Die Zeit des Experimentierens ist zwar nicht vorbei. Aber es ist schon erstaunlich, wie ein großes Medium nach dem anderen zu Lösungen greift, die dem klugen Leser nahelegen, über sein Verhältnis zum Informiertsein nachzudenken. Denn eines ist längst Fakt: Wer sich nur „kostenlos“ informiert, gerät genau in dieses Tohuwabohu der rasenden News, in dem immer mehr Menschen ihre Orientierung verlieren. Jetzt tut die „Sächsische Zeitung“ den überfälligen Schritt.

Schon im Mai berichtete Flurfunk-Dresden.de über die Pläne der im Dresden erscheinenden Zeitung, eine „harte Paywall“ einzuführen – was für gelindes Entsetzen und einige Diskussionen sorgte. Auch im schon bekannten Strickmuster: „Aber wenn ich dafür bezahlen muss – dann les’ ich da nicht mehr.“

Gibt ja alles für nasse. Irgendwo rattert immer der Ticker. Und die großen Billigheimer im Internet schütten sowieso alle Kanäle mit Nachrichten zu, die in diesem wilden Stakkato wie eine permanente Überforderung wirken. Ständig passiert irgendwo auf der Welt etwas Schreckliches, stellt ein eitler Geck irgendeinen Blödsinn an, schreit ein Populist neuen Blödsinn in die Welt, gibt es Rede und Gegenrede.

Und kein Mensch findet sich mehr zurecht.

Aber so ganz ungefiltert passiert auch das nicht. Zumindest einige Nutzer im Netz ahnen, dass sie auch bei dieser unredigierten Flut des Scheußlichen und Banalen in Wirklichkeit eine gefilterte Welt serviert bekommen – eine, in der Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Blendertum erstaunlich zentrale Rollen spielen. Und damit bestimmen, was in den Köpfen als Wahrnehmung entsteht.

Irgendjemand filtert immer. Und am strengsten filtern die, die dann hinterher ganz laut „Lügenpresse“ schreien.

Die „Sächsische Zeitung“ hat es – mit PEGIDA direkt vor der Nase – oft genug zu hören bekommen. Und trotzdem weitergemacht, ordentliche Fußarbeit zu leisten und herauszufinden, warum und wie Dinge geschehen. Und das einzuordnen.

Journalisten sind Einordner. Sie geben all dem, was da passiert, eine Struktur. Natürlich sehr individuell. Man sieht Ereignisse in Dresden anders, wenn man direkt vor Ort ist und die Leute kennt, die Stimmung in der Stadt und das Gerede beim Bäcker, als wenn man – beispielsweise – aus Hamburg oder München über Dresden berichtet.

Journalismus kann und muss sehr individuell sein. Und er muss auch erklären, warum er Dinge so sieht. Wozu Journalisten immer seltener kommen. Einige Jahre lang sah es jetzt so aus, als würden sich wirklich alle Regionalzeitungen im Osten dem Diktat der Geschwindigkeit beugen und ihre Seiten nur noch mit News füttern – ungefiltert.

Einfach raus mit dem Zeug. Die ersten Sekunden nutzen, nachdem irgendwer irgendwo in der Republik die Nachricht schon rausgehauen hat, und das winzige Zeitfenster an Aufmerksamkeit mitzunehmen, in dem die Nachricht für die Nutzer noch frisch ist. Oder frisch aussieht.

Auch wenn sie sich wenig später als falsch, verdreht oder völlig belanglos erweist. Hauptsache Aufreger.

Wobei die „Sächsische Zeitung“ schon seit einigen Jahren damit experimentiert hat, für den aufwendiger produzierten Inhalt Geld zu verlangen. Das Modell, Abonnenten auch für den Online-Auftritt zu gewinnen, ist also nicht neu. Nur dass der Versuch eher in seinen Anfangsbedingungen hängenblieb – man hatte damals noch kein etabliertes Preismodell. Alle Medien experimentierten noch.

