Es darf gepilgert werden. Seit Juli ist das Gellert-Grab auf dem Leipziger Südfriedhof neu gestaltet. Der Freundeskreis Gellert hat dem lange Zeit sehr trostlos wirkenden Grab endlich auch die notwendigen Daten hinzugefügt, damit Pilger wissen: Hier sind sie richtig. Die ganze Geschichte des Gellert-Grabs passt natürlich auch nicht auf den neuen Gedenkstein.

Also hat Dr. Manfred Wurtlitzer für den Freundeskreis einmal die ganze recherchierbare Grabgeschichte Christian Fürchtegott Gellerts in einer Broschüre gesammelt. Sie war zum größten Teil auch schon in seinem Buch “Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig. Kunstwerke und Grabstätten” enthalten. Untertitel: “missachtet zerstört vergessen”. Nicht ganz vergessen – zum Glück. Einen Großteil der 1968 in aller Eile aus der zur Sprengung vorbereiteten Universitätskirche am Augustusplatz (damals: Karl-Marx-Platz) geretteten Epitaphe wird man irgendwann in naher Zukunft ja wieder im Paulinum der Universität Leipzig zu sehen bekommen. Das sollte zwar schon längst eröffnet sein, aber jetzt hängt es noch an der Glasverkleidung der Säulen, die die einstigen Säulen der Paulinerkirche imitieren. So lange das Glas fehlt, bleibt die Kirche resp. Aula Baustelle und das Ganze ist für die Öffentlichkeit nicht sichtbar.

Doch wenn auch ein Teil der Epitaphe aus der Paulinerkirche gerettet werden konnte, so ging etwas anderes völlig verloren: Das sind die Grabstätten von schätzungsweise 800 in der Kirche St. Pauli Bestatteten, darunter viele Professoren der Universität, ihre Gräber befanden sich in drei Etagen unterhalb des Kirchenbodens. Zwar wurden die Gebeine seinerzeit ebenfalls aus der Kirche geschafft – doch aus der vom damaligen Friedhofsamt wenigstens einigermaßen würdigen Wiederbestattung auf einem eigenen Gräberfeld des Südfriedhofs wurde nichts. Bis heute konnte der Verbleib der Gebeine, die damals eilig in Särge gestopft wurden, nicht geklärt werden.

Einzige Ausnahmen sind das Grab der Familie des Arztes Daniel Schmidt, dessen Gebeine 1968 separat geborgen wurden, und das Grab der Gellert-Brüder. Denn der Dichter Christian Fürchtegott wurde nicht allein beerdigt – nur wenige Wochen nach ihm starb auch sein Bruder, der Oberpostcommisarius Friedrich Leberecht Gellert. Beide bekamen zusammen eine Grabstelle auf dem Alten Johannisfriedhof, die auch dann noch erhalten wurde, als der Friedhof in der Mitte des 19. Jahrhunderts eingeebnet wurde. Ihr Grab wurde umzäunt und war weiterhin Pilgerziel vieler Bewunderer, denn Christian Fürchtegott war nach wie vor berühmt als Fabeldichter und als Liedautor zahlreicher bekannter Lieder aus dem evangelischen Gesangbuch.

Das änderte sich erst im 20. Jahrhundert. Und die entsprechenden Passagen in seinem Buch hatte Manfred Wurlitzer schon mit entsprechendem Grimm den beiden Diktaturen gegenüber geschrieben, die mit dem kulturellen Erbe der Stadt mehr als skandalös umgingen. In seiner nun, extra für den Freundeskreis Gellert, angefertigten Broschüre erzählt er noch einmal die Geschichte der Gellertgräber, denn kein anderer Leipziger erlebte eine solche Gräberreise wie die Gellert-Brüder. Anfangs ging es an einen viel würdigeren Platz, nämlich von der Grabstelle im Freien in eine extra angelegte Gruft in der neu gebauten Johanniskirche, wo der Gellert-Sarkophag neben dem Bach-Sarkophag stand.

Aber während Bachs Gebeine nach der Zerstörung der Kirche im 2. Weltkrieg in die Thomaskirche kamen, wurde der Gellert-Sarkophag in die Universitätskirche St. Pauli gebracht, wo er dann 1968 in die Wirren kurz vor der Sprengung der Kirche geriet. Eine Geschichte übrigens, die bis nach 1990 selbst den meisten Leipzigern nicht bekannt war, denn die Überführung der Gellert-Gebeine auf den Südfriedhof erfolgte unter Ausschluss der Presse. Dass das Gezerre um die Grabplatte der Gellert-Brüder nach 1990 noch ein weiteres Kapitel erhielt, macht die Geschichte nicht schöner. Für Wurlitzer macht es keinen Sinn, dass die originale Grabplatte an einer Wand des Grassi-Museums klebt, die Gebeine aber auf dem Südfriedhof liegen.

Eine weitere Gedenktafel ist in der Trinitatiskirche in Anger-Crottendorf aufbewahrt, während Teile des Gellert-Epitaphs noch ihrer Restaurierung harren. Tragisch ist auch der Verlust des Gellert-Denkmals im Rosental.

Aber trösten kann zumindest, dass die Aktivitäten des Freundeskreises Gellert den einst berühmten Leipziger Literaturprofessor und Dichter zu seinem 300. Geburtstag wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückgebracht haben.

Manfred Wurlitzer “Erinnerung an Christian Fürchtegott Gellert”, Freundeskreis Gellert Leipzig e.V., Leipzig 2015

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar