Eigentlich ist er schon da. Berge von Büchern zu Luther, Reformation und Bibelübersetzung sind erschienen. Der sächsische Lutherweg ist in Betrieb gegangen, die Panorama-Ausstellung in Wittenberg wurde eröffnet. Aber 2017 wird erst einmal richtig gefeiert: „500 Jahre Reformation: Kirchentag auf dem Weg in Leipzig“. Vom 25. bis 28. Mai wird das in Leipzig zu erleben sein.

Acht mitteldeutsche Städte machen mit bei diesem etwas ungewöhnlichen „Kirchentag auf dem Weg“, alle irgendwie verbunden mit dem Wirken Martin Luthers und der Reformation. Nummer 9 ist dann noch Wittenberg selbst, das einen richtigen Luther-Sommer feiern wird. Das wird hunderttausende Besucher in die Region Mitteldeutschland ziehen.

Jede Stadt setzt dabei ihre eigenen Akzente.

Unter dem Stadtklang „Musik. Disput. Leben“ steht der „Kirchentag auf dem Weg“ in Leipzig. Denn die Stadt Leipzig war 1519 Austragungsort einer öffentlichen, hitzigen und wortgewaltigen Disputation zwischen Luther und seinem romtreuen Gegner Johannes Eck. Diese theologische Auseinandersetzung über Ablass und Papsttum führte im Ergebnis endgültig zum Bruch Luthers mit Rom. Fast 500 Jahre später wird die Disputation auf den Straßen Leipzigs noch einmal zu erleben sein.

Auch musikalisch steht Leipzig ganz im Zeichen Luthers: Denn Leipzig ist die Stadt Bachs, der wie kein anderer Luthers Gedanken und Texte vertonte. Und so wird der musizierende Protestantismus mit Universitätsmusik, Thomanerchor und Posaunenchören zu hören sein. Von 25.000 Posaunenchormitgliedern ist die Rede, die dann nach Leipzig kommen.

Oder haben wir uns da verhört?

Die Leipziger Wasserbrücken sollen zu der Gelegenheit thematisch gestaltet werden, so dass man die Lutherfeierlichkeiten auch vom Wasser aus erleben kann. Kneipengespräche soll es geben und eine riesige Leipziger Kaffeetafel in der Innenstadt. Und ein Höhepunkt wird auf jeden Fall die Reformationsperformance „Zum Licht“ auf dem Marktplatz: Hierbei werden mit einer Mischung aus Tanz, Schauspiel, Musik, Videoproduktion, Sound- und Lichtdesign die historischen Ereignisse rund um die Leipziger Disputation in einen größeren Zusammenhang gestellt.

Denn wenn man die Leipziger Disputation von allen Seiten betrachtet, dann merkt man, dass hier schon das „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ von Worms steckt. Immerhin war der sächsische Herzog Georg der Schirmherr des Ganzen und hörte aufmerksam zu. In seinem Herzogtum hatte er längst selbst begonnen, die alte Kirche zu reformieren. Aber was Luther dann wagte – gar noch Papst und Konzil infrage zu stellen – das ging ihm zu weit. Das verbat er sich und bekämpfte fortan alle lutherischen Bestrebungen in seinem Land. Erst 1539 wurde – nach seinem Tod – die Reformation in Leipzig eingeführt.

Was alles so schön einfach klingt. Historiker einigen sich auf einfache Formeln. Aber darüber geht meist verloren, dass es „die Reformation“ gar nicht gab, dass auch Luther 1517 bei seinem Thesenanschlag noch nicht wusste, was daraus alles mal werden sollte. Und vor allem: Was diese Aufmüpfigkeit gegen die mächtigste Institution seiner Zeit eigentlich für die ganze europäische Welt bedeutete. Denn wer so vehement die „Freiheit eines Christenmenschen“ fordert, der löst ganze Prozesse der Emanzipation aus. Und viele davon hatten ihre Wurzeln in Leipzig, das Luther so gar nicht mochte.

Aber mit Luther begann auch etwas, was es vorher nicht gab: gesellschaftliche Veränderungen, die mit dem gedruckten Wort begannen. Nicht nur die Reformation (die eigentlich ein Strauß von Reformationen war), sondern auch die Aufklärung im deutschen Raum, die Formierung republikanischer und demokratischer Ideen, die Emanzipation von Frauen und Arbeitern begannen mit Gedrucktem von Leipzig aus, bis hin zur Friedlichen Revolution, die eigentlich eine aufmüpfige Emanzipation von einem obrigkeitlichen Staatswesen war. All das, was Luther als leidender und suchender Mönch und Mensch für sich gefunden hatte (eindrucksvoll nachlesbar in Joachim Köhlers „Luther!“), wurde zur Triebkraft einer Entwicklung, in der auch die Leipziger immer wieder neu ihr „Hier stehe ich …“ wagten, was dann 1989 auch mal wie „Wir sind das Volk“ klang.

Ein „Hier stehe ich“ oder ein „Wir sind das Volk“ allein reichen aber nicht, auch wenn man seine persönlichen Beziehungen zu Gott und der Welt geklärt hat, enthebt einen das nicht der Pflicht, seine Fehler zu hinterfragen, seine Gesprächspartner zu respektieren und vor allem die eigene Position nicht für die allein seligmachende zu erklären. Wozu der Mensch in seiner Weisheit letzten Schluss gern neigt. Deswegen gehört zwingend immer ein Melanchthon dazu, der nicht nur Luthers emsiger Helfer war, sondern auch da noch das Gespräch suchte, wo ein embrassierter Luther die Türen krachend zugeschlagen hatte.

Stoff genug für ein Reformationsjubiläum, das nach Willen der Organisatoren vor allem die Ökumene in den Mittelpunkt stellen wird. Das ist eher Melanchthon als Luther. Aber das gehört dazu. Denn wer nur bei Luthers „Hier stehe ich“ stehen bleibt, der hat verpasst, dass dieser Luther – zu Ende gedacht – eigentlich eine Aufforderung ist, eben nicht stehen zu bleiben, sondern auch was dazuzulernen. Egal, wie schwer das fällt. Was nicht nur für Protestanten und Katholiken und Andersgläubige gilt, sondern für jeden modernen Menschen, der einen Kopf auf den Schultern trägt. Seitdem ist auch dieses verflixte Selberdenken auf der Tagesordnung. Und die Dummköpfe reagieren noch immer genauso unwirsch, wenn man ihnen dann mit einem „Ich kann nicht anders“ kommt.

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