Nach der Uraufführung des ersten Teils von Goethes „Faust“ 1829 in Braunschweig brachte auch das Leipziger Stadttheater im selben Jahr, zur Feier von Goethes Geburtstag, das Stück auf die Bühne. Vor ausverkauftem Haus spielte der damals berühmte Moritz Rott den Faust und Rosalie Wagner, die Schwester Richard Wagners, das Gretchen.

Eine genaue Schilderung jener denkwürdigen Premiere hat uns Wilhelm Schröder im „Leipziger Tageblatt“ vom 10. August 1907 hinterlassen.

„Mit seiner gewaltigen, tiefen, klangvollen Stimme … begann Rott/Faust: ‚Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie –‘ usw. Kein Laut hörbar aus den Zuschauerräumen während des ganzen Monologs, nur das Umschlagen der Blätter in den von den Studenten nachgelesenen Textbüchern. Als aber Faust/Rott endigt mit dem Aufschrei: ‚O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder! Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder‘ – ja, da quollen die Tränen nicht bloß aus den sanften Augen der Frauen und Töchter Leipzigs, sondern auch manch sonst wild und trotzig blickendes Jünglingsauge floß davon über. Bald nun aber machte das Herz sich Luft in einem Beifallssturm des Applauses. Und nun wuchs derselbe von Akt zu Akt, ja von Szene zu Szene.

Den nicht geringsten Anteil davon, einen ebenso reichen, wie den des Faustdarstellers, errang sich das Gretchen: Rosalie Wagner. Sie war, um es mit einem Worte auszusprechen, ein tadellos holdseliges Geschöpf, für diese Rolle wie geschaffen. … Rosalies Gretchen war ganz das einfache deutsche Bürgerkind, eine Mädchenblume schönster Art, einsamlich aufgeblüht im stillen Gärtchen des Mutterhauses. …

Die dritte Hauptrolle, die des Mephistopheles, spielte Wohlbrück, des Komponisten Heinrich Marschner Schwager. Wohlbrück war ein kleiner, dürrer Mann mit grämlichem Gesicht; seine Stimme hatte einen trockenen, näselnden, schnarrenden Ton. Sein Teufel hatte nichts von der diabolischen Hoheit und Furchtbarkeit des späteren Seydelmannschen, noch von der verfluchten Lustigkeit und höllischen Feinschmeckervergnüglichkeit der Döringschen verneinenden Schalksfigur.

Wohlbrücks Teufel war, wenn auch nicht ein dummer, aber doch nur ein kleiner, gemein verdrießlicher, sich selbst ärgernder und darum auch alle Welt ärgern wollender Teufel, von dem man nicht recht begreifen konnte, wie ein so geistreicher Mensch wie Dr. Faust sich von ihm düpieren, maitrisieren zu lassen imstande sei. Aber dem Publikum war dies damals der erste Mephisto, es hatte nicht Zeit, sich einen anderen auszudenken, und so gefiel ihm denn auch Mephisto-Wohlbrück, und so erhielt auch er seinen Anteil an dem so gern gespendeten allgemeinen Applause.“

Dieser erfolgreichen Premiere folgten in den nächsten Tagen mit anderen Schauspielern vor ebenfalls ausverkauftem Hause weitere erfolgreiche Aufführungen.

Der zweite Teil von Goethes „Faust“ erlebte seine Uraufführung in Hamburg am 25. März 1854. Die Leipziger Bühne folgte erst am 25. November 1873. Dem Vorbild der Weimarer Hofbühne folgend, brachte das Leipziger Stadttheater schließlich 10 Jahre später, am 9. und 10. Mai 1883, beide Teile hintereinander auf die Bühne.

Wie Goethe zu seinen letzten Worten kam

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