Seit 1995 geistert ja ein Spruch durch die Kommentarspalten, der beinah wie ein elftes Gebot klingt, extra für Journalisten geschrieben: „Journalisten dürfen sich nicht gemein machen, auch nicht mit einer guten Sache.“ Der Spruch war schon vorher seltsam. 2016 feierte er eine regelrechte Renaissance – als faule Ausrede. Das war zum Höhepunkt der sogenannten „Flüchtlingsdebatte“. Und man bekam das dumme Gefühl, dass im hohen Himmel der Edelfedern augenscheinlich das Dumpfbackentum sein Comeback feiert.

Im Original, wie 1995 im „Spiegel“-Interview mit dem Fernsehmoderator Hanns Joachim Friedrichs nachzulesen, klang das noch etwas differenzierter: „Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“

Darüber haben wir damals auch geschrieben.

Und natürlich haben wir uns aufgeregt über den Unfug, den gerade die Wohlbehüteten in den Redaktionen der großen Zeitungen draus gemacht haben. Vielleicht haben sie das auch so gemacht, weil ihnen so etwas Ähnliches an den allweil bekannten Journalistenschulen beigebracht worden war. Nur haben dann die Dozenten augenscheinlich immer die andere, genauso wichtige Hälfte weggelassen.

Das ist nämlich eine reine Frage der Logik: Wo steht dann eigentlich der Journalist, wenn er sich „mit keiner Sache gemein macht“?

Das klingt wie der Punkt des Archimedes.

Eine unmögliche Position – durch nichts begründet. Woher nehmen solche Leute eigentlich ihre Maßstäbe? Woran messen sie all das, worüber sie berichten?

Manchmal darf man durchaus das Gefühl haben, dass journalistische Ausbildung in Deutschland viel zu oft ohne wissenschaftlichen Unterbau stattfand. Hauptsache Technik lernen – die Inhalte sind dann egal. Die kommen dann irgendwie.

Aber das begründet keinen festen Punkt, von dem aus ein Journalist berichten kann. Und genau das hat leider die Berichterstattung in den vergangenen zwei Jahren geprägt: Den Lesern bot sich ein Bild umfassender Ratlosigkeit. Die edlen Federn bekamen sich gar nicht mehr ein über die Tatsache, dass trotz ihrer so ungemeinen Berichterstattung lauter Großmäuler, Lügenbolde, Täuscher, Trickser und Menschenfeinde die Hoheit über die Themensetzung erlangten.

All ihr Nicht-Gemeinmachen führte dazu, dass unberechenbare Männer nicht nur das Themen-Setting bestimmten, sondern mit ihren kruden Behauptungen auch noch ernst genommen wurden und damit exorbitante Wahlerfolge erreichten. Denn das, was sie taten, sah ja im schicken Outfit der Medien genauso aus wie das, was die mühsam schuftenden Berufspolitiker der „alten“ Parteien taten. Es sah sogar wie „frischer Wind“ aus, auch wenn es ein bisschen müffelte. Es sah so aus, als würden diese Posterboys jetzt alles besser machen und überhaupt erst mal was tun.

Die Frage ist nur: Was?

Was übrigens ein erster Hinweis darauf ist, was Journalisten unbedingt als Grundhaltung brauchen, sonst kommen sie diesen Typen und Verschwörungstheoretikern nämlich nicht bei. Das ist nämlich falsch am (verkürzten) Friedrichs-Spruch, wenn man das Nicht-Gemeinmachen mit Positions-Losigkeit verwechselt.

Nein, Journalisten haben kein Recht, ihr Mäntelchen jeden Tag in den Wind zu hängen und ihre Einstellungen immer wieder „anzupassen“, an was auch immer.

Und ja: Sie müssen radikal parteiisch sein. Wobei dahinter etwas steckt, was emsige Lehrer ja unseren Schülern gerade eifrig abzutrainieren versuchen, weil das ja beim Karrieremachen so schlecht ankommt. Es geht um belastbares Wissen über die Wirklichkeit, die Fähigkeit, Meinungen von Fakten zu trennen und eben nicht jede noch so überzeugt vorgetragene Lüge einfach deshalb zu akzeptieren, weil man „das ja mal sagen dürfen muss“.

Damit wird jedes wissenschaftliche Denken zermürbt und zerstört. Erst dadurch gewinnen falsche Ansichten und Behauptungen das Gewicht einer ernst zu nehmenden Position. Und dann kommt man ins Rudern, wenn man nun anfängt, mit einem Pressesprecher darüber zu debattieren, ob nun mehr Menschen bei Trumps Amtseinführungen waren als bei Obamas. Ein Beispiel, das Holger Schmale wieder genüsslich ausgekramt hat, als er in seiner „FR“-Kolumne am Montag, 23. Juli, erklärte, wie verheerend es ist, Leute wie Trump zu behandeln wie alle anderen Politiker, oder gar wie einen demokratischen Politiker.

Möglicherweise war er durch Obamas Rede zum 100. Geburtstag von Mandela angeregt, wo Obama sehr deutlich über die Schamlosigkeit einiger heutiger Politiker sprach.

Was zwar eine moralische Kategorie ist. Aber sie trifft den Kern: Wer so brachial, auf Lügen, Verleumdungen, Beleidigungen und Aggressionen bauend, die mühsam erkämpften Strukturen einer demokratischen Welt angreift, der ist schamlos. So wie Diederich Heßling in „Der Untertan“.

Hier geht’s zum „Untertan-Projekt“.

