Das erste Jahr war ein Erfolg. Man sah Dr. Anselm Hartinger am Mittwoch, 29. Januar, regelrecht an, wieviel Spaß ihm sein erstes Jahr als Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums gemacht hat. Nicht nur, weil die Besucherzahl von 492.130 Gästen ziemlich nah an der Halbmillionenmarke gekratzt hat. Und das, obwohl der Coffebaum gesperrt ist und von der Stadt erst für eine neue Nutzung hergerichtet werden muss. Auch das neue Ausstellungsjahr erwartet er schon mit Vorfreude.

Dabei hatte man dem Museum Zum Arabischen Coffe Baum, in dem die über 300-jährige Leipziger Kaffee(kultur)geschichte zu erleben ist, erst ein neues Konzept verpasst, das bei den Besuchern großen Anklang fand. „Erfreulich ist, dass sich die Umgestaltung der Ausstellung im Museum Zum Arabischen Coffe Baum im Vorjahr nachhaltig ausgewirkt hat, die Besucherzahl ist leicht gestiegen“, merkt Hartinger an.

Aber den wachsenden Besucherzuspruch wird man jetzt zwei Jahre lang nicht nutzen können. Die nötigen technischen Modernisierungen durch die Stadt betreffen zwar vor allem den Gaststättenbereich. Doch die Bauarbeiten werden das Stadtmuseum zwingen, die Ausstellungsobjekte des Museums erst einmal sicherzustellen, damit sie nicht in Leidenschaft gezogen werden.

Blick in die neu gestaltete Ausstellung im Coffe Baum, Foto: Punctum/Peter Franke
Blick in die neu gestaltete Ausstellung im Coffe Baum, Foto: Punctum/Peter Franke

Aber auch die Verbesserungen in den anderen Einrichtungen des Stadtmuseums trugen zum Anstieg der Besucherzahlen um über 30.000 bei. So gab es auch im Alten Rathaus 7.000 Besucher mehr und selbst im kleinen Schillerhaus in Gohlis 1.100.

Hartinger liebt Veränderungen. Etliche hat ja noch sein Amtsvorgänger Dr. Volker Rodekamp in die Wege geleitet, der mit erstaunlicher Geduld ertrug, dass viele wichtige Umbauten erst mit Jahren Verzögerung kamen. So begann die seit Jahren überfällige Sanierung des Alten Rathauses erst 2017 und war, so sehr Rodekamp sich das gewünscht hatte, 2019 zu seinem Abschied noch nicht beendet.

Die Fassade ist zwar fertig und 2019 konnte auch der Turm renoviert werden – samt Uhrwerk. Seitdem leuchtet die Rathausuhr wieder in starken Farbtönen. Aber die für 2020 geplante Kompletterneuerung der Elektrik im Rathaussaal in der 1. Etage musste jetzt um ein Jahr verschoben werden. „Da hat sich einfach so viel angesammelt, dass wir das verschieben mussten“, sagt Hartinger. Nicht nur die Elektrik muss ausgetauscht werden, auch Fenster, Beleuchtung und Bestuhlung brauchen eine Erneuerung.

Leipzig, Silvester 2019, Altes Rathaus am Markt. Foto: Jan Kaefer
Leipzig, Silvester 2019, Altes Rathaus am Markt. Foto: Jan Kaefer

Das Schillerhaus wurde zwar schon vor Jahren mustergültig saniert. Aber dafür wirkt jetzt die Ausstellung nicht mehr zeitgemäß. Also ist für das Schillerhaus jetzt eine konzeptionelle Überarbeitung der Ständigen Ausstellung dran mit zweisprachiger Ausstellungsbeschriftung und Audioguide und einer Neugestaltung des Gartens mit Hilfe der Stadtgärtnerei, wo man jetzt nach dem Vorbild historischer Bauerngärten mit einer Mischung aus Zier- und Nutzpflanzen arbeiten will.

Und was das Museum 2019 an Neuerwerbungen verzeichnen konnte, deutet auch schon mal auf die großen Ausstellungen in diesem Jahr hin.

