Kirchenbauwerke gehรถren in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfรคltige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen โ und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Die Sankt-Nikolai-Kirche war eine Stiftskirche in Magdeburgs Altstadt. Das dem heiligen Nikolaus geweihte Gotteshaus wurde 1959 abgerissen.
Magdeburgs erste Nikolaikirche wurde von Wenden zerstรถrt. Sie soll um das Jahr 1023 unter Erzbischof Humfried errichtet worden sein und hatte einen runden Grundriss. Sie diente als Baptisterium โ also Taufkirche โ des damaligen Doms und wurde beim Bau von Magdeburgs Dom um 1240 abgerissen, um an ihrer Stelle den sรผdlichen Domturm zu errichten.
Das Nikolaistift erhielt 1310 als Ersatz ein grรถรeres Grundstรผck im nordwestlichen Bereich des Domplatzes (damals: Neuer Markt). Bis 1360 entstand dort eine schlicht gestaltete Kirche aus Grauwacke-Bruchstein und behauenem Sandstein als grรถรte Hallenkirche der Stadt.

Ihre Besonderheit: Sie blieb ohne Kirchturm. Eine zeitgenรถssische Abbildung von 1653 zeigt, dass sie frรผher einen Dachreiter hatte.
Das Hallengewรถlbe bestand aus drei gleich hohen Schiffen, die auf zwei Arkadenreihen mit je acht Pfeilern ruhten. Der Grundriss der Kirche war rechteckig. An der Nordseite der Kirche wurde ein Kreuzgang errichtet. 1540 beschรคdigte ein Brand Kreuzgang und Kirche.
Mit der Reformation wurde Sankt Nikolai evangelisch, erster Gottesdienst der Protestanten war am 6. Dezember 1573. Wรคhrend der Erstรผrmung Magdeburgs im Dreiรigjรคhrigen Krieg am 10. Mai 1631 wurde auch Sankt Nikolai beschรคdigt.
Bei der Erneuerung 1654 entstand statt des ursprรผnglichen Gewรถlbes eine hรถlzerne Flachdecke. Gottesdienste gab es ab 1693. Doch hatte Sankt Nikolai keine eigene Kirchgemeinde, meist wurde sie fรผr regelmรครige geistliche Gesรคnge genutzt. Der im Krieg beschรคdigte Kreuzgang verfiel zur Ruine und wurde 1724 abgerissen โ die Kreuzgangstraรe in diesem Bereich erinnert daran.
In der Zeit der franzรถsischen Besatzung diente die Kirche als Lazarett und Kaserne. Die Inneneinrichtung wurde entfernt, der Fuรboden um 30 Zentimeter aufgeschรผttet.
1810 wurde die Sankt-Nikolai-Kirche aufgegeben und das Stift aufgehoben. Ab dem 18. Jahrhundert an gab es eine wechselvolle Nutzungsgeschichte: als Familienbegrรคbnisstรคtte, Militรคrkrankenhaus, Kaserne, als Zeughaus und Lager.
So diente das Gotteshaus als Ersatz fรผr das 1812 abgebrannte Zeughaus, der Umbau zum schmucklosen Zweckbau begann 1824. Nach Auflรถsung des Zeughauses diente es als Zeughausmuseum und spรคter als Mรถbellager. 1938 gestalteten es die Nationalsozialisten als Weihestรคtte fรผr die Bewegung des Nationalsozialismus und als Stahlhelmmuseum. An seinem wechselvollen Schicksal lรคsst sich das Auf und Ab in Magdeburgs Stadtgeschichte ablesen.
Die Westseite hatte eine Empore mit Orgel. Die jeweils acht Kirchenfenster an den Langseiten auf Nord- und Sรผdseite waren als Fenster der Stifter gestaltet โ mit Wappen Magdeburger Familien.

Beim Luftangriff auf Magdeburg am 16. Januar 1945 wurde auch die Sankt-Nikolai-Kirche stark beschรคdigt, es blieben im Wesentlichen die Auรenmauern erhalten. 1959 wurde sie gesprengt.
An der Stelle der Kirche entstand anschlieรend ein Wohnhaus in DDR-Plattenbauweise โ gefolgt von der von Friedensreich Hundertwasser entworfenen โGrรผne Zitadelleโ von Magdeburg 2005.
In deren Keller zeigt ein Saal geborgener Steine der Sankt-Nikolai-Kirche. Ein Bronze-Modell am einstigen Standort erinnert heutzutage an das Gotteshaus.
Eine Spur christlichen Lebens lebt in der โGrรผnen Zitadelleโ fort: Dort ist in der ersten Etage die evangelische Kindertagesstรคtte โFriedensReichโ zu Hause โ mit Spielplรคtzen auf den Dachflรคchen.
Koordinaten: 52ยฐ 7โฒ 35,3โณ N, 11ยฐ 38โฒ 0,8โณ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sankt-Nikolai-Kirche_(Magdeburg)
https://www.ek-md.de/kulturtourismus/kulturtourismus-verlorenekirche.html
https:/www.gruene-zitadelle.de/de/content/kita-friedensreich
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