Die Facebookseite "Gohlis sagt Nein!" gehört offensichtlich zur Strategie, welche Teile des NPD-Nachwuchses seit nun über einem Jahr im Netz vor allem aus Wahlkampfgründen verfolgten. Und sie ist die größte ihrer Art. Eine anonym geführte Facebookseite, welche eine "Bürgerinitiative" repräsentieren soll und längst durch Neonazis dominiert ist. Über die Seite selbst wurde schon mehrfach unter Anderem im Zusammenhang mit dem "Schweinekopfanschlag" auf das Baugelände der zukünftigen Ahmadiyya-Moschee in Gohlis berichtet. Nun haben sich mutige Gohliser ein Herz gefasst. Und eine Strafanzeige gegen die Betreiber der Seite gestellt. Warum die Leipziger Polizei nicht schon längst ermittelte, bleibt hingegen eine offene Frage.

Man stelle sich vor, ein deutlich gewaltbereiter Neonazi baut sich im Rahmen einer Zusammenrottung in Sicht- und Hörweite eines Polizeibeamten auf und würde folgendes in Richtung einer Menschengruppe brüllen: “Ich habe (…) eine Lösung (…) für unsere Masseneinwanderung! Abknalln das Viehzeug und Moslems jagen ohne Gnade und Jeder der hierrüber kommt erschießen! Warum erst auf den Bürgerkrieg warten…? (…) werden es mir zu viele greif ich zur Waffe, die Justiz ist dann eh überfordert und Polizeistellen werden eh abgebaut … well done”.

Kurz festgehalten: Ein klassischer Gewaltaufruf an andere und anderen gegenüber, eine kräftige Prise Selbstjustiz und ein (Handlungs)Hinweis auf die Machtlosigkeit des Staates, wenn sein erträumter Volkssturm erwacht und Minderheiten tötet. Würde der zuhörende Beamte von sich aus die Ausweispapiere des Schreihalses verlangen und von Amtswegen gegen den Herrn eine Ermittlung einleiten? Wahrscheinlich. Eine Strafanzeige anderer Bürger wäre somit nicht mehr wirklich erforderlich. Im Netz scheint die Haltung der Strafverfolgungsbehörden hingegen laxer zu sein. Man schaute zu, wie sich Gewalt und Hass aufschaukeln, vor allem auf der durch Berichterstattungen hinlänglich bekannten Moscheegegnerseite.

Und so konnten sich über Monate auf der Facebookseite “Gohlis sagt Nein!” Rechtsradikale, Neonazis und sonstige Quartalsirre die Klinke in die Hand geben und sich ihren verbalen Gewaltphantasien hingeben. Der Staat schaute zu, irgendwann wurden Schweineköpfe auf dem Baugelände der Ahmadis aufgestellt – kurz nachdem man eben dies auf der genannten Seite debattiert hatte. Bis heute sind die Täter des Anschlages nicht ermittelt und auf der Seite wird weiter gehetzt, ja längst offen für die NPD Wahlkampf gemacht.

Was nicht von Amtswegen geschah, haben nun mit der Initiative “Dialoge für Gohlis”, welche eng mit dem Bürgerverein Gohlis zusammenarbeitet, wirkliche Gohliser eingeleitet. Nach einer Strafanzeige vom Donnerstag, 16. Oktober ermittelt nun die Kriminalpolizei gegen die eigentlich nicht mehr so anonymen Betreiber der Seite.

In einer Mitteilung der Initiative zur Strafanzeige heißt es zu den Gründen: “Die Facebook-Seite der `Bürgerinitiative` wird bis heute anonym betrieben und bot von Beginn an rassistischen und islamfeindlichen Kommentator_innen eine Plattform. Im redaktionellen Bereich wird von den Betreiber_innen gegen Menschen muslimischen Glaubens, Flüchtlinge und `Linke`, `Gutmenschen` usw. gehetzt. Anschlagspläne und Gewaltfantasien gegen die geplante Moschee, Personen und Personengruppen werden von den Administrator_innen nicht entfernt.”

Bereits seit Monaten war in der Tat zu beobachten gewesen, wie sich die Aggressionen auf der Seite immer mehr Bevölkerungsgruppen zuwandte, ausgehend von “dem Islam” war längst das gesamte Hassangebot rechtsradikaler Kräfte beisammen. Längst war der Netztreffpunkt ein Sammelsurium von Neonazis aus dem gesamten deutschsprachigen Raum geworden. Eine lokale Bürgerinitiative jedenfalls war da nie wirklich am Werk, wie auch die Gohliser betonen.

Gerd Klenk von “Dialoge für Gohlis”: “Tatsächlich existiert keine von den Anwohner_innen organisierte Bürgerinitiative gegen den Moscheebau in Leipzig-Gohlis, sondern lediglich eine von der NPD gesteuerte Facebook-Gruppe, die von Nutzer_innen aus dem ganzen Bundesgebiet und darüber hinaus frequentiert wird.” Dies sei nicht zuletzt deutlich geworden, als die “Bürgerinitiative” bei der Aprilsitzung des Leipziger Stadtrates eine Anti-Moschee-Petition übergeben wollte.

Da ” … waren ausschließlich Funktionäre und Mitglieder der NPD anwesend, die ein Banner der Partei entrollten. Danach wurden einige redaktionelle Beiträge der Facebook-Seite mit dem Klarnamen von NPD-Kadern unterzeichnet. Schließlich gaben die Administrator_innen der Facebook-Seite der `Bürgerinitiative` im Verlauf des Stadtrats-, und Landtagswahlkampfes mehrfach Wahlempfehlungen für die NPD – und nur für die NPD – heraus”, so die Initiative “Bürger für Gohlis” zu ihren Beobachtungen.

Besonders deutlich wurde die Gefahr aus dem Netz “als auf der Facebook-Seite der `Bürgerinitiative` im Vorfeld des Schweinekopfanschlages vom November letzten Jahres auf das zukünftige Moscheegrundstück dieser mehrfach ausdrücklich angekündigt” wurde. Die Reaktionen auf die grundsätzliche Erteilung der Baugenehmigung durch die Stadt habe die Initiative nun zusätzlich bewegt, die Strafanzeige zu stellen. So seien ” … die hasserfüllten Reaktionen auf den positiven Bescheid der Bauvoranfrage von Anfang September diesen Jahres in ihrer Gefährlichkeit nicht zu unterschätzen.”

In der Mitteilung heißt es deshalb: “Die unerträgliche Hetze auf der Facebook-Seite von ‘Gohlis sagt nein’ muss ein Ende haben. Der Schweinekopfanschlag im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass den rassistischen Kommentaren auch Taten folgen können”, so Gerd Klenk. “Wir wollen einen konstruktiven Dialog um den Moscheebau in Gohlis vorantreiben und uns auch Ängsten stellen. Die von den Betreiber_innen der ‘Bürgerinitiative’ provozierte und in den Kommentarspalten geduldete Pogromstimmung allerdings soll den öffentlichen Frieden stören, Hass gegenüber Muslimen befördern und bereitet künftigen Rechtsterrorist_innen den ideologischen Pfad sowie zusätzlich den Anschein einer Legitimation durch einen vorgeblichen Bürgerwillen.”

Gäbe es einen funktionierenden Verfassungs- und Staatsschutz in Sachsen – die Wege hin zu den Betreibern der Seite müssten eigentlich kurz und längst klar sein. Hin zu dem radikalisierten Netzwerk, welches rings um die Seite entstanden ist, ebenso.

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