Seit 2002 wird der Kunstpreis der Sachsen Bank für junge Künstler aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im zweijährigen Turnus ausgeschrieben. Die Jury ist mit Vertretern aus allen drei Bundesländern besetzt. Über 80 Bewerbungen gab es in diesem Jahr. Doch auch diesmal ging der Preis an eine Absolventin der Leipziger HGB: die Fotografin Margret Hoppe. Am Freitagabend wurde ihre Ausstellung im Bildermuseum feierlich eröffnet.

Oder verstört, falls sich ein paar Leute hinverirrt haben sollten, die unbedingt Menschen auf Fotos brauchen. Oder Katzen. Irgendwas Kuscheliges, das das Auge erfreut. Margret Hoppes Fotos sind nicht kuschelig. Warum auch? Kuschelige Architekturfotografie produzieren schon andere zuhauf. Auch von den Prachtbauten der Moderne. Die sind das Mega-Thema in der Arbeit der 1981 in Greiz geborenen Fotografin, die 2000 bis 2007 bei Prof. Timm Rautert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert hat. Dazwischen und danach haben sie diverse Arbeitsstipendien in ein buntes Sammelsurium von Ländern verschlagen: 2005/2006 Paris (mit Studienaufenthalt an der Ecole Nationale Superieure des Beaux-Arts, 2007 Bulgarien, ab 2009 kurz ein Meisterschülerstudium an der HGB, 2010 wieder Paris, 2011 Offenbach, wieder Paris und nun – in den nächsten Tagen: Indien.

Ihr Studienobjekt ist die Moderne. Genauer: die moderne Architektur. Ein Faszinosum, weil das Zeug überall herumsteht. Rund um den Globus, in Brasilia genauso wie in Alma-Ata, Warschau, West- oder Ost-Berlin. Es ist die erste globalisierte Architektur. Damit werden sich noch Historiker beschäftigen, weil das ein Phänomen ist, dass in Peking genauso schablonenhaft gebaut wurde wie in Bologna oder der Banlieue von Paris. Natürlich hat das mit industriellem Wohnungsbau zu tun, normierten Taktstrecken, dem Versuch, Lösungen für sozialen Wohnungsbau zu finden.

Nicht ganz grundlos stieß Margret Hoppe dabei auf den schweizer-französischen Architekten Le Corbusier, der mit seinen Entwürfen wie kein Zweiter das architektonische Bild der Moderne prägte. Tausendfach nachgeahmt und zum Vorbild erklärt. Seine Bauten standen ein halbes Jahrhundert lang für die Stadt der Zukunft, für modernes Wohnen, Leben, Arbeiten. Und weil seine Entwürfe in den 1950er Jahren in Westeuropa gefeiert wurden als Triumph des Fortschritts, fanden sie bald ihr Echo selbst im tiefsten Sozialismus. Noch galt der offizielle Wettbewerb um das modernste Gesellschaftssystem, die modernste Stadt, die modernste Wirtschaft. Der ganze Stil steht für eine gewaltige Utopie, die felsenfest daran glaubte, dass Fortschritt planbar ist und man nur die Städte komplett verändern muss, dann ändern sich auch die Kulturen.

Pustekuchen wars.Das wusste Margret Hoppe schon vorher. Denn eingestiegen ins Thema ist sie mit der modernen Architektur in der DDR, ihrer Schönheit, ihren Besonderheiten, ihrer Gleichförmigkeit und ihrem Verfall. Wer nicht rechtzeitig loszog mit der Kamera, der konnte einige Schmuckstücke der DDR-Moderne bald nicht mehr ablichten. Sie verschwanden aus dem Stadtraum. Eines hat Marget Hoppe in ihrer Ausstellung mit thematisiert: das ehemalige Robotron-Gebäude an der Gerberstraße. 2012 war sie mit der Kamera noch einmal drin und hat die Auftragskunstwerke im Haus fotografiert an ihren Originalplätzen.

