Erster sein! Gewinnen! Glück haben! Ausgewählt werden! Wer wollte das nicht. Wer wollte nicht Millionär werden. Oder anerkannt, gelobt von der Lehrerin! Mal gelobt oder einfach mal nicht ausgeschimpft werden von den Eltern...

In der Wolfsschlucht sind alle Helfer gleich: Wir gewinnen!

Das kann ein seelisch-moralischer Einstieg sein zur Erklärung der “Freischütz”-Oper. Aber muss man es denn so umständlich machen? Via Spickzettel und Abschreiben-Guttenbergen zum Urkundenfälschen? Oder verstehen das die jungen Abenteurer auch, wenn die Rede ist vom Zauber-Kugel-Gießen vor dem Freischießen, und sei es mit Gottes, des Teufels oder anderer Übermächte Hilfe… In der Wolfsschlucht sind alle Helfer gleich: Wir wollen gewinnen!

Webers “Freischütz” steht noch immer im Schulunterrichts-Lehrplan, da kann die Erinnerung für die Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel auch nicht falsch sein. Regisseurin Jasmin Solfaghari soll schon gegen den Titel “FREISCHÜTZ für Kinder” gewesen sein. Zu Recht, aber vergebens. Wie will man das auch korrekt schreiben “Freischütz für Kinder” ist mindestens genauso doof wie “Kinderflohmarkt”. Oder sogar jugendgefährdend und strafbar.

Fräuleins in unschuldigem Weiß trällern: "Wir winden Dir den Jungfernkranz". Foto: Karsten Pietsch
Fräuleins in unschuldigem Weiß trällern: “Wir winden Dir den Jungfernkranz”. Foto: Karsten Pietsch

Oper für Kinder, für Familien

Immerhin hat man an der Dreilindenstraße in Leipzig-Lindenau saalfüllende und publikumsbegeisterte gute Erfahrungen gemacht mit dem “Ring des Nibelungen” Richard Wagners. In einer Version nicht nur für Kinder, Text- und Musikfassung wurden von der  Bayreuther Produktion übernommen, die Inszenierung aber sah, raumbedingt, ganz anders aus.

Aber die Leipziger Opernleute wollen ihre jungen Zuschauer von 8 Jahren an schon haben. Eher als der Stoff im Lehrplan dran ist!  Hm, OK! So mancher Erwachsene erschrak, als er einst in der Schule erlesenen Klassikern auf der Bühne wiederbegegnete!

Ja, auf der Bühne bleibt alles scheinbar in Carl Maria von Webers Opern-Milieu, nur die theatralischen Gebrauchsanweisungen, Education genannt, hatten solche Metaphern von Prüfungen und Vorwürfen der Eltern. Und vom dunklen Wald, in den kein Kind gehen will. Lakonisch nachgefragt, wer wird denn heutzutage auch lügen, wenn es um Schießerei geht?

Eine schöne grüne Schänke ist zu sehen und auch zu hören sind stimmungsvolle Leute in so was ähnliches wie Trachten im Karnevalslook gekleidet, es wird gesungen und geschwooft.

Nach der Schänke kommen wir ins Forsthaus und der technische Bühnen-Zauber bleibt aufmerksamen Kindern nicht verborgen, denn mit genialen verwandlungsfähigen Bauteilen von Bühnenbildner Frank Schmutzler stellt sich die schaurige Wolfsschlucht her, die sich später noch zur Waldwiese verändert. Mit einer optisch genialen geteilt-versetzten Treppe. Da guckt ein Landschaftsplaner durch.

Herrenriege-Kollektion mit aufgemalten Wildarten

Von der Schänke bis zum Schützen-Event passen die Roben der Damen und Herren Solisten und Chorsänger ins Idyll. Putzig, wie die Damen in ihren hüftbetonten und rocklängen-wadenbetonenden einheitlich-weißen Kleidern herumwirbeln. Mit den Jäger-Klamotten der Herren-Riege im letzten Akt schießt Kostümbildner Sven Bindseil über das Bühnen-Ziel hinaus. Auf Jacken aufgemalte Köpfe diverser Tierarten wären etwas als Mode-Kitsch-Kollektion für zahlungswillige Leute, die Tradition, Brauchtum, Jagd, Forst, Viehzucht und Ackerbau nicht verstanden haben. Immerhin wurde viel Sorgfalt auf Hosenlängen und Strümpfe verwandt. Weidmanns Heil!

Spuk und Schreck halten sich in Grenzen. Es qualmt in der Schlucht und Feuerräder drehen sich am Nachthimmel. Schwarze Vögel hängen an Fäden und huschen über die Zuschauerköpfe. Wie die Herren Waffenträger gegen Ende ihre vermeintlichen Flinten auf einen Haufen stapeln, das hat aktuell-satirischen Bezug…

Weidmanns Heil den des Chors der Musikalischen Komödie. Foto: Karsten Pietsch
Weidmanns Heil des Chors der Musikalischen Komödie. Foto: Karsten Pietsch

Baustelle, Moos, Gras, Wald…

Für junge Leute unterschiedlicher Körpergrößen ist ja vielleicht die behelfsmäßige Bestuhlung auf den provisorischen Traversen vorteilhaft, wie sie nach einer Bauetappe vor etlichen Jahren übrig blieben. Wer es nicht anders kennt, den stört womöglich nicht der rohe Zustand des Saales vor der nicht zu Ende umgebauten Bühne. Hat das die Bauplanung von Oper und Stadt alles vergessen? Sind da Moos und Gras drüber gewachsen…

Wie die Orchester-Hörner über die Brüstung in den Saal tönen, das hat was von seltsamem Waldesrauschen… Möge auch der nachfolgende Dirigent so mit Orchester und Haus klarkommen, denn Stefan Diederich will die Musikalische Komödie verlassen. Schade, denn mit ihm und den Leitungskollegen hatte das Haus andere Klang- und Bildfarben bekommen: man denke an Musical-Drive und die völlig neuen eigenständigen Ballettproduktionen.

