Kiesabbau im Westen von Leipzig, Kohle im Süden. Obwohl die Landschaft seit Jahrzehnten geschunden ist, geht der Ressourcenabbau weiter, werden Kultur- und Agrarlandschaften abgetragen. Ein Thema, das nicht nur Bürgerinitiativen auf die Barrikaden bringt, sondern auch Künstler beschäftigt. Denn so einen Raubbau an unseren Lebensgrundlagen gibt es weltweit. Und am Mittwoch, 28. Dezember, öffnet dazu auch eine vielschichtige Ausstellung.

„Schichten“ wird diese Ausstellung im D21 Kunstraum heißen. Sie rückt Auswirkungen des Ressourcenabbaus und damit einhergehende Veränderungen von Lebensverhältnissen in lokalen und globalen Zusammenhängen in den Fokus. Arbeiten internationaler Künstler_innen zeugen von der Prägung der Menschen und Landschaften durch die Eingriffe in die Natur – und den damit verwobenen Geschichten: Zeit- und Sedimentschichten, zurückgelassene Landschaften, Holz, Stein und Pixelbilder werden auseinandergenommen und um – gegenwärtige und vergangene – utopische Vorstellungen und Projektionen ergänzt.

Und parallel zur Kunstausstellung gibt es ein begleitendes Filmprogramm.

Bei den Filmen liegt der Fokus auf dokumentarischen Ansätzen, die die drei großen Kohleabbaugebiete Deutschlands – die Lausitz, das Mitteldeutsche Revier und das Ruhrgebiet – beleuchten. Die Entstehungszeit der ausgewählten Filme umfasst rund 60 Jahre; die Auswahl versammelt unterschiedliche dokumentarische Ansätze im Umgang mit den Spezifika der Regionen und ihren Bewohner_innen. Ein zusätzlicher Abend widmet sich dokumentarisch-fiktionalen und experimentellen Kurzfilmen aus der Region, die Veränderungen der Landschaft und sozialer Strukturen zum Ausgangspunkt der filmischen Auseinandersetzung nehmen. Die Auswahl der Kurzfilme ist in Zusammenarbeit mit FILZ (Filmische Initiative Leipzig) und der werkleitz Gesellschaft e.V. entstanden, die seit 2011 mit der mehrmonatigen Professional Media Master Class eine hochkarätige Praxis-Weiterbildung für Dokumentarfilmer_innen und Medienschaffende aus der Region Sachsen und Sachsen-Anhalt anbietet.

Die Ausstellung selbst:

Die Ausstellung versammelt Fotografien, Film- und Videoarbeiten, Skulptur und Zeichnungen internationaler Künstler_innen:

Anne Quirynens 2-Kanal-Videoinstallation „Venus Mission“ spiegelt Landschaftsbilder der stillgelegten Kupfermine Minas de Riotinto und Visualisierungen der astronomischen Erforschung des Planeten Mars alchemistisch ineinander. Die Minas de Riotinto ist eine der ältesten Kupferminen Europas und war bis ins Jahr 2000 in Betrieb; über eine Wiederinbetriebnahme wird derzeit nachgedacht. Die zurückgelassene Landschaft eignet sich wegen der Eisenoxidierung im Boden und des hohen Säuregehalts des Flusswassers hervorragend für Experimente, von denen sich die ESA und das MARTE Team der NASA Erkenntnisse über die Grundbedingungen vom Leben auf dem Mars erhoffen. In den Ähnlichkeiten und in den Differenzen der Bilder eröffnet Quirynen mediale und ästhetische, vergangene und zukünftige Beziehungen zwischen verlassenen Landschaften des Raubbaus und Projektionsflächen utopischer Besiedelungsszenarien.

Laurie Palmers skulpturale Rauminstallation „Hole“ entstand im Anschluss ihrer Recherchereisen, die sie in den letzten zehn Jahren zu 18 Orten in den USA geführt haben, an denen Bodenschätze gefördert werden. Palmers Arbeiten entstehen in der persönlichen Auseinandersetzung mit der Landschaft, dem Material vor Ort und im Kontakt zu den dort arbeitenden Menschen. Hole ist aus Holzplatten und -planken von Abrisshäusern geschichtet, zeichnet die Form der Grabung nach und greift die Materialität der Minenschächte und der Arbeitersiedlungen auf.

Im Bewusstsein des Spannungsfeldes von Ressource und Kunst bewegt sich der Transport der Installation „Hole“: vom Lake Michigan in Chicago über New York nach Hamburg und weiter nach Leipzig. Material wird zu einem Kunstwerk – das Kunstwerk wird zu Transportgut – Transportgut wird zum Ausstellungsstück. Für die Installation in Leipzig wird Laurie Palmer die Reise von Hole dokumentieren und vor Ort mit Material aus dem Zeitz-Weißenfelser Revier in Bezug setzen.