In diesem dritten Ausstellungsraum hat sie die Arbeitsergebnisse aus zehn Jahren Beschäftigung mit der Moderne einfach mal nebeneinander gepackt: Bilder aus Bulgarien, Berlin, Leipzig, Frankreich. Alle im formidablen Postkartenformat 9 x 13, Hochhaustürme aus Kanada finden sich in freundlicher Nachbarschaft zu Hochhaustürmen aus Leipzig, bulgarische Kunst am Bau mit dem Chemnitzer Kosmonautenzentrum. Wer’s vorher noch nicht gemerkt hat, sieht es jetzt: Wie das alles eine architektonische Sprache spricht, eine Sprache, die praktisch gedacht war, menschlich, weiträumig, von schlichter geometrischer Schönheit und/oder Strenge. Je nach Ansicht. Denn der Streit der Fachleute tobt ja: Ist das alles jetzt fertig, zu Ende, hat sich überlebt? Oder bleibt das, weil es wichtige Grundmuster unserer Zeit darstellt?

Ist es überhaupt schön? Oder hält es dem Wandel der Zeiten nicht Stand?

Alles offene Fragen. Doch während die einen noch streiten, hat Margret Hoppe die Schönheit des Bauens in Beton für sich entdeckt. Denn wo derart das geometrische Schaffen von Stadträumen dominiert, beginnt der ästhetische Reiz natürlich, wenn sich Künstler mit der Geometrie der Räume beschäftigen. Wer Escher mag, ist bei Hoppe wahrscheinlich richtig, die mit ihrer Analog-Kamera (meist Mittel- oder Großformat) die künstlichen Räume erkundet, den Blickwinkel ändert und die Brennweite. Das Ergebnis sind eben keine klassischen Architekturfotografien, sondern manchmal echte Herausforderungen für die Sehgewohnheit. Das Stehenbleiben vor diesen großformatig aufgezogenen Bildern lohnt sich. Denn sie zwingen zum Vergewissern. Nicht jedes Foto verrät auf den ersten Blick, was es zeigt. Oder aus welchem Blickwinkel es etwas zeigt. Manches wirkt vertraut – man hätte es auch im Musikviertel in Leipzig oder im Campus Jahnallee vermutet. Erst die Bildauszeichnung erklärt: Es ist Paris. Wieder ein Detail aus einen Le Corbusier-Bauwerk.

Der Star-Architekt dominiert den ersten Raum, weil er auch die jüngsten Forschungen der Fotografin prägte. Es sind Le Corbusiers Unité d’Habitation in Berlin und Marseille, die einem hier begegnen oder das schon etwas heruntergekommene Armée du Salut in Paris. Bauten, die der Blick erst einmal abtut, weil er glaubt, Bekanntes zu sehen – irgendeinen interessanten Winkel von Grünau oder aus der Prager Straße in Dresden. Aber dann schaut man doch, ist ein klein wenig verwirrt und beginnt zu rätseln, weil sich das Bild nicht gleich erschließt. Ein besonderer Winkel in einem Treppenhaus, ein paar Betonpfeiler, zwei farbige Ovale, die wie Ufos durchs Bild schweben und sich beim genaueren Betrachten als Lichtschächte einer Kirche erweisen.

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Die Moderne entpuppt sich als reiches Reservoir der Überraschungen. Die man aber nur sieht, wenn man so schaut, wie es Margret Hoppe tut: Die Welt im Sucher, das besondere Detail im Augenwinkel, nicht auf den schönen Schnappschuss aus, sondern auf jene Grenze, die das Gesehene in ungewohnter Dichte zeigt. Eigentlich unmöglich, wo doch diese ganze Moderne auf Licht, Raum und Weite abgezielt hat – zuweilen wild vom Wind durchfahrene Weite. Aber bei Le Corbusier wird es schnell sichtbar, wie elementar die Verwendung von Farbe in seinen Bauwerken ist. Farbe trägt dort den Eindruck, belebt selbst gewaltig aufgeschichtete Wohnanlagen.

Farbe steckt aber auch im Detail, selbst in den vielen Stufen des Graus. Wenn man’s nur zu sehen fähig ist. Die Arbeiten von Margret Hoppe zeigen, wie man es sehen kann, verblüffen auch, weil sie oft erst beim zweiten, dritten Blick offenbaren, dass man es nicht mit abstrakten oder kubistischen Gemälden zu tun hat, sondern mit gebauter Architektur. Die Verstörung gehört dazu und macht es erst richtig spannend. Wer Katzen oder Lebkuchen sucht, ist freilich falsch.

Die Kabinett-Ausstellung, die die diesjährige Preisträgerin des Kunstpreises der Sachsen Bank ehrt, ist unter dem Titel “Das Versprechen der Moderne” im Museum der bildenden Künste vom 6. Dezember 2014 bis zum 8. Februar 2015 zu sehen.

Ein Katalog ist auch erschienen.

www.mdbk.de

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