Denn zu den Neuerwerbungen gehört auch eine Eidechse, ein einst in vielen Fabriken bis weit in die DDR-Zeit genutzter Elektro-Transporter der Leipziger Firma Bleichert, gebaut um das Jahr 1935. Das Fahrzeug stand bis vor kurzem noch als begrüntes Element in einem Dresdner Biergarten, passt aber ideal in die große Leipziger Ausstellung zum Jahr der sächsischen Industriekultur, die am 10. Mai im Böttchergässchen eröffnet wird.

„WerkStadt Leipzig“ heißt die Ausstellung, die 200 Jahre Leipziger Industriegeschichte auch mit vielen Objekten zum Anfassen lebendig machen möchte. Dazu gehört dieser längst klassische Elektrotransporter, mit dem der Leipziger Seilbahnen-Bauer auch ein erfolgreiches Segment im Fahrzeugbau betrieb.

Die Firma Adolf Bleichert & Co. in Leipzig Gohlis baute seit Anfang der 1920er Jahre mit der Produktion dieses vielseitigen Nutzfahrzeugs eine neue Produktstrecke neben den traditionellen Seilbahnen und anderen Förderanlagen. Das im Mai in der Ausstellung gezeigte Modell wird zur Zeit durch Auszubildende der Leipziger Firma Amazone BBG behutsam wiederaufgebaut und ab 10.05.2020 im Rahmen von WerkStadt Leipzig präsentiert.

Direktor Dr. Anselm Hartinger und Johanna Sänger, Kuratorin der Sonderausstellung "WerkStadt Leipzig. 200 Jahre im Takt der Maschinen", präsentieren stellvertretend für die Ausstellung (ab 10.05.2020 im Rahmen des Jahres der Industriekultur 2020 Sachsen) zwei Objekte (Fotoalbum Oskar Becker, Röntgenlaborant im VEB Metallgußwerk Leipzigund eine Stempeluhr) links im Bild ein Porträt von Gottfried Winckler des Künstlers Carl Ludwig Tischbein von 1826. Foto: Julia Liebetraut, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Direktor Dr. Anselm Hartinger und Johanna Sänger, Kuratorin der Sonderausstellung “WerkStadt Leipzig. 200 Jahre im Takt der Maschinen”, präsentieren stellvertretend für die Ausstellung (ab 10.05.2020 im Rahmen des Jahres der Industriekultur 2020 Sachsen) zwei Objekte (Fotoalbum Oskar Becker, Röntgenlaborant im VEB Metallgußwerk Leipzigund eine Stempeluhr)
links im Bild ein Porträt von Gottfried Winckler des Künstlers Carl Ludwig Tischbein von 1826. Foto: Julia Liebetraut, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Die Amazobe BBG steht dabei für eine völlig andere Branche, denn sie führt ja die Tradition des Landmaschinenbaus der Firma Sack und des späteren VEB Bodenbearbeitungsgeräte fort. Und sie wird in der Ausstellung ebenfalls einige spannende Zeugnisse der eigenen Firmengeschichte zeigen.

Insgesamt konnte das Stadtgeschichtliche Museum 2.525 Neuerwerbungen aus 92 Schenkungen und 32 Ankäufen verzeichnen. Der Ankaufetat ist winzig, sodass sich die Museumsmitarbeiter richtig freuen, wenn sie bei Ebay einmal solche Objekte wie die im Foto zu sehende „Stechuhr“ erwerben können, die eigentlich eine Stempeluhr war, wie sie baugleich einst auch in den Werkhallen der Firma Bleichert stand. Auch sie wird in der Ausstellung „WerkStadt Leipzig“ zu sehen sein. Ein Stück Arbeitskultur, das auch sichtbar macht, wie die Leipziger und Leipzigerinnen in den weltberühmten Fabriken der Stadt arbeiteten.

Aber auch die anderen Neuzugänge haben es in sich. Da ist zum Beispiel die Aquarellzeichnung von Felix Mendelssohn Bartholdy „Geroldsauer Wasserfall“ von 1828, die den Betrachter daran erinnert, dass Mendelssohn nicht nur ein begnadeter Musiker, sondern auch ein talentierter Zeichner und Maler war.

Bei dem Aquarell handelt es sich laut Einschätzung von Dr. Ralf Wehner (der die Leipziger Ausgabe der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy betreut) um das erste erhaltene Aquarell des Komponisten. Das Bild wurde dem Museum von privater Seite zum Kauf angeboten und konnte dank Unterstützung der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen angekauft werden.

