LeserclubWer nach Leipzig kommt, darf ruhig verwirrt sein. Manche Würdigung passiert an völlig anderer Stelle, als sie eigentlich zu erwarten wäre. Wie zum Beispiel die für Ludwig Nieper, eigentlich Johann Carl Ludwig Nieper. Nach ihm ist heute der Neubau für die Fakultät Maschinenbau und Energietechnik der HTWK benannt worden. So ein bisschen ist er der Ur-Vater der HTWK. Aber in Wirklichkeit hat er eine ganz andere Leipziger Hochschule gerettet.

Denn als der 1826 in Brauschschweig Geborene 1871 Direktor der Kunstakademie in Leipzig wurde, war diese Vorläufereinrichtung der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), die im vergangenen Jahr ihren 250. Geburtstag feierte, kurz vor der Schließung. Zumindest auf der eigenen Website erwähnt es die Hochschule, dass 1870, als die Sachsen freudig mit den Preußen in den Krieg zogen, das Ende der heute so berühmten Hochschule gekommen schien. Und der Grund lag seinerzeit darin, dass man sich völlig auf die Kunst versteift hatte – und die einst auch unter Gründungsdirektor Oeser gepflegte Nähe zur Gewerbepraxis aufgegeben hatte. Ein Fakt, der die Akademie nicht nur Schüler kostete, denn Kunstakademien gab es im deutschen Raum nun wirklich genug. Und die Leipziger Lehrer fielen nicht einmal durch besondere Exzellenz auf.

Und obwohl es eine staatliche Gründung war, stieß diese völlige Praxisferne besonders den Leipziger Stadträten sauer auf. 1868 stellte die Stadt Leipzig deshalb “im Landtag den Antrag zur Auflösung der Leipziger Akademie, in der nur noch 27 Schüler unterrichtet” wurden. Man kann nur ahnen, warum Leipzigs Stadtverordnete so sauer waren. Denn ursprünglich war die Akademie ja (als Pendant zur Dresdner) nicht gegründet worden, um Maler für hübsche Landschafts- und Historienbilder auszubilden, sondern um exzellente Könner für das anspruchsvolle Leipziger Buchgewerbe heranzubilden.

Der Landtag nahm den Antrag zum Glück nicht an. Die Kunstakademie blieb. Hatte aber 1870 nur noch einen einzigen Lehrer: Das war justament Ludwig Nieper, der auf den ersten Blick natürlich Vertreter dessen war, was die Leipziger Stadtoberen nicht mehr haben wollten: Historien- und Porträtmaler. Er hatte in Dresden bei Eduard Julius Friedrich Bendemann studiert – und war von diesem auch erst einmal auf die Moderichtung der damaligen Malerei geschickt worden: Landschafts- und Genremalerei mit lokalem Kolorit. Und das lokale Kolorit hieß damals (Goethe mit seinem Land der blühenden Zitronen war allgegenwärtig) eben Italien. Auch Nieper ging nach Italien, weilte 1861 bis 1864 in Rom. An der Kunstakademie in Leipzig dockte er 1870 an. Als Gustav Jäger 1871 sein Amt als Rektor aufgab, war eigentlich nur noch einer da, der die kurz vorm Verglühen stehende Schule übernehmen konnte – Nieper eben.

Der nicht ganz zufällig auserkoren wurde, denn schon 1870 war er (der Ruf von 1868 war erhört worden) “vom Ministerium mit der Reorganisation der Schule betraut worden, um deren Schließung durch ein neues zeitgemäßes Lehrkonzept entgegenzuwirken.” Die Aufgabe hieß: Wieder mehr Praxisnähe. Die Leipziger brauchten keine Landschaftsmaler, sondern Künstler fürs Buchgewerbe. “In Anlehnung an die Gründungsaufgaben unter Oeser werden neue Verbindungen zum Leipziger Gewerbe und zu Industriebetrieben hergestellt”, heißt es dazu auf der Website der HGB.

Die Nähe zum Verlagswesen wurde später deutlich durch die Einführung neuer reprografischer Lehrfächer: Kupferstich, Lithografie, Holzschnitt. Es ist erstaunlich, dass Nieper heute nicht mal eine Straße im Grafischen Viertel gewidmet ist. Denn zum Aufwind des Verlagswesens in Leipzig gehörte ab den 1870er Jahren nun einmal die Blüte der Reproduktionstechniken. Und 1875 ging er mit der Praxisnähe noch ein Stück weiter: Er gründete die Städtische Gewerbeschule.

