30 Jahre alt wurde die Literaturzeitschrift „Palmbaum“ aus Thüringen in diesem Jahr. Eine Gelegenheit, die sich Herausgeber Jens-Fietje Dwars nicht entgehen ließ, um das Jubiläum auch einmal mit einem besonderen Buch zu feiern. Diesem hier: Ein reich bebilderter Besuch in der Ateliers von 28 ostdeutschen Künstlerinnen und Künstlern. Als wäre Kunst im Osten noch immer etwas Subversives. Ist sie auch.

Seit 2005 ist Dwars Herausgeber der Literaturzeitschrift. Und von Anfang an wollte er jedes Heft von Künstlern und Künstlerinnen gestalten lassen – jedes anders und unverkennbar, passend zu immer neuen Inhalten. Gern auch gegen den Strich. Der wohl beste Weg, die Menschen in den Ateliers tatsächlich einmal kennenzulernen, wenn man sie noch nicht kennt.

Und die meisten kennen auch die Ostdeutschen nicht. Denn dazu muss man in Museen und Galerien gehen, Ausstellungen wahrnehmen und sich wirklich in Bilderwelten begeben. Und am besten auch selbst ein bisschen sammeln. Denn Kunst gehört ja eigentlich nicht ins Museum, sondern an die Wand. Dwars macht es so. Er kennt das gute Gefühl, das man hat, wenn an den Wänden der eigenen Wohnung Bilder hängen, zu denen man eine tiefe persönliche Beziehung hat.

Auch weil man den Künstler kennt, ihn mehrmals besucht hat oder bei Ausstellungseröffnungen getroffen.

Abseits von Zensur und Markt

In jedem „Palmbaum“ erzählt Dwars seitdem auch, wie es zur Umschlaggestaltung kam und welche Künstlerinnen und Künstler dahinterstecken. Denn er ist ja hingefahren, hat sie in ihrem Atelier besucht (manchmal mit unerwarteten Abenteuern auf der Strecke) und sie dort zu ihrem Schaffen, ihrem Kunstverständnis, ihren Techniken und Lebenserfahrungen befragt. Einige der Befragten haben natürlich ihren künsterischen Weg schon in der DDR begonnen – in der Regel abseits der staatlichen Wünsche und Forderungen, oft genug sogar gegen die Erwartungen der Funktionäre.

Dafür steht symptomatisch ja Gerhard Altenbourg, den Jens-Fietje Dwars zwar nicht mehr besuchen konnte, den er aber trotzdem würdigt, weil er exemplarisch die künstlerische Widerborstigkeit in einer Zeit vertritt, als Parteifunktionäre tatsächlich glaubten, Künstlern befehlen zu können, was und wie sie zu schaffen haben.

Und Altenbourg war ja nicht der einzige, der sich abnabelte, um sich von politischen Erwartungen nicht in das Kunstschaffen hineinpfuschen zu lassen. Dwars hat mehrere solcher Künstlerpersönlichkeiten besucht, die sich vor 1990 schon ihr eigenes Refugium schufen, meist sogar idyllisch gelegen, versteckt in ost- und mitteldeutscher Landschaft. In umgebautne Ställen, Pfarrhäusern, Dachböden. Etwas vorlebend, was auch nach 1990 Widerspruch war, als statt der alten Zensur nun der von Moden besessene Markt die Preise bestimmte.

Und Dwars staunt immer wieder, wie ernsthaft und bewusst sich die besuchten Kunstschaffenden auch dieser Zumutung verweigern. Wohl wissend, dass man „für den Markt“ tatsächlich keine Kunst schaffen kann, sondern bestenfalls modische Ware für Leute, die mit ihrem Geld nicht mehr wissen, wohin.

Ein wahres Leben im falschen

Ganz offensichtlich gibt es auch in der so von sich überzeugten Marktwirtschaft ein falsches Leben im falschen. Die gerade ab 1990 so oft zitierte und den Ostdeutschen zum Vorwurf gemachte Adorno-Phrase krempelt Dwars einfach um. Und auf einmal liest sich das so: „Weder Paradies noch Hölle treffen das Ganze, denn das wahre Leben gibt es nur im falschen und jeder muss seine eigenen Erinnerungen freilegen, die immer zwischen Wahrheit und Selbstlüge schwanken.“

Und die wirklich begabten Grafiker und Zeichnerinnen tun genau das. Genau deshalb werden ihre Bilder zum Bild der zwiespältigen und oft nur oberflächlichen Wirklichkeit, zeigen das Verborgene, das Verleugnete, die borstige Kehrseite des schönen Scheins. Und man kann beinah zuschauen, wie die Porträtierten ihre Erkenntnisse vom Menschsein geduldig herausarbeiten aus Holz, Kupfer oder Chinapapier.

