der spannendsten und emsigsten Illustratoren von Büchern. Und deshalb sind die von ihm illustrierten Bücher auch ein begehrtes Sammlerobjekt. Auf 110 Titel kommt Gerhard Rechlin als ausgewiesener Hirsch-Sammler.

In diesem Beitrag geht es einfach einmal um Vollständigkeit. Sammler können ja einfach nicht mehr schlafen, wenn sie wissen, dass ihre schöne Sammlung immer noch Lücken aufweist.

Sie können gar nicht klein genug sein

Andere Buchbesitzer können aus anderen Gründen nicht schlafen. Etwa, wenn sie der Spur der Mini-Bücher durch die menschliche Buchgeschichte folgen – wie das Kurt Freyer in seinem 1929 veröffentlichten Essay „Über das Sammeln kleiner Bücher“ tat. Die er natürlich selbst auch sammelte. Aber er wollte zugleich wissen, warum es überhaupt so winzige Bücher gab, die eben nicht nur für Bibliophile hergestellt wurden von Druckern, die einmal ihr ganzes Können zeigen wollten. Dagegen sprechen die vielen kleinen Bücher, die als Kalender, Gebetbuch, Bibel auch für Leute gedruckt wurden, die diese Bücher aus ganz praktischen Bedürfnissen kauften.

Aber Kurt Freyer wird mit diesem Beitrag auch deshalb gewürdigt, weil Rainer Stamm dieses Heft dazu nutzt, um die Lebensgeschichte des Kunsthistorikers und Antiquars zu skizzieren, der Deutschland schon 1933 verließ, weil er sah, was die an die Macht gekommenen Nationalsozialisten den Juden im Land antun würden. Was aber auch das Ende seiner Buchhandlung „Utopia“ bedeutete, die auch durch ihre Buchkataloge bis heute unter Sammlern bekannt ist. Kataloge, die selbst bibliophile Begeisterung auslösen.

So wie ein 1929 erschienenes Fotobuch, das Jan Tschichold und Franz Roh herausgaben, um die Avantgarde-Fotografie ihrer Zeit einmal in einem gebundenen und hochwertig gestalteten Buch mit dem Titel „foto-auge“ zu versammeln. Schon damals mit ein wenig zu viel Zutrauen in die möglichen Käufer, sodass deutlich weniger Exemplare von „foto-auge“ verkauft wurden, als gedruckt waren. Mit dem Ergebnis, dass die überlieferten Exemplare schon wenige Jahrzehnte später antiquarisch teuer gehandelt waren.

Und ein Verlag sich gefordert sah, von diesem besonderen Buch der Fotogeschichte 1973 ein Reprint zu veröffentlichen. Ein Reprint, das bei Jan Tschichold gewaltige Verärgerung auslöste, das aber heute selbst längst zu einem gesuchten Objekt im antiquarischen Handel geworden ist.

Warum sich Jan Tschichold so ärgerte, erzählt Roland Jaeger in diesen „Marginalien“ geradezu lustvoll. Es sind scheinbar Marginalien, an denen sich Buchgeschichten anknüpfen. Aber es geht immer um mehr. Mal um eine besondere Qualität des Lesens. Mal aber auch um eine dicke Portion Subversivität, die es auch im DDR-Buchhandel gab.

Un-Passend vorher und nachher

Davon berichtet Jens-Fietje Dwars in seinem Beitrag „Der Verleger Gerhard Wolf“, in dem es zuerst um den 2023 verstorbenen Gerhard Wolf geht, der fast im Schatten seiner Frau Christa (1929–2011) verschwindet, obwohl er selbst als Autor und Verleger wichtige Beiträge zur kritischeren DDR-Literatur beitrug. Ein Beitrag, den er nach der Vereinigung mit der Janus-Press fortsetzen wollte, nur um zu merken, dass man mit einem anspruchsvollen Kleinverlag immer nur am Minimum vorbeischrammt. Denn Geld gemacht wird im gesamten Deutschland nun einmal mit Pageturnern für Leute, die einfach nur unterhalten sein wollen.

Und bei der Gelegenheit würdigt Dwars auch die von Gerhard Wolf seit 1988 im Aufbau Verlag herausgegebene Reihe „Außer der Reihe“, mit der Wolf Autorinnen und Autoren aus der Underground-Szene im Buchhandel verfügbar machte – Bert Papenfuß-Gorek, Jan Faktor und Gabriele Kachold zum Beispiel. Im Jahr 1988 noch ein echter Tabubruch. Erstmals waren die unangepassten Stimmen in richtigen, typografisch auffällig gestalteten Büchern erhältlich, merkten auch die Leser im Land, was alles möglich war. Doch die deutsche Vereinigung überlebte auch diese Reihe nicht lange.

Nicht nur, weil diese Art Literatur im Westen so außergewöhnlich nicht wirkten. Kritiker meinten eher, dass das doch alles schon mit der westlichen Moderne abgegolten wäre.

Man merkt schon, dass Literatur auch einen Hallraum braucht. Und dass es nach 1989 tatsächlich so war, dass die auf leise, kritische Töne geeichten DDR-Leser/-innen sichtlich verschwanden. Jetzt stand ja die politische Kritik jeden Tag in der Zeitung. Und die Feuilleton-Szene, die diese besonderen Stimmen aus dem Osten wahrgenommen hätte, gab es nun auch nicht mehr. Jetzt bestimmte der Markt, was sich verkaufte. Und wo sich noch Freiräume für Untergrund-Szenen fanden.

Oder wie Dwars schreibt: „Am schick sanierten ‚Prenzlberg‘ zogen Neu-Berliner aus dem Westen ein, der Anpassungszwang der bürgerlichen Verhältnisse trocknete die Szene aus, es genügte nicht mehr, Kunst als Ausdruck einer subversiven Lebenshaltung zu schaffen, wer von ihr leben wollte, musste sie nun als Ware nach den Maßgaben des Marktes verkaufen.“

Buchgeschichte ist immer auch Gesellschaftsgeschichte. Bis in die Illustrationen hinein, die oft noch deftiger sind als der Inhalt. Ein Thema, das der als Karikaturist bekannt gewordene Harald Kretzschmar anreißt, wenn er in einem Beitrag über seine Leidenschaft für den Siebdruck erzählt.

Die Mitglieder der Pirckheimer Gesellschaft bekommen die „Marginalien“ kostenlos zugesendet, weil diese im Mitgliedsbeitrag enthalten sind. Aber der Verlag bietet den Bezug auch als Jahresabonnement für 74 Euro zzgl. Versandkosten an. Was zumindest für alle von Interesse sein dürfte, die in Büchern etwas mehr sehen als ein Verbrauchsprodukt.

„Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie“, Nr. 249, Quartus Verlag, Bucha bei Jena 2023.

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