So wie die “Romeo und Julia” in der Choreographie auf gleicher Bühne in der scheinbaren Mystik eines Kleinmesse-Plänterwald-Rummelplatzes ihre Balkon-Szene fanden, so verbleibt dieser “Freischütz” nun quasi im Wald.

Spielplatz, Spielraum

Heute wachsen die Kinder mit so schön vielen Figuren-, Fernseh-, Spiel-, Zeitreise- und anderen Welten auf, was auch alles Arten von Theater-Spielplatz und Spielraum und Theater-Schauen sind. So dass man doch eine Theaterkarte eigentlich nur zeigen müsste, um Interesse zu ernten: “Gehen wir mal ins Theater?” – Oder nicht?

Kommentar 1:
Mit Teddybären und Puppen haben wir doch alle mal gespielt und mit ihnen gesprochen wie mit Menschen. Als Kindergartenkind erlebte man das “Tapfere Schneiderlein”  (Titelrolle: Dieter Bellmann, Prinzessin: Ellen Hellwig). Man bekam Finger- und Handpuppen. Und schnell war aus einem Pappkarton ein Puppentheater entstanden, in dem der Vorhang aufging. Beim Theaterneubau geschah das schon über Seilzug und mit Klingel… Zwei mal im Jahr ging die Schulklasse ins Theater der Jungen Welt. Als jemand aus der Bekanntschaft der Eltern mal nicht in die Oper wollte, sah man mit 10 Jahren “Aida”. Unvergesslich. “Meister Röckle” kam erst später. Und dann ging das weiter.

Kommentar 2:
Muss man Oper für Kinder anders denken? – “Nein”, sagte Peter Konwitschny, als er danach gefragt wurde: “ein Kind versteht es auf seine Weise.” – Heiner Müller urteilte über allerneueste Kunstproduktion zur Zeit seiner letzten Lebensjahre: “Es läuft alles auf den Verstand eines fünfjährigen Kindes hinaus.” – Manfred von Ardenne dachte vermutlich nicht an Musiktheater und andere Künste, als er sagte: “Mit zehn Jahren bekommt man die Initialzündung für das ganze spätere Leben.” – “Kunst wirkt an sich, in sich und durch sich”, sagte eine ältere Stimme, aber eine jüngere: “Verzicht auf Einführung ist Arroganz, weil das Publikum dann nicht kontrollieren kann, ob die Vorhaben erfüllt und die Versprechungen eingehalten worden sind.”

Kommentar 3:
Bei der Bayreuther BF-Medien GmbH gibt es einen Wettbewerb für etliche Schulen und Klassen, die Schüler lernen Stücke und Personen kennen und entwerfen Kostüme für die jeweiligen Werke. Dieses Jahr ist “Parsifal” dran. Eine Schule gewinnt und die Figurinen werden zu Vorlagen in der Schneiderei. Nach den Aufführungen trafen sich die jungen Designer mit den Darstellern. Sozusagen Theatermacher miteinander. Und zwischendurch wussten im Verlauf der Handlung alle von allem Bescheid.

Carl Maria von Webers "Freischütz" auf zwei Stunden gekürzt. Foto: Karsten Pietsch
Carl Maria von Webers “Freischütz” auf zwei Stunden gekürzt. Foto: Karsten Pietsch

Der Mond sieht zu

“Der Mond war auch nicht zu vermeiden”, heißt es irgendwo bei Brecht. Er kommt zum “Freischütz” sogar herab aus dem Himmel in die Musikalische Komödie! Denn er liebt Oper, erzählt er uns, und am liebsten spielt er auch mal mit! Aber vorher erklärt er noch, was gleich zu sehen sein wird, und manchmal machen dann die Darsteller noch kurz die Gesten dazu. Na, wenn das nicht lustig ist! Vor allem ist es überflüssig.

Sogar zum “Freischütz” für Familien kann man sich vorab etwas erzählen lassen. Aber da soll es, laut stückführender Dramaturgin Dr. Heidi Zippel, nicht um das Verraten der Rätsel des  Stücks gehen, sondern um das Theater an sich, sozusagen die Geheimnisse, auf die man sich aufmerksam einlassen kann, nichts zu verpassen! Nach manchen Vorstellungen gibt es noch ein Nach-Programm im Venussaal um Fragen und vielleicht auch Ängste aufzuklären… Und dann dabei zu sein, wenn es wieder einmal heißt: “Gehen wir ins Theater?”

Wenn sich das Opernhaus am Augustusplatz mal wieder einen “Freischütz” gönnen will, sei daran erinnert, dass der Leipziger Maler Werner Tübke mal für die Bühne in Bonn Bühnen- und Kostümbilder gestaltet hat, “bis hin zu Agathens Socken”, wie Tübke einst stolz betonte. Hoffentlich lagern die Prospekte noch in Bonn und sind dann mindestens die Kostüm-Figurinen vorhanden.

“Freischütz für Kinder” in der Musikalischen Komödie – nächste Vorstellungen: 20. Mai, 20., 21. Juni, 04. Juli 2015

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