Denkbar nüchtern bringt die Stadt Leipzig auf den Punkt, warum im Jahr 2016 unbedingt der 100. Todestag von Max Reger gewürdigt werden sollte: "Reger, der sich kompositorisch in der Tradition von Bach und Brahms sah, hatte ab 1907 bis zu seinem Tod im Jahr 1916 eine Professur für Tonsatz und Komposition am Königlichen Konservatorium Leipzig sowie 1907 bis 1908 den Posten des Universitätsmusikdirektors inne und schuf hier die von ihm sogenannten 'Herzblutwerke'."

“Zugegeben – nicht alle werden gleich Reger-Fans. Alfred Brendel, der herrliche Pianist, mit dem ich oft musizieren durfte, meinte, er würde lieber sterben als das Klavierkonzert von Max Reger lernen zu müssen. Aber das ist mehr Ausdruck seines unbezahlbaren Humors als ein gültiges Werturteil über die Musik. Man muss sich Zeit nehmen für Max Reger. Man muss die Schönheit seiner Musik entdecken. Das lohnt sich. Einer, der sein Klavierkonzert superb spielt, ist Peter Serkin, der es jetzt am 5. und 6. Mai im Gewandhaus spielen wird. Der erste Satz ist gewaltig, der zweite purer Himmel und das Finale wie eine tänzerische Zugabe. Der Höhepunkt eines ganzen Festivals zu Ehren des Meisters, der vor genau 100 Jahren gestorben ist”, schreibt Herbert Blomstedt, den Leipzigern noch als beliebter Gewandhausdirigent in Erinnerung, als Schirmherr der Leipziger Reger-Festtage.

Die Ratsvorlage fürs Reger-Jubiläum versuchte den Mann 2015 so zu fassen: “Max Reger war zu Lebzeiten ein zwar kontrovers diskutierter, jedoch vor allem gefeierter Künstler, ein Brückenbauer zwischen Tradition und Moderne. Formal auf barocken Strukturen aufbauend, stand er von seinem Klanggefühl her eher den großen Romantikern des 19. Jahrhunderts nahe, er verehrte Wagner (dessen ‘Parzival’ ihn zu dem Entschluss gebrachte hatte, Musiker zu werden), Brahms und Liszt. Gleichzeitig sah Reger weit in das Zeitalter der musikalischen Moderne hinein, seine technisch hoch anspruchsvollen Kompositionen enthalten Elemente, die dem herrschenden Zeitgeist weit vorauseilten. Er gehörte und gehört weltweit zu den wichtigsten und am meisten aufgeführten Kirchenkomponisten des 20. Jahrhunderts. Von dem Komponisten Paul Hindemith stammt der Satz: ‘Max Reger war der letzte Riese in der Musik.’ Das mag aus heutiger Sicht kontrovers zu diskutieren sein, zeigt aber, welchen Wert Zeitgenossen dem Regerschen Werk beimaßen.”

Dabei war Leipzig für Reger durchaus auch eine Herzenswahl. Er hätte auch ebenso als Professor an der Münchner Akademie für Tonkunst Fortüne machen können. Doch dort verstand er sich mit dem konservativen Kollegium nicht und kündigte. Zeitlebens hatte er mit nervlichen und physischen Problemen zu tun gehabt. Ein möglicher Auslöser: seine Militärzeit. Man ahnt an seinen Lebenswegen und -umwegen nur, wie er einen Ort suchte, der ihm gut tat. Leipzig übrigens war es nur halb. Hier hielt er es aus, fühlte sich am Königlichen Konservatorium (der heutigen Hochschule für Musik und Theater) geachtet. Aber das änderte nichts an seiner Ruhelosigkeit.

Deswegen hat der Kamprad Verlag aus Altenburg, den die Stadt Leipzig beauftragt hat, das Medienmaterial fürs Reger-Jahr zu erstellen, den Leipziger Hauptbahnhof als Nr. 1 auf seinem Reger-Stadtplan vermerkt. 1912 in Betrieb genommen, 1915 fertiggestellt. Den hat Reger noch erlebt, womit es einer der wenigen erhaltenen Reger-Orte in Leipzig ist: “Hier traf Reger ein, wenn er einmal pro Woche aus Meiningen und später aus Jena kam, um am Konservatorium zu unterrichten. So war es auch am 10. Mai 1916, dem letzten Tag seines Lebens.”