Manche gingen – auch die SZ – mit sehr niedrigen Abo-Preisen im niedrigen Euro-Bereich an die Sache und hofften damit, den Leserschwund im Print-Abo kompensieren zu können. Was nicht geklappt hat.

Die Print-Abonnenten sind nicht zu Online-Abonnenten geworden. Zumindest nicht so viele wie erwartet. Was auch ein wenig an der Inkonsequenz des Modells lag. Und an den Billigheimern, die Vollständigkeit und Geschwindigkeit suggerieren, aber auf journalistische Prüfung und Einordnung verzichten. Schnell kann man nur sein, wenn man den Dingen nicht weiter auf den Grund geht.

Wenn aber alle so arbeiten, wird wirklich alles beliebig. Dann verliert auch der Online-Auftritt einer Regionalzeitung Kontur. Und es geht vieles von dem einfach unter, wofür sich die Redakteure im Haus oft richtig Mühe gegeben und die Hacken abgelaufen haben.

Mit News-Schleudern können journalistische Medien nicht konkurrieren.

Womit aber dann?

Und die Antwort ist überall dieselbe: Mit eigenen fundierten und selbst recherchierten Geschichten, dem, was es eben nicht überall für umme gibt, wofür man sich auskennen muss in der Stadt und manchmal ein par Stunden oder Tage ans Bein binden muss.

Journalismus kostet vor allem Zeit. Die Zeit von Leuten, die wissen, wo man nachfragen, nachforschen und tiefer bohren muss.

Deswegen stimmte zwar dann im Mai irgendwie die Aussage zur „harten Paywall“.

Aber tatsächlich – so kann Flurfunk-Dresden.de jetzt ausplaudern – soll der neue Online-Auftritt der „Sächsischen Zeitung“ ein dreistufiges Modell bekommen – mit kurzen Nachrichten, die weiterhin offen lesbar sind, mit fundierten ausführlichen Artikeln dazu – aber diese konsequent hinter der Paywall. Denn genau die machen Arbeit. Und mit Kommentaren, die beim Einordnen helfen.

Und jeder Redakteur hat recht, wenn er meint, dass das auch honoriert werden sollte. Dass genau hier die Partnerschaft zwischen Medium und Leser entsteht: Wer mehr wissen will, unterstützt sein Medium richtig. Mit rund 10 Euro pro Monat im Abo-Modell übernimmt die „Sächsische Zeitung“ eine im Internet mittlerweile etablierte Größenordnung. Die gar nicht so aus der Luft gegriffen ist, denn das ist die markante Grenze, an der sich bei einer Mindestabonnentenzahl journalistische Angebote beginnen zu rechnen.

Und dass man sich dann mehrere Zeitungs-Abos nicht mehr leisten könne, ist ein Märchen. Denn diese Angebote betragen weniger als ein Drittel der üblichen Print-Abos. Wer sich wirklich informieren will, kann sich also drei Abos leisten für das Geld eines alten Print-Abos.

Und wenn die Bezahlschranke dann hochgezogen ist – die Hintergrundberichte also nur noch für zahlende Leser zugänglich sind – beginnt logischerweise der Kampf um Vertrauen. Oder besser: Er setzt sich fort. Kann man mit dem Angebot überzeugen? Nehmen genug Leserinnen und Leser das Angebot zur täglichen Orientierung wieder an? Überzeugt gut gemachter Journalismus wieder in einem Meer der Aufregung und Strukturlosigkeit?

Denn das ist ja unübersehbar, dass die Strukturlosigkeit im heutigen Medienrauschen nicht wirklich für Orientierung sorgt und dabei hilft, die Dinge zu sortieren. Erst recht, wenn man ständig am Handy hängt und wirklich jeden neuen Aufreger mitnimmt und sich aufregt.

Man kann gespannt sein. Einführen will die „Sächsische Zeitung“ ihr neues Online-Modell am 23. November. Dann nicht mehr unter der alten Adresse, sondern unter der neuen: sächsische.de

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