In den Fotografien von Katrin Streicher werden Veränderungen von Lebenszusammenhängen durch Umsiedlung sichtbar. Für die Arbeit Night time tremors fotografiert Streicher seit 2013 in der schwedischen Kleinstadt Kiruna, die nördlich des Polarkreises, in den Weiten Lapplands liegt. Eine Eisenerzmine ließ Kiruna wachsen und nun wird die Stadt nach und nach durch eben diese Mine zerstört. Durch unterirdische Sprengungen, die immer nachts die Erde zum beben bringen, wird Eisenerz aus dem Berg Kirunavaara gelöst. Bei jeder Sprengung entstehen Risse in der Landschaft, die sich zwar langsam aber bedrohlich auf die Stadt zubewegen.

Kohlezeichnungen von Prabhakar Pachpute: Der Künstler aus Bombay, Indien, ist Mitglied der Künstlerinitiative Clark House und stammt selbst aus einer Familie von Minenarbeitern. Pachpute verarbeitet in seinen Kohlezeichnungen persönliche und kollektive Geschichte(n) der Minenarbeiter, die er in ortsspezifische Installationen und Stopmotion Videos umsetzt. Die surrealen Zeichnungen verbinden reale und symbolische Elemente, die mit kultureller oder regionaler Bedeutung aufgeladen sind und um Gedanken ergänzt werden, die im Prozess der künstlerischen Arbeit entstehen.

Frank Mukunday und Tétshim aus der Demokratischen Republik Kongo verfolgen einen ähnlichen Ansatz: dem häufig unsichtbaren Leid des ‚letztes Gliedes‘ in der Verwertungskette eine Ausdrucksform und damit Stimme zu geben. Ihr Legetrickfilm Kukinga (Kiswahili: to protect) ist fast ohne Budget entstanden und zeigt den außergewöhnlichen Kampf einer Mutter, die ihr Neugeborenes schützen und am Leben halten will.

Dokumentarische und atmosphärische Einblicke gibt der Filmemacher Maximilian Erbacher. In Große Ausfahrt portraitiert Erbacher Menschen und Landschaften, in dem durch Braunkohle-Tagebau geprägten Rheinischen Revier.

Louis Henderson lenkt den Blick auf (post-)koloniale Fortschreibungen kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse – in „All that is Solid“ tastet er den Raum ab, der sich zwischen den Nutzer_innen vermeintlich immaterieller Computertechnologie und den Menschen aufspannt, deren physische Lebensrealität am Schürfen und Recyceln der Edelmetalle hängt.

In der für „Schichten“ entwickelten Arbeit „Plant Estate“ imaginieren Thomas Mader und Charlotte Eifler eine utopisch-dystopische Zukunftsvision von Bioengineering, in der Server und Cloud durch die Datenweitergabe in pflanzliches Gewebe abgelöst werden.

Eigens für die Ausstellung gestaltet Linda Kantchev eine Briefmarke, die der staatstragenden Symbolik ein künstlerisches Pendant entgegensetzt. Auf Grundlage von Stratigraphien schafft sie eine visuelle Übersetzung für konkrete und metaphorische Schichtkonzeptionen.

Die Ausstellungsmacherinnen

„Schichten“ wird von Elisabeth Pichler und Lena von Geyso, Absolvent_innen des Studiengangs Kulturen des Kuratorischen an der Hochschule für Grafik und Buchkunst 2015, kuratiert. Geyso und Pichler arbeiten als Kollektiv unter dem Namen „Kein Ort, sondern ein Zustand“ seit 2013 an interdisziplinären Ausstellungen und Projekten in München, Berlin und Leipzig.

Gefördert wird „Schichten“ vom Kulturamt der Stadt Leipzig und der Kulturstiftung Hohenmölsen. Das Projekt wurde 2016 mit dem Anerkennungspreis der SOMAK der Kulturstiftung Hohenmölsen ausgezeichnet.

Am Mittwoch, 28. Dezember, eröffnet die Ausstellung um 19 Uhr im Kunstraum D21 (Demmeringstraße 21 in Lindenau).

Die Ausstellung ist vom 29. Dezember bis zum 15. Januar 2017 jeweils Donnerstag bis Sonntag von 15:00–19:00 Uhr und nach Vereinbarung geöffnet. Am 31.12. und 01.01. ist die Ausstellung geschlossen.

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