Das Engagement in Meiningen wollte er unbedingt haben. In der Stelle des Leipziger Universitätsmusikdirektors hielt er nur ein Jahr aus.

30 Orte markiert dieser kleine Stadtplan. Darunter auch den Todesort, auch wenn das Hotel Hentschel (damals Roßstraße 1 und 3) heute nicht mehr steht. Kriegsschaden. Heute steht dort die Ringbebauung. Adolf Wach hat den toten Reger in seinem Hotelbett gesehen: “Ich komme eben von Regers Totenbett. Er lag noch so, wie man ihn am Morgen gefunden hatte: etwas tief hinabgesunken, aber … ohne irgendwelche Spuren eines Kampfes oder einer Not; der Ausdruck ganz ruhig und lebensvoll, in der Hand eine Zeitung … Das Licht hatte am Morgen noch gebrannt. Das alles deutet auf einen plötzlichen, schmerzlosen Tod.”

Verschwunden ist das Haus, in der er mit seiner kleinen Familie 1907 / 1908 wohnte: Felixstraße 4 (heute ist das die Schützenstraße 4a). Später wohnte er in der Kaiser-Wilhelm-Straße 76, der heutigen August-Bebel-Straße. Mit Richard Dehmel und Max Klinger war er befreundet. Und mit oben erwähntem Adolf Wach, Ehemann von Elisabeth, einer der Töchter Felix Mendelsohn Bartholdys. Mentor und Förderer war Wach – nicht nur für Reger. Wach saß auch im Direktorium des Gewandhauses. Das war der Kreis der einflussreichen Leipziger, die damals das Leipziger Musikleben dirigierten. Auch dadurch, dass sie die namhaften Musiker der Zeit nach Leipzig holten.

Kein leichtes Unterfangen, wenn einer wie Reger doch noch so einen schönen alten Titel tragen wollte wie Hofkapellmeister, den ihm der Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen 1911 verlieh. Aber wirklich ins Gleichgewicht kam sein Leben auch in Leipzig nicht. Es muss ein heftiges Auf und Ab gewesen sein zwischen diversen Alkoholabstürzen und einem Furioso der Arbeit: fortwährend auf Reisen, als Professor gefragt, als Dirigent und ebenso emsig am Komponieren. Das erinnerte schon an so einiges aus dem Leben der Mendelssohns und Schumanns. 1914 brach er mal wieder zusammen, brauchte eine Rehabilitation, gab das Hofkapellmeisteramt wieder ab. 1915 zog er nach Jena und kam zum Unterrichten jede Woche nach Leipzig. Ein Hotelleben. In der Nacht vom 10. zum 11. Mai 1916 versagte dann beim Lesen der Zeitung sein Herz.

Da hätte man schon gern gewusst, was er da zuletzt gelesen hat, dieser Spätromantiker, wie ihn Prof. Martin Kürschner, Rektor der Hochschule für Musik und Theater, nennt. “Max Reger: Ein später Spätromantiker im Aufbruch zur Moderne? Oder ein avantgardistischer Traditionalist, der die Fesseln von Tonalität und Formgebung des 19. Jahrhunderts nicht wirklich abzustreifen vermochte? In jedem Fall eine starke Künstlerpersönlichkeit, die das Leipziger Konservatorium wie kein anderer Komponist am Beginn des 20. Jahrhunderts prägte …”

Oder doch eher ein Workoholic, der mit 43 Jahren nur wenig länger lebte als der ebenso ruhelose Mendelssohn Bartholdy, der mit 39 starb?

Seine Urne steht seit 1929 auf dem Münchner Waldfriedhof.

Und seit 1990 ist auch ein Asteroid nach ihm benannt, 1988 von Freimut Börngen entdeckt. Dieser Thüringer Astronom hat dafür gesorgt, dass eine ganze Reihe von Komponisten in den Sternenhimmel kamen: Schütz und Haydn zum Beispiel. Dass seine Kinder Musiker wurden, verwundert da gar nicht mehr.

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Es gibt 2 Kommentare

Lieb gedacht, aber warum sollte die Stadt Leipzig das?
Ich denke, die Reger-Fans und Interessierten sollten das initiieren – dann würde es auch was werden 😉

Es gibt übrigens von der Leipziger Autorin einen wunderbaren Reger-Roman: “Max Reger. Ein biografischer Roman” (2005)
Vielleicht kann ja die Stadt Lesungen für Reger-Fans und Interessierte initiieren!

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