Riccardo Chailly wird von einem Weltstar der internationalen Dirigentenszene beerbt werden. Bei einer Pressekonferenz stellte das Konzerthaus am späten Mittwochnachmittag Andris Nelsons (36) als designierten 21. Gewandhauskapellmeister vor. Der Lette wird das Amt zur Saison 2017/18 übernehmen. Neben seiner Tätigkeit in der Messestadt bleibt der Maestro bis 2022 Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra (BSO). Beide Klangkörper vereinbarten eine intensive Zusammenarbeit.

“Dies ist ein guter Tag, nicht nur für das Gewandhaus, sondern auch für die ganze Stadt”, versprach OBM Burkhard Jung (SPD) während der Pressekonferenz. Jedermann konnte im Foyer die positive Aufbruchsstimmung spüren, als Nelsons den Raum betrat. Pressevertreter und geladene Gäste spendeten spontan Beifall. “Andris Nelsons ist bekannt in Leipzig. Das Orchester hat davon geschwärmt, mit ihm zu arbeiten”, berichtete Jung. “Lieber Andris, herzlich Willkommen. Schön , dass dieses Orchester dein großer Wunsch ist.” Der Verwaltungschef schilderte, dass der amtierende Kapellmeister Riccardo Chailly, dessen Vertrag eigentlich noch bis 2020 lief, ihm schon im Sommer 2014 um die Suche eines Nachfolgers gebeten hatte. Wie vergangene Woche bekannt wurde, wird das Engagement des Mailänders zum Sommer 2016 beendet werden. Als Begrüßungspräsent überreichte Jung dem Dirigenten ein Bild des zweiten Leipziger Gewandhauses, das bauliches Vorbild für die Boston Symphony Hall gewesen ist.

Mit Nelsons übernimmt der nächste Superstar der internationalen Klassikwelt die künstlerische Leitung des traditionsreichen Klangkörpers. Der Lette ist seit 2014 Music Director des Boston Symphony Orchestra. Sein Vertrag in der Hafenmetropole war erst Anfang August bis 2022 verlängert worden. “Ich bin sehr, sehr begeistert”, freute sich Nelsons über die Berufung. “Mein Traum ist in Erfüllung gegangen.” Der künftige Kapellmeister hob die innige Beziehung zu den Künstlern hervor. “Ein Dirigent und das Orchester können nur höchste Resultate erbringen, wenn das Verhältnis wie eine große Familie ist.”

Andris Nelsons wird begrüßt. Foto: Alexander Böhm
Gewandhausdirektor Andreas Schulz (li.), Orchestervorstand Tobias Haupt (2.v.li.), OBM Burkhard Jung (2.v.re.) und BSO-Chef Mark Volpe (re.) beglückwünschten Andris Nelsons (Mitte) zu der neuen Aufgabe. Foto: Alexander Böhm

Der Orchestervorstand war maßgeblich an der Findung des künftigen Chefdirigenten beteiligt. Sein Vorsitzender, der Violinist Tobias Haupt, erinnerte an Nelsons erstes Gewandhausdirigat im Dezember 2011. “Er schenkte uns ein Vertrauen, das jede Überzeugungsarbeit überflüssig machte.” Große Freude signalisierte auch Gewandhausdirektor Andreas Schulz. “Es ist uns gelungen, einen der gefragtesten Dirigenten überhaupt zu bekommen.” Wo immer in letzter Zeit ein großer Dirigentenjob vakant war, fiel der Name Nelsons. Zuletzt war der Lette als möglicher Chefdirigent der Berliner Philharmoniker gehandelt worden.

Mit Nelsons an der Spitze planen Gewandhausorchester und Boston Symphony Orchestra eine enge Partnerschaft. Bereits ab 2016 greift eine Gastspiel-Vereinbarung. Die Bostoner gastieren am 5. Mai mit Gustav Mahlers 9. Sinfonie im Gewandhaus. Zwei Jahre später sind die Nordamerikaner erneut nach Leipzig eingeladen. Das Gewandhausorchester wird während seiner USA-Reise in der Spielzeit 2019/20 in Boston konzertieren. Beide Klangkörper werden in je einer Konzertwoche Werke aus dem Kernrepertoire des jeweils anderen Orchesters einstudieren.

Geplant sind weiterhin gemeinsame Auftragswerke und eine Zusammenarbeit bei der Nachwuchsförderung. Ausgewählte Mitglieder der Dirigenten-Akademie des Tanglewood Music Centre werden Nelsons bei seiner Arbeit in Leipzig assistieren. Bostoner Musiker werden außerdem in Musikvermittlungsprojekten des Gewandhausorchesters partizipieren. Als musikalischen Kurator konnten die Institutionen den renommierten Bach-Forscher Christoph Wolff gewinnen. Der ehemalige Direktor des Bach-Archivs lehrt unter anderem an der Harvard-Universität in Boston.

“Das neue Bündnis zwischen dem Boston Symphony Orchestra und dem Gewandhausorchester, das die historische Bedeutung der Ensembles unterstreicht, betont unser gemeinsames Erbe und befördert die künstlerische Kooperation”, erklärte der Managing Director des BSO, Mark Volpe. Die gemeinsame Geschichte beider Orchester führt bis ins Jahr 1881 zurück, als Orchestergründer Henry Lee Higginson den am Leipziger Konservatorium ausgebildeten Georg Henschel als ersten Chefdirigenten berief. In der Folge wirkten zahlreiche Dirigenten und Musiker in Boston, die in Leipzig ausgebildet wurden oder Stellen im Gewandhausorchester inne hatten.

Wenngleich Andris Nelsons erst 2017 mit einem Konzert in sein neues Amt eingeführt werden wird, wird er auch in dieser und der kommenden Spielzeit das Gewandhausorchester dirigieren. Im Mai und Juni 2016 sind fünf Dirigate mit dem gebürtigen Rigaer geplant. Vier im Abonnement und ein Entdeckerkonzert. Auf dem Programm stehen unter anderem Werke von Richard Wagner.

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