Wer so intensiv wie der Leipziger Karikaturist Schwarwel das Zeitgeschehen beobachtet, der kann am Ende jedes Jahres nur noch den Kopf schütteln über die Dummheit, Selbstverliebtheit, Ignoranz und Lernunfähigkeit der Menschen. Und in Jahren, in denen sich die Krisen ballen, scheinen noch viel mehr Menschen völlig ihren Verstand einzubüßen. Es wird gejammert, gepöbelt und mit dem Finger auf andere gezeigt: „Die da sind schuld!“ Wenn immer andere schuld sind, muss man ja selbst nichts ändern.

Dann kann man immer weiter machen – auch mit den Dingen, die dazu geführt haben, dass sich die Krisen überhaupt erst so aufgeschaukelt haben.

Krisen sind ja keine Naturereignisse. Sie sind die Folge menschlichen Handelns. Und natürlich zuerst dummen menschlichen Handelns. Obwohl dieser denkbegabte Affe ja die Fähigkeit besitzt, die Folgen seines Tuns abzuschätzen. Manche haben sogar Mathematik begriffen, manche auch Physik. Manche haben sogar in der Schule aufgepasst.

Nur: Viele benehmen sich nicht so. Sie halten an Gewohnheiten fest, von denen sie wissen, dass sie damit gewaltigen Schaden anrichten. Der Mensch ist die einzige Spezies, die tatsächlich mit vollem Bewusstsein die Bedingungen zerstört, unter denen sie existiert. Frei nach dem Motto: Kaufen wir uns hinterher einfach eine neue Erde. Wird schon eine geben im Supermarkt.

Die Folgen der Faulheit

Nicht mal die immer neuen Lieferengpässe seit Corona geben den Leuten zu denken. Das ganze schöne Deutschland steckt längst in einer ernsthaften Versorgungskrise. Es fehlt an Lehrern, an Pflegekräften, an Kitaplätzen, die Bahn fährt auf kaputten Gleisen, die Post liefert drei Tage später aus – und wo die letzte Postfiliale noch offen ist, darf einem ja dann das kluge Gerät in der Jackentasche verraten.

Aber Deutschland steckt nicht in der Krise, weil es so arm ist, sondern weil die großen Batzen an Subventionen in Bereiche fließen, wo sie noch mehr Unheil anrichten. Nicht da hin, wo dieses Land mit technischer Eleganz vielleicht die Kurve kriegen würde. Wenn nicht eine übersatte Mehrheit permanent quengeln würde und trotzen. So wie Kleinkinder es tun. Nur, dass Kinder nichts dafür können.

Erwachsene aber schon. Und CDU-Vorsitzende erst recht. Der Herr Merz schaut zwar immer besorgt drein, als hätte er begriffen, wovon er redet. Aber in Schwarwels neuer Jahresauswahl bekommt er für jede seiner falschen Behauptungen eine saftige Ohrfeige von Superman. Wer einer so großen Partei vorsitzt, sollte wissen, wovon er redet. Und den Leuten nicht einreden, dass das falsche Leben, in dem sie alle feststecken, einfach so weitergehen wird. Noch ewig lange.

Nur gibt es in einer endlichen Welt keine Ewigkeiten und auch kein ewiges Wachstum. Nur die Chance, zu lernen, wie man in so einer Welt überlebt und seinen Kindern und Enkeln keine kaputte, in eine Mülldeponie verwandelte tote Erde hinterlässt. Es liegt eigentlich alles auf der Hand. Und wer wie Schwarwel selbst schon seit Ewigkeiten einen weltschonenden Lebensstil pflegt, der rauft sich tatsächlich nur noch die Haare über die Sturheit etlicher Mitmenschen, die ihren dummen Lebensstil für vorbildlich und nachahmenswert halten.

Und die selbst dann, wenn sie auf dem Klo sitzen und die Klorolle leer ist, auf den grünen Wirtschaftsminister schimpfen. Deswegen ist die Klorolle auch zum Titelbild geworden: An allem sind die Grünen schuld.

Verräterische Farben

Das allgegenwärtige Gerede, mit dem die rückwärtsgewandte Opposition alle Kanäle füllt, zeigt natürlich Wirkung. Denn wer etwas verändern will, macht sich Ärger. Der verärgert alle Besitzstandswahrer und Nostalgiker, die sich tatsächlich einbilden, zu Adenauers Zeiten wäre das Leben leichter und schöner gewesen. Weshalb sich ja die CDU in diesem Jahr ein neues Logo gegeben hat – ausgerechnet (aber wohl ganz bewusst) in „Cadenabbia-Türkis“ und „Rhöndorf-Blau“.

„Cadenabbia, am Comer See gelegen, ist nicht nur als Urlaubsort Konrad Adenauers bekannt. Der Ortsname steht aufgrund der hier stattfindenden Fachtagungen synonym für die Arbeit der Christdemokraten am neuen Grundsatzprogramm“, liest man auf der Designer-Website designtagebuch.de.

Und Rhöndorf? Das ist keineswegs zufällig der langjährige Wohnort von Konrad Adenauer.