Ebenso faszinierend sind 20 handgezeichnete Postkarten des Leipziger Künstlers Max Schwimmer (1895–1960), deren Ankauf gelang. Sie sind noch bis Mitte 2020 im Alten Rathaus, 2. OG ausgestellt.

Und richtig stolz ist Hartinger auf die Schenkung von acht Porträtgemälden der Leipziger Kaufmannsfamilie Gruner und der Familie der Kaufleute, Kunstsammler und Gutsbesitzer Winckler, darunter ein Porträt von Gottfried Winckler des Künstlers Carl Ludwig Tischbein von 1826 (siehe Foto), sowie zwei Porträts des bekannten Leipziger Malers Friedrich Matthäi,entstanden um 1820.

Die Gemälde, die die Vertreter zweier wichtige Leipziger Kaufmannsfamilien zeigen, wurden dem Museum von Ferdinand Gruner aus Baden-Baden geschenkt. Die Gemälde werden ab März 2020 im Alten Rathaus, 2. Obergeschoss, zu sehen sein.

Und ebenso eindrucksvoll sind fünf von Hand illustrierte Bücher des Künstlers Immanuel Chamizer (1913–1948). Immanuel Chamizer war der Sohn des Leipziger Arztes und Bildhauers Raphael Chamizer, der 1938 mit seiner Familie vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten nach Israel floh. Immanuels Sohn Dan Chamizer, ein in Israel bekannter Moderator und Filmemacher, brachte die Bücher, die noch vor der Emigration in Leipzig entstanden sind, hierher zurück.

Und nicht zu unterschätzen ist das Großkonvolut mit dem Teilnachlass des bekannten Leipziger Fotografen Georg Zschäpitz. Damit können insbesondere Sammlungslücken aus den 1930er Jahren geschlossen werden. Wichtige Baumaßnahmen in Leipzig, wie z. B. der Bau des Elster-Saale-Kanals und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Zuge der Luppe-Regulierung sind hier vertreten.

Und damit wächst auch das Fotoarchiv des Museums, aus dem praktisch jede in Leipzig erscheinende Buchveröffentlichung zur Stadtgeschichte gespeist wird. Die Buchautoren geben sich im Stadtmuseum praktisch die Klinke in die Hand.

Über 300.000 Objekte sind mittlerweile im Fundus des Museums verzeichnet, fast alle schon akribisch digitalisiert, sodass sie auch der Forschergemeinschaft zur Verfügung stehen. Aber da lasse sich mehr draus machen, findet Hartinger und hat einen regelrechten Digital-Verbund der Leipziger Museen angestoßen. Er liebt nicht nur das Netzwerken, sondern auch das Ausprobieren.

So auch in der kleinen Studio-Ausstellung zu Clara Schumann, wo erstmals auch richtige Schülerkonzerte stattfanden. Ein Experiment, das aufging. Mit über 5.000 Besucher/-innen war auch diese liebevoll gestaltete Kabinettausstellung besser besucht, als es die Ausstellungsmacher vorher gedacht hatten.

Die Besucherzahlen will Hartinger auch in den nächsten Jahren steigern. Aber das will er nicht mit Hauruck machen, sondern mit einem organischen Wachstum, wie er es nennt – mehr Netzwerkarbeit mit den unterschiedlichsten Partnern und auch mit neuen Angeboten, die das Museum auch für neue Besucher interessant machen. So etwa mit der neuen Reihe „Museum After Work“, die ab März vor allem Berufstätigen die Chance eröffnen soll, einmal im Monat bis 20 Uhr einen besonderem Tag im Museum zu erleben.

Oder mit der „Klangpause“, einem richtigen, halbstündigen Mittagskonzert im anheimelnden Saal des Alten Rathauses an jedem Freitag ab 12:30 Uhr. Hier kooperiert das Stadtgeschichtliche Museum mit der Hochschule für Musik und Theater und gibt den angehenden Musiker/-innen Gelegenheit, ihr Können an einem besonderen Ort zu zeigen. Und das für Besucher/-innen zum kleinen Preis von 3 Euro, ermäßigt 2 Euro. „Das könnte auch für Touristen interessant sein“, sagt Hartinger.

 

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