Egal, ob sie Menschen darstellen, mitteldeutsche Landschaften oder Phantasiegestalten wie den Pegasus – der in diesem Fall nicht fliegen kann. Sondern an die Erde gefesselt ist – und gezwungen, die Dinge hienieden wahrzunehmen. Das, was ist.

Wobei Dwars immer wieder auch die Beziehung der Befragten zur Literatur interessiert. Denn teilweise versucht er sie ja auch wie die von ihm herausgegebene Edition Ornament zu gewinnen, wo sich Literatur und Illustration noch begegnen dürfen. Wohl wissend, dass es fast nur noch kleine Verlage sind, die überhaupt noch das Genre der künstlerischen Illustration pflegen. Für die großen Massenverlage rechnet sich das nicht. Es ist so nutz-los – wie Kunst nun einmal ist.

Sie zeigt uns die Seite unseres Lebens, mit der wir eben einmal nicht Konsument und Nutznießer sind, sondern bestenfalls Genießer, Betrachter, Staunender. Weil uns das Dargestellte zeigt, was wir schon wussten, aber nie in ein Bild gefasst haben.

Was treibt uns an?

Und so sind die Einführungen von Dwars auch ein Schlüssel zu den besuchten Künstlern, denn im Wie steckt immer auch das Warum. Was treibt all diese eigenwilligen Menschen an, sich ganz dem künstlerischen Schaffen zu verschreiben? Und sich den Moden und Erwartungen des blinden Marktes zu verweigern?

So wie sie sich – wie Strawalde oder Horst Hussel – schon in DDR-Zeiten den Wünschen der Mächtigen verweigert haben. Oder sich wie Horst Sakulowski oder Karl-Georg Hirsch so ganz auf ihre Art, die Welt zu sehen, konzentriert haben. Das zutiefst Menschliche, das sich enthüllt, wenn man den Lärm der Zeit aussperrt und sich ganz auf die Figuren konzentriert, die unter Pinsel, Griffel oder Stift Kontur annehmen. Und da sie ihren ganz persönlichen Stil gefunden haben, werden ihre Bilder in Ausstellungen schon von weitem erkannt – wie die Kupferstiche Baldwin Zettls oder die Pantherfrauen Angela Hampels.

Man muss gar nicht lang überlegen: Die Bilder erzählen von selbst. Und die Botschaft kommt an.

Eine reiche Kunstlandschaft

Und so zeigt Dwars eigentlich auch beiläufig, welch eine reiche Landschaft an Künstlerinnen und Künstlern gerade die Region zwischen Halle, Leipzig, Dresden, Erfurt und Weimar aufweist. Teilweise sichtlich verwoben mit der Landschaft der Kunsthochschulen. Und trotzdem zutiefst eigensinnig und eher irritiert, wenn die Porträtierten auf „Schulen“ angesprochen werden. Die „Leipziger Schule“ etwa, die so oft genannt wird, wenn jemand nur die HGB absolviert hat oder bei einem der großen Vertreter dieser Schule sein/ihr Handwerkszeug lernte.

Dabei zeichnete sich gerade die HGB dadurch aus, dass hier vor allem das Handwerk vermittelt wurde. Wer das durchlaufen hat, beherrscht sein Metier. Aber die besten Schülerinnen und Schüler haben dabei auch gelernt, ihren eigenen, ihnen ganz gemäßen Stil zu finden. Denn ohne den braucht man den Weg in die künstlerische Freiheit gar nicht erst zu gehen. Gute Lehrer ermutigen genau dazu. Und dann hängt vieles einfach von Beharrlichkeit ab. Die kunstliebenden Betrachter sehen sehr schnell, was da in den Bildern steckt und was berührt. Und damit wesentlich wird.

So wesentlich, dass es Jens-Fietje Dwars nun seit Jahren umtreibt, immer neue Ateliers und ihre Einwohner/-innen kennenzulernen und für Buchprojekte zu gewinnen oder den nächsten „Palmbaum“-Umschlag. Das Buch, das hier alle Künstlerporträts versammelt, ist eine Art kleine Bilanz. Und eine Entdeckungsreise für alle, die nicht mal ahnten, wer hier alles – oft abseits der lärmenden Städte – Kunst schafft, die begeistert oder das Auge einfach erfreut. Und manchmal so deutlich und ironisch ist, dass man das Gefühl hat, dass es doch noch Menschen gibt in dieser Welt, die sich von des Kaisers billigen Kleidern nicht täuschen lassen.

Jens-Fietje Dwars „Ateliergespräche“, Edition Ornament im quartus Verlag, Bucha bei Jena 2023, 25 Euro.

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