Womit die CDU sehr deutlich gemacht hat, wohin sie eigentlich zurückmöchte: in die Jahre 1949 bis 1963. Das ist nicht ganz so weit, wie die AfD in die Vergangenheit zurückwill. Aber es symptomatisch für die Sehnsucht eines um seinen Wohlstand bangenden Volkes: Es glorifiziert die Vergangenheit. Und fürchtet sich vor den echten Herausforderungen der Gegenwart.

Ein Pantoffel-Volk. Dessen denkfaulste Vertreter dann – „aus Protest“ – die AfD wählen. Und dann lieber in den Chor einstimmen, der dann auch noch die Grünen für AfD-Wahlsiege verantwortlich macht. Verblödet dieses Land jetzt so langsam?

Die Folgen falscher Bequemlichkeit

In Sachen Klima augenscheinlich. Für den Spruch „Früher gab’s auch schon heiße Somm….“ setzt es natürlich auch eine Ohrfeige. Hier ist Schwarwel nicht zimperlich. Da hat er genug falsche Behauptungen, Ausreden und Bullshit gehört, mit denen sich Leute, die ihre Schulzeit völlig verpennt haben, wie Professoren auf die Galerie stellen und alle anderen belehren. Oder – wie das mittlerweile von Schwarwel regelrecht geliebte Hutmännchen – beim Autoputzen brüllen: „Es gibt 1.000 Gründe, die Grünen zu hassen!“

Während 999 dieser Gründe damit zu tun haben, dass das Hutmännchen seine Gewohnheiten nicht ändern will.

Große deutsche Medien streiten zwar wortgewaltig ab, die Deutschen seien denkfaul und bequem geworden.

Die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Wohlstand macht feige, denkfaul und träge. Da braucht Schwarwel nicht mal die Künstliche Intelligenz zu bitten, die Zukunft auszumalen: Mit solchen Leuten wird die Zukunft schwarz. Das war’s dann. Wobei es nicht nur die Ignoranz für die Klimafolgen dieses satten, umweltverschlingenden Wohlstands ist, die Schwarwel in diesem Jahr 2023 so richtig auf die Palme gebracht hat.

Da ist der dreiste Selbstbetrug mit einem Rentensystem, das Menschen, die im Arbeitsleben schon mit mickrigen Einkommen abgespeist wurden, im Alter erst recht mit Armut bestraft. Da ist das ignorante Greenwashing auf lauter Produkten im Supermarkt. Da ist eine „Fortschrittskoalition“, in der sich der kleinste Partner als Bremser hervortut. Da ist ein Aiwanger-Effekt in Bayern, der einen sehr über die Neigung einiger Wähler zum kleinen Gaucho nachdenken lässt.

Und da ist die von Mauern und Abschottung geprägte Migrationsdebatte, in der die CDU das Wahlvolk und die Ampel vor sich her treibt, weil hinter ihr die AfD bellt. Was Schwarwel im September nur noch zu der Frage bringt: „Wann gibt es endlich eine Obergrenze für Vollidioten?“

Schon Tage später bestätigen ihn die neuen Umfrage-Werte für die AfD: Wenn über Migranten und ihre Aussperrung diskutiert wird, ist das Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten.

Keine Macht den Dummen!

Fernseh-Küchenpsychologen und eitle Neue-Parteien-Gründerinnen bekommen bei ihm genauso ihr Fett weg wie Antisemiten (die so gern von sich behaupten, keine zu sein), selbsternannte Experten und Parteien, die jedes, aber auch jedes Klima-Gesetz der Regierung torpedieren und sich hinterher auch noch dafür feiern.

Ein paar Lichtblicke gibt es trotzdem: Zum Beispiel zwei fröhliche Schweine, die 2023 mal nicht geschlachtet wurden, weil der Fleischkonsum sank. Einen verzweifelten Hütchenträger, dem das Blöd-TV abgeschaltet wurde, und ein neues Jugendwort, das mit einer der beliebtesten Comic-Figuren zu tun hat.

Und ganz zufällig ist das auch noch der 13. Band mit Karikaturen und Cartoons zum Zeitgeschehen, die Schwarwel aus den übers Jahr entstandenen Zeichnungen ausgewählt hat. Denn eigentlich nimmt er jeden Tag die grassierende Eitelkeit der Welt unter die spitze Feder, 100 von rund 600 Zeichnungen haben ins Buch gefunden. Ein bitterer, scharfer und zutiefst genervter Kommentar zu einer Welt, in der die Dummheit ganz unübersehbar Wählerstimmen sammelt und Politiker zu Narren macht.

Und die Frage bleibt stehen: „Wer ist schuld?“

Und was hat das mit der um sich greifenden Unfähigkeit zu tun, die simpelsten Naturgesetze zu verstehen und daraus Folgerungen zu ziehen?

Für Leute, die es lieben, den eigenen Kopf zum Denken zu benutzen, ein Lesevergnügen, das sogar befreit. Und auch ein klein wenig ermutigt, sich eben nicht dumm machen zu lassen, sondern das eigene Leben weltverträglich und achtsam zu gestalten. Und alles zu tun, damit die Dummen nicht auch noch die Macht in die Hände bekommen.

Schwarwel „Und wer ist schuld?“, Glücklicher Montag, Leipzig 2023, 9,90 Euro.

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