Es gibt viel zu sagen zu diesen 1.000 Jahren Leipzig, die in diesem Jahr gefeiert werden. Ernsthaft tun's die einen, pompös die nächsten. Und dann gibt es noch die richtigen Sachsen. Die tun's mit Humor, wohl wissend, dass 1.000 Jahre manchmal viel kürzer sind, als es sich so Mancher gedacht hatte. Und manchmal viel länger. Wie wäre es mit 25 Jahren? Wer bietet mehr? - Einmal verweilen in der Moritzbastei.

Dort wurde am Donnerstag, 22. Januar, die erste große Ausstellung zum Thema “1.000 Jahre Leipzig” eröffnet. Groß im Kleinen, wie sich das gehört. Denn hier, im 461 Jahre alten Trotzbauwerk aus Lotters Zeiten, sind bis zum 6. März die Grafiken des Leipziger Karikaturisten Werner David alias l.viss zum Thema 1.000 Jahre zu sehen – zu beschauen bei Café und Baguette während der Öffnungszeiten des Cafés.

Man muss also hinuntersteigen ins Unterirdische, um die ersten 1.000 Jahre zu sehen, die tatsächlich die letzten 25 sind. Denn es ist der legendäre Wendeherbst, mit dem die angespitzte Beschäftigung Werners mit der Leipziger Geschichte beginnt, sozusagen die trübe Jahreszeit, in der der moderne Leipziger wieder tapfer eintrat in seine eigene Geschichte und vorsichtig das Demonstrieren probierte und das “Mir sinn das Volk!”

Es ist eine Menge draus geworden. Im Café in der Barbakane ist das zu besichtigen. Und wer schaut, wird wissend nickend: Jawoll, wir sind dabei gewesen. Und haben jede Windung seither lustvoll miterlebt: den kompletten Ausverkauf, die Kohlsche Bananenbeglückung, die Werner erst kürzlich wieder aufspießen konnte, als die (unautorisierte) Kurzbiografie Kohls erschien und darin der so klare wie treffende Satz stand: “Es ist ganz falsch, so zu tun, als wäre da plötzlich der Heilige Geist über die Plätze von Leipzig gekommen und hat die Welt verändert.” Den Satz wollte Helmut ja bekanntlich so nicht stehen lassen und hat die Gerichte bemüht gegen die Veröffentlichung.

Manchmal muss man schon als Politiker dafür sorgen, dass nur die autorisierten Sprüche ins Geschichtsbuch kommen. Wo kämen wir da hin, wenn die wahren Sprüche drin ständen?

Da käme ja das Volk ins Denken. Unausdenkbar.

Auch die Folgen. Denn dann hättte vielleicht so ein widerborstiger Sachse 1991 nicht mitgemacht, als es ans große Verramschen ging. Oder ein, zwei Jahrzehnte später, als das Herrenlose in Leipzig mit neuen Herrchen versorgt wurde. So richtig aufgehört hat ja das große Leipzig-Monopoly die ganze Zeit nicht. Der Ureinwohner staunt, was es die ganze Zeit übe alles so zu verteilen gab. Dumm nur, dass er selbst nur dabei war, als es die Stückchen und Scheinchen gab. “Sachsen-Sumpf”? War da was?

Werner David hat eigentlich nie Mangel gelitten an Stoff in diesem ganzen Schnelldurchlauf von der sozialistischen Wiewunderstadt zur Boomtown zum Hypezig-Imitat. Er wurde 1951 an der damals noch etwas anrüchigen Pleiße geboren, ist aber nicht geflohen, als das jeweils mal Ton der Zeit war. Auch 1990 nicht, als seine Druckerkarriere jäh endete, um sich kurzerhand in die Laufbahn eines emsigen Gewerkschaftssekretärs zu verwandeln, der er bis 2008 war, genug Zeit, um das Anspitzen von Bleistiften zu üben und dann ganz und gar ins Fach des Zeichnens zu wechseln. Man sieht die Schule, aus der er kommt: jahrzehntelanges eifriges Studium des “Eulenspiegel”, der sich bis heute unterscheidet von Produkten wie “Titanic” oder “Charlie Hebdo”. Der Eulenspiegel-Witz hat immer auf den Geist gezielt, das zwinkernde Mitdenken.

Typisch dafür mal als Bild: Das große Klärbecken der Leipziger Wasserwerke, in dem nur große Schei…

… große Scheine umgewälzt werden.

Werner David: KWL. Zeichnung: l.viss
Zeichnung: l.viss

1977 veröffentlichte er seine erste Karikatur, teilt er mit. Und schaffte es in den 1980er Jahren, im zweiten Anlauf in den Verband Bildender Künstler der DDR aufgenommen zu werden. Ausgestellt hat er seine Bilder schon in Karl-Marx-Stadt, Wernigerode, Zella-Mehlis, Lunzenau, Montreal und Kagoshima. Hannover nicht zu vergessen.

Und natürlich ist der “Eulenspiegel” unter den Medien, in denen er seine Zeichnungen schon veröffentlicht hat. Neben Leipziger Volkszeitung, Für Dich, NBI, Magazin, Neues Leben, Themen und Frequenzen, IG Medien Magazin Süd-Ost, Inside-Magazin, diversen Katalogen … Man sieht: Leicht hat es einer mit spitzer Feder nicht, wenn die Medien zur Neige gehen.

Und so ist er richtig stolz, dass er erzählen kann: “Werner David war der letzte DDR-Karikaturist, der in Polen ausgestellt hat. In der Rückreisenacht, nach der Ausstellungseröffnung, fiel die Mauer.”

So war das nämlich.

Ab und zu taucht er auch im Leipziger Stadtbild auf. Denn er ist der Schöpfer des Leipziger Lachmesselogos. Manchmal beteiligt er sich an der Sachsensail. Und er ist Gogelmohscher. Was nichts mit dem Kabarett zu tun hat (das wird mit drei “h” geschrieben), sondern mit dem Stammtisch der Urleipziger Kultur-Urgesteine (zu denen auch ein paar jüngere gehören). Mancher wird, wenn er jetzt die 1.000 Jahre in der Moritzbastei bewundert, vielleicht etwas schwindlig werden. Immerhin hat sich ja die Geschichte alle Mühe gegeben, in die jüngeren 25 Jahre alles hineinzustopfen, was in den 40 davor nicht mehr drin war.

Aber Rettung für das betuliche Leipziger Gemüt ist ja nicht in Sicht. Da müssen wir durch. Auch wenn wir am Ende am Krückstock laufen und am Stadtausgang verwundert wahrnehmen, dass es da draußen gar nicht schön ist wie drinnen in der Feinstaubzone. Der Sachse beschnarcht zwar gern die Welt. Aber dorheeme isses immer noch am scheensdn. Man muss nur die Leute, die vor den ganzen Bildern rumsitzen, bitten, derweil ein Stück beiseite zu rutschen, damit man auch die ganzen 1.000 Jahre zu sehen bekommt und nicht wieder nur die Hälfte, wie das meist so ist bei den schönsten Sachen.

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