Zweieinhalb Jahre hat es gedauert, bis sich die ersten zwei mutmaßlichen Beteiligten des Neonazi-Angriffs vom 11. Januar 2016 vor einem Leipziger Gericht verantworten mussten. Die Staatsanwaltschaft hat die beiden 26-Jährigen wegen besonders schweren Landfriedensbruchs angeklagt. Ob heute schon ein Urteil fallen wird, war am Vormittag noch offen.

218 Tatverdächtige konnten die Behörden nach den gezielt inszenierten Ausschreitungen am einjährigen Legida-Jahrestag ermitteln. Die Staatsanwaltschaft geht von 250 bis 300 Beteiligten aus. Nachdem in Dresden erste Täter im Rahmen der Prozesse gegen die „Gruppe Freital“ und die „Freie Kameradschaft Dresden“ zu Haftstrafen verurteilt wurden, begann am Donnerstag vor dem Amtsgericht der erste von etwa 80 Prozessen gegen mutmaßliche Beteiligte.

Die Erwartungen an die Verfahren könnten höher nicht sein. Nicht nur Geschädigte und Anwohner erhoffen sich Aufklärung hinsichtlich der Tatbeteiligung der Angeklagten, aber auch hinsichtlich der Hintergründe. „Von den Prozessen erwarte ich endlich Aufklärung darüber, wer die Rädelsführer der Aktion waren – und warum sie nicht durch Behörden verhindert werden konnte”, sagte die Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz am Mittwoch.

Diese Erwartung wird sich voraussichtlich nicht erfüllen. Denn ein Strafprozess dient einzig und allein der Feststellung von Schuld oder Unschuld, nicht jedoch einer vollständigen historischen Aufarbeitung des Geschehens. Insofern war es nicht überraschend, dass das Gericht für den ersten Prozess nur eineinhalb Tage anberaumt hat. Ein Urteil könnte sogar schon im Laufe des heutigen Tages fallen.

Die ersten einer langen Reihe von Angeklagten rings um den Überfall auf Connewitz: Dennis W. (26) und Martin K. (26, v.l.) betreten den Gerichtssaal. Foto: Lucas Böhme
Die ersten einer langen Reihe von Angeklagten rings um den Überfall auf Connewitz: Dennis W. (26) und Martin K. (26, v.l.) betreten den Gerichtssaal. Foto: Lucas Böhme

Der Auftakt sorgte heute Morgen zunächst für lange Gesichter

Der Saal 200 fasste weniger Plätze als Zuschauer dem Prozess beiwohnen wollten. Betroffen waren auch mehrere Pressevertreter. Amtsrichter Marcus Pirk hatte im Vorfeld trotz des hohen Medieninteresses auf die Durchführung eines Akkreditierungsverfahrens verzichtet. Gerichtspräsident Michael Wolting gab auf dem Flur sein Bestes, um zwischen den Fronten zu vermitteln.

Tatsächlich hätte man in dem Saal noch zusätzliche Stühle aufstellen können, um den wartenden Journalisten die Teilnahme zu ermöglichen. Pirk blieb jedoch hart. „Mein Hausrecht endet an der Saaltür“, erläuterte der zerknirschte Behördenchef, der sich den Ärger mit den erbosten Journalisten gern erspart hätte.

Die Glücklichen, die einen der circa 30 Plätze ergatterten, erlebten zunächst keine Überraschungen. Die Angeklagten, die der Fanszene des 1. FC Lokomotive Leipzig angehören, schwiegen zu den Vorwürfen. Insgesamt 15 Zeugen wurden bis in den Nachmittag angehört. Neue Erkenntnisse blieben dabei Mangelware.

Kaum neue Erkenntnisse

Zunächst schilderten fünf Polizeibeamte, wie sie den Abend erlebt hatten. Sie waren allesamt zunächst bei der Legida-Demonstration in der Innenstadt im Einsatz und fuhren dann kurz nach 19 Uhr nach Connewitz. Dort konnten sie die Neonazis in der Auerbachstraße festsetzen und so deren Identitäten feststellen.

Auf die Frage, ob es auszuschließen sei, dass auch Unbeteiligte dort festgenommen wurden, entgegneten mehrere Polizisten, dass dies unwahrscheinlich sei. Zudem hätte keiner der Festgenommenen an jenem Abend erklärt, zufällig in die Polizeimaßnahme hineingeraten zu sein.

Angeklagter Martin K. (26) im Gerichtssaal. Foto: Lucas Böhme
Angeklagter Martin K. (26) im Gerichtssaal. Foto: Lucas Böhme

Anschließend kamen mehrere Personen zu Wort, die damals oder noch aktuell in der Wolfgang-Heinze-Straße wohnten und den Angriff vom Fenster aus beobachtet hatten. Die Angaben zur Anzahl der Angreifer und deren Bewegungen variierten teilweise stark. Jedoch widersprachen mehrere Zeugen der Auffassung der Polizisten, dass vermutlich alle Angreifer gefasst worden seien. Stattdessen seien einige über andere Straßen als die Auerbachstraße geflüchtet.

Der ebenfalls beschuldigte Benjamin Z. (30), der derzeit in der JVA Torgau in Haft sitzt, machte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Mitarbeiter des LKA Sachsen schilderten später, was Z. und andere Personen, die am 11. Januar 2016 in Connewitz waren, bei Vernehmungen ausgesagt hatten: Dass sie eigentlich nur zu einer Legida-Demonstration wollten und nicht wussten, dass es auf Ausschreitungen in Connewitz hinauslaufen sollte. Allerdings hatten die Anwohner ausgesagt, dass sich während der Ausschreitungen niemand aus der Menge entfernt habe.

Am kommenden Donnerstag ist bereits mit dem Urteil zu rechnen.

Neonaziüberfall am 11. Januar 2016 auf Connewitz: Prozessauftakt am Amtsgericht

Neonaziüberfall am 11. Januar 2016 auf Connewitz: Prozessauftakt am Amtsgericht

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