Die HTWK (die auch den Aktenbestand dieser von 1875 bis 1952 existierenden Schule besitzt), schreibt dazu: “Sie ist die historische Wurzel für die ingenieurwissenschaftliche Ausbildung im Maschinenbau und in der Elektrotechnik. Ihre Gründung war die Konsequenz aus der Erkenntnis, daß der Gewerbetreibende neben einer allgemeinen höheren Bildung noch einer gründlichen Fachbildung bedurfte. Die Gewerbeschule sollte daher in Verbindung mit der Werkstatt einen fachtechnischen, durch handwerkliche Praxis untermauerten Unterricht bieten. ”

Aus der Gewerbeschule wurde 1922 die Höhere Maschinenbauschule Leipzig, 1956 die Ingenieurschule für Schwermaschinenbau und Elektrotechnik Leipzig, 1965 die Ingenieurschule für Automatisierungstechnik und 1969 die Ingenieurhochschule Leipzig, die dann 1977 mit einging in die Gründung der Technischen Hochschule Leipzig, aus der dann wieder 1992 die HTWK hervorging.

Aber das war dann alles schon nach Nieper. Der hatte 1872 bei Antritt seines Rektorenpostens an der Kunstakademie, die dann ab 1876 offiziell “Königliche Kunstakademie und Kunstgewerbeschule” hieß, die richtigen Weichen gestellt. Auch wenn er sich als Maler nicht wirklich  einen Namen machen konnte. In Leipzig bekannt sind zumindest seine Kartons zu den Fenstern der Friedenskirche in Gohlis.

Sein Sohn Carl, der sich als Künstler Carlo nannte (1896 Dresden – 1938 Berlin), stieg übrigens in die Fußstapfen des Vaters und lernte bei ihm erst mal Malerei und machte sich als Porträtmaler einen Namen.

Ludwig Nieper blieb übrigens bis 1901 Rektor der Kunstakademie und schob noch einige Projekte an, ohne die die HGB heute nicht denkbar ist: 1879 wurde unter seiner Ägide der Grundstock für die Hochschulbibliothek gelegt,  1893 wurde die “Fachschule für photomechanische Vervielfältigungsverfahren” an der Akademie gegründet, mit der “die Schule auf den Bedarf an in modernen Reproduktionstechniken ausgebildeten Fachkräften” reagierte, heißt es noch heute auf der Website der HGB. Für 1891 steht da: “Das breit angelegte kunstgewerbliche Ausbildungsangebot konzentriert sich zunehmend auf Berufszweige, die der Buchgestaltung und Buchherstellung verbunden sind.” Der Rektor hat die Schule also nicht nur “gerettet”, sondern ganz konsequent zur Ausbildungsstätte für das in Leipzig wachsende polygrafische Gewerbe gemacht.

Und in Niepers Rektorat fällt auch der Bau des neuen Gebäudes für die Kunstakademie, die seit Oesers Zeit im Westflügel der Pleißenburg untergebracht gewesen war, also unter denkbar ungünstigen räumlichen Bedingungen. 1887 begann der Bau des neuen Gebäudes an der Wächterstraße “auf dem Gelände des ehemaligen botanischen Gartens. Die Kunstakademie hat damit erstmals ein ganz auf ihre Bedürfnisse ausgerichtetes Gebäude, das der Umsetzung einer durch Werkstattarbeit ergänzten künstlerischen Lehre entgegenkommt.”

Ludwig Nieper war also ein echter Reform-Rektor und hat die Kunstakademie zur Ausbildungsstätte für die blühende Buchstadt gemacht. Das hat auch 1882 das Biografische Künstler-Lexikon schon gewürdigt: “An Stelle des 1871 verstorbenen Gustav Jäger wurde er Direktor der Kunstakademie zu Leipzig, der er durch Heranziehung kunstverwandter Gewerbe einen bedeutenden Aufschwung verlieh.”

Ab 1900 hieß sie deshalb auch “Königliche Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe”. Und unter Niepers Nachfolger Max Seliger rückte ab 1901 das “Buch in höchster gestalterischer und verarbeitungstechnischer Qualität” endgültig in den Mittelpunkt der Ausbildung.

Seinen Lebensmittelpunkt hat Ludwig Nieper aber gegen Ende des Jahrhunderts schon nach Dresden verlagert. 1906 ist er in Dresden-Loschwitz gestorben.

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