In vergangenen Jahren schaute noch der Meister persönlich recht grimmig von Plakaten und Programmheften: Johann Sebastian Bach (1685–1750) in der ikonografischen Darstellung von Elias Gottlob Haußmann (1695–1774). Mal war er auch nur halb zu sehen. Verschwunden war er auf den Materialien zum Bachfest nie. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Ein farbiges Raster flackert über das Cover der Programmhefte. Und auch auf den Werbebannern und Plakaten sieht man dieses Muster. In dem ein Geheimnis steckt.

Oder ein künstlerischer Trick. Wie man es nimmt. Beim diesjährigen Bachfest ist einiges anders. Und das nicht nur, weil das Oberthema des Bachfestes diesmal „Transformation“ lautet. Ein Wort, das – wie Festivaldirektor Michael Maul bestens gelaunt feststellt – viele Bachliebhaber erschreckt hat. Weil es in anderen Bereichen unserer Gegenwart mittlerweile genauso inflationär gebraucht wird wie etwa das Wort Nachhaltigkeit. Es ist zum Buzzword geworden, oft auch zum falschen Label, das Veränderung vorspiegelt, wo es nur um einen neuen Fassadenanstrich geht.

Und Bach? Ist über den berühmten Thomaskantor nicht alles gesagt? Nicht wirklich. Das Leipziger Bachfest bietet immer wieder neue Formate, in denen Bach neu interpretiert wird. Und auch solche, in denen die Besucher der Konzerte erfahren, dass Bach selbst seine Werke immer wieder neu interpretiert hat.

Er hat kopiert, erweitert, neu betextet – aus Geburtstagskantaten wurden Weihnachtskantaten, aus dem „Stabat Mater“ von Pergolesi, das in der katholischen Kirche damals Furore machte, ein von Bach mit neuem Text versehenes Stück für den protestantischen Gottesdienst: „Tilge, Höchster, meine Sünden“. Beide übrigens in einem Konzert zum Bachfest zu erleben.

Es gibt nicht den einen, statischen Bach. Variation und Transformation waren bei ihm zentrale Arbeitselemente.

Die Kunst der Fuge

Was selbst im rätselhaftesten seiner Stücke sichtbar wird: Jener Fuge aus der „Kunst der Fuge“, in der er seinen Namen als Thema benutzt, das aber kurz darauf abbricht. Überliefert ist von seinem Sohn Carl Philipp Emmanuel Bach, dass sein Vater über dieser Stelle verstorben sei. Eine weit interpretierbare Aussage, wie Michael Maul findet. Auch wenn es möglicherweise tatsächlich das letzte Stück war, das Bach komponierte und als Fragment hinterließ.

Und genau darum geht es bei dem in diesem Jahr allüberall zu sehenden Motiv zum Bachfest, das der in Leipzig lebende Künstler Ritchie Riediger extra fürs Bachfest anfertigte. Das Bild, das den Titel „The last Minute“ trägt, zeigt tatsächlich diese letzte Fuge bzw. die letzte Minute dieser Fuge, die Riediger mit jener von ihm selbst patentierten Methode geschaffen hat, mit der er auch schon die Kompositionen anderer Musiker in leuchtende Farben „übersetzt“ hat.

Der 1967 in Weißenfels geborene Künstler, der auch an der HGB Leipzig bei Prof. Helmut Mark Meisterschüler war, beschreibt den Prozess der Bildwerdung ganz trocken so: „Ich lenke den Kathodenstrahl in einer Braunschen Röhre ab.“

Das hat er eine Zeitlang direkt auf der Bühne praktiziert und die eingespielte Musik so in Farbsegmente auf dem Bildschirm verwandelt. Störungen eigentlich, wie man sie früher vom Fernseher noch kannte. Jeder Ton erzeugt eine andere farbliche Störung, sodass sich Bilder ergeben, die an moderne Gestaltung von Kirchenfenstern erinnern. Was für Riediger so fern nicht liegt.

Er würde nur zu gern auf diese Weise auch ein paar Glasfenster in der Thomaskirche gestalten, wenn man ihn nur dazu einlüde. Aber nicht auf der blendenden Südseite, wo sich heute ja auch das Bach-Fenster befindet. Sondern auf der Nordseite, wo nicht mit blendendem Sonnenlicht gerechnet werden muss. Da hätte er, sagt er, Kontrolle über die Farbstimmung.

Wer also jetzt das Programmheft zum Bachfest erwirbt, hat praktisch die letzte Minute der B-A-C-H-Fuge in der Hand. Das Bild gibt es auch – wie Michael Maul es im Foto hochhält – im Bach-Shop zu kaufen. Mit der Konsequenz, dass man sich Bachs Musik tatsächlich daheim an die Wand hängen kann.

Auf der Bühne findet man Riediger mit dieser Verwandlungs-Show von Musik in Bilder nicht mehr. „Das ist schlicht zu aufwendig geworden“, sagt er.

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