Manche Phänomene sind ja nicht wirklich neu. Und das Problem des Journalisten, der sich mit allen gemein macht, hat ja Heinrich Mann in der Figur des Redakteurs Nothgroschen sehr plastisch geschildert. Eine durchaus erschreckende Figur, wenn man weiß, wie viele Journalisten heute noch (oder wieder) genauso willfährig arbeiten wie Nothgroschen.

Und Holger Schmale kommt genauso wie Sascha Lobo, der über das Thema in seiner „Spiegel“-Kolumne schrieb, zu dem Schluss, dass man über echte Demokratiefeinde nicht so berichten darf, als seien es Demokraten, die sich nur mal im Ton vergriffen haben. Auch Politiker sind nicht so unbeherrscht, dass sie sich einfach „mal im Ton vergreifen“. Sie wissen, dass man mit deftigen Sprüchen „in die Medien kommt“ und damit Themen setzt und Meinungen beeinflusst.

Und sie wissen auch, dass sie – wenn sie zu menschenfeindlichen und rassistischen Argumenten greifen, den Boden der Demokratie schon verlassen haben. Sie erfüllen das Werk jener Leute, die die Freiheiten der Demokratie beseitigen wollen.

„Aber jede dieser Schlagzeilen normalisiert Trumps Weltgroteske als irgendwie akzeptables politisches Handeln, weitgehend unabhängig von der näheren Erläuterung im Text. Diese Überschriften gaukeln vor, dass hier Politik im normaldemokratischen Rahmen geschieht. Tatsächlich aber wird absurdes Theater gespielt“, schreibt Sascha Lobo.

Natürlich kommt er zu dem Schluss, dass es freie Medien nur in einer liberalen Demokratie geben kann. Also ist es auch die Pflicht von Journalisten, diese Demokratie zu verteidigen. Das ist ein Maßstab. Und ein Standpunkt. Und ganz sicher ist es auch parteilich. So wie jede menschliche Haltung, die sich gegen die Zerstörung unserer Welt wehrt, parteilich sein muss.

Wir müssen uns einfach wieder bewusst machen, „dass freier Journalismus für sich bereits eine politische Haltung ist. Weil er nur in einer liberalen Demokratie möglich ist. Das bedeutet aber ehrlicherweise auch, nicht mehr so zu tun, als könne man neutral und objektiv über Vorgänge berichten, über die sich aus der Perspektive der liberalen Demokratie nicht neutral und objektiv berichten lässt. Don’t let Trump be Trump.“ So schreibt es Lobo.

Und Holger Schmale formuliert es als Pointe so: „Man könnte daraus schließen, dass eine aufgeklärte Zivilgesellschaft die Macht hat, selbst in unserer Erregungsdemokratie an bestimmten Grenzen ‚Halt!‘ zu rufen. Daran, an der Aufklärung, wäre noch zu arbeiten.“

In Frankfurt ist es ja nicht so einfach, da sitzen ja gleich um die Ecke auch etliche edle Erregungsjournalisten, die die Konflikte dann gern dadurch schleifen, dass sie das Sowohl und das Auch ziseliert abwägen und dann Goethe zitieren. Ausgerechnet in einem Kommentar über die Özil-Debatte, die ja mit dem Foto begann, auf dem Özil sich zusammen mit Erdogan und Nationalmannschaftstrikot hat ablichten lassen. Özil und der Diktator.

Und Goethe?

Der traf sich 1808 mit einem gewissen Napoleon in Weimar. Er musste nicht nach Paris reisen – der Diktator kam höchstpersönlich nach Weimar und brachte gleich seine ganze Armee mit. Und hinterher waren beide voneinander aufs Köstlichste beeindruckt. Hätte es schon Fotografen gegeben, wäre das ein herrlicher Aufreger gewesen.

Es ist diese Unentschiedenheit, die einem diesen Goethe oft genug verleidet. Deswegen gründeten sich vor 1848 eben keine Goethe-, sondern Schillervereine.

Und Holger Schmale erwähnt noch etwas Wichtiges, denn die Manipulation der öffentlichen Bilder gehört von Anfang an zum Repertoire der Demokratiefeinde.

„Das Phänomen ist freilich nicht neu. Schon immer haben die Feinde der Demokratie versucht, deren Grundlage durch die Manipulation der Wirklichkeit zu zerstören“, schreibt Schmale und zitiert die Philosophin Hannah Arendt aus ihrem Essay „Wahrheit und Politik“ (1963): „Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist.“

Und spätestens, wenn die Herren Großmäuler anfangen, über „die Presse“ herzuziehen, sollte man sehr vorsichtig werden. „Im autoritären Backflash zweifeln immer mehr Menschen sowohl an der liberalen Demokratie, als auch am Wert des Pluralismus. Es sind nicht zufällig die gleichen, die ständig fordern, Medien müssten ‚neutral‘ berichten. Sie meinen damit, dass abweichende Meinungen gar nicht stattfinden sollen“, schreibt Lobo.

Und wir nehmen einfach noch ein Zitat von ihm als Pointe, weil es so schön treffend ist: „Aus Sicht der Feinde der liberalen Demokratie ist die liberale Demokratie selbst eine Verschwörung und Journalismus ein Teil davon. Deshalb ist die Rücksichtnahme auf die rechte Opferpose auch so katastrophal falsch: Rechtsextreme fühlen sich auch dann noch als Opfer, wenn sie soeben zum Großkaiser ernannt wurden, weil sie die schiere Existenz der Andersartigkeit zur Bedrohung erklären.“

Die ganze Serie „Medien machen in Fakenews-Zeiten“.

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