„Sachsen hat es geschafft“, kommentierte Marion Junge, Sprecherin für Kindertagesbetreuung der Linksfraktion im Landtag, am 28. August den gerade veröffentlichten Ländermonitor „Frühkindliche Bildung“ der Bertelsmann-Stiftung. „Vor 15 Jahren noch an der Spitze der Kindertagesbetreuung in Deutschland, weist der Bildungsmonitor nunmehr dem Freistaat das Schlusslicht unter den 16 Bundesländern hinsichtlich der Qualität in der frühkindlichen Bildung zu.“

Abgerutscht. Völlig ohne Not. Begonnen damit, dass der Freistaat seine Pauschale bei der Finanzierung der Kita-Plätze 2006 einfach einfror und die Kommunen zehn Jahre lang mit den steigenden Kosten der Kita-Betreuung allein ließ. Die SPD-Fraktion hat zwar geschafft, dass der Freistaat wieder mehr Geld gibt – aber die kleinen Schritte sind viel zu klein, um die aufgelaufenen Probleme zu lösen.

„Dabei hat sich die Betreuungsqualität auch in Sachsen durchaus ein wenig verbessert – nur eben viel weniger als anderswo. Sachsen ist schlicht und einfach von allen anderen überholt worden – eine Folge der selbstzufriedenen Behäbigkeit und der falschen Prioritätensetzung in der sächsischen Politik“, sagte Marion Junge. „Statt – wie von der Koalition geplant – kleinerer Korrekturen sind große Schritte notwendig, wie Die Linke sie mit ihrem langfristig angelegten Gesetzentwurf vorgeschlagen hat.“

Und dabei fährt das Land gerade in das nächste Problem hinein. Denn dass die Pauschale in Verbindung mit der langsamen Verbesserung der Betreuungsrelation so langsam steigt, hat auch damit zu tun, dass Sachsen auf den steigenden Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern gar nicht vorbereitet ist. Selbst als es aus etlichen Leipziger Kitas schon die Alarmmeldung gab, man suche händeringend nach Personal, antwortete die Staatsregierung im alten Ton, man bilde doch genug Kita-Personal aus.

Jetzt auch wieder in einem MDR-Interview betont.

Das alte Austeritätsdenken, ja keinen Cent mehr ins System zu stecken, als der Finanzminister bereit ist zu geben, steckt augenscheinlich fest in den Köpfen der Ministerinnen und Minister.

In „MDR Aktuell“ sagte die Sprecherin des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus am 16. August, Verbesserungen in der Erzieherausbildung in Sachsen seien nicht notwendig, es gäbe nämlich keinen Fachkräftemangel in Kitas und die Zahl der Absolvent*innen decke den aktuellen Bedarf.

„Das Sächsische Kultusministerium hat offensichtlich komplett den Bezug zur Realität verloren“, befand da natürlich Marion Junge. „Ich empfehle dem Kultusminister und seiner Sprecherin dringend ein Praktikum in einer sächsischen Kita. Wo immer man sich in sächsischen Kindertagesstätten umhört, sich mit Kitaleiter*innen, Erzieher*innen und Verantwortlichen in der Kommunalpolitik unterhält, bekommt man überall das gleiche Bild: Einerseits sind Verbesserungen des Betreuungsschlüssels in den Kindertageseinrichtungen dringend notwendig und überfällig, andererseits schaffe man es in vielen Einrichtungen schon nicht, die vorhandenen Personalstellen ordnungsgemäß zu besetzen. Man gewinnt fast den Eindruck, es sei beabsichtigt, durch den Erziehermangel an sächsischen Kitas die Kinder schon mal auf den katastrophalen Lehrermangel an sächsischen Grundschulen vorzubereiten.“

Und sie fügte noch hinzu: „Der wichtigste Hinderungsgrund für junge Menschen, einen Beruf in der Kindertagesbetreuung zu ergreifen ist eine sehr lange Ausbildungszeit ohne jede Ausbildungsvergütung. Hinzu kommt, dass viele ihre Ausbildung an privaten Schulen noch selbst bezahlen müssen, weil die Ausbildungsplätze in staatlichen Schulen nur einen Bruchteil ausmachen. Veränderungen sind hier dringend geboten, sowohl in Sachsen, als auch im Rahmen der Vereinbarungen in der Kultusministerkonferenz bundesweit.“

Im Landtag wird längst heftig darüber diskutiert.

Auch der kleine Partner in der Regierungskoalition, die SPD, plädiert für spürbare Verbesserungen.

„Die SPD-Fraktion wird sich bei den bevorstehenden Haushaltsverhandlungen für Änderungen bei der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern einsetzen. „Wir möchten das Schulgeld für die Erzieherausbildung abschaffen“, sagte Juliane Pfeil-Zabel, die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. „Die Erstattung des Schulgeldes ist uns in der Pflege gelungen. Das sollte uns auch bei den Erzieherinnen und Erziehern gelingen. Es wäre ein gutes und wichtiges Signal, wenn wir das noch in dieser Legislaturperiode schaffen könnten.“

Der Entwurf zur Änderung des Sächsischen Kitagesetzes der Staatsregierung zur Anerkennung von Vor- und Nachbereitungszeit für Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertageseinrichtungen ist Teil des Haushaltsbegleitgesetzes. Wenn die jetzige Regierungskoalition die Kraft findet, die Ausbildung für die Erzieher und Erzieherinnen endlich auf eine solide Basis zu stellen, wäre zumindest der erste Schritt getan, auch die Betreuung zu verbessern. Das schafft man nun einmal nur, wenn man mehr Betreuer/-innen dafür ausbildet.

„Mit Regierungseintritt der SPD ist der Einstieg in die Verbesserung des Betreuungsschlüssels verbunden“, betonte Juliane Pfeil-Zabel. „Schritt für Schritt gehen wir die Qualitätsverbesserung an, um mehr Erzieherinnen und Erzieher in unseren Kitas zu haben. Am Ende dieser Legislaturperiode wird Sachsen 726 Millionen Euro mehr für frühkindliche Bildung ausgegeben haben. Und nach dem Anfang mit dem Betreuungsschlüssel geht es jetzt mit der Bezahlung der Vor- und Nachbereitungszeiten weiter.“

Ob am Ende freilich auch eine aufs Sparen und Knapphalten fixierte CDU mitzieht, ist offen.

Und auch der Bund stehe in der Pflicht, hatte die Bertelsmann Stiftung betont, wo man schon vor ein paar Jahren begriffen hat, dass eine gut fundierte frühkindliche Bildung ein harter Wettbewerbsfaktor ist. Nur so bekommt man die cleveren Köpfe, mit denen man im internationalen Wettbewerb bestehen kann.

„Für 2021 und 2022 ist eine jährliche Zuwendung des Bundes von rund 2 Milliarden Euro vorgesehen. Um allerdings einen qualitativ hochwertigen Ausbau der Kitas zu stemmen, sind jährlich insgesamt 8,7 Milliarden Euro nötig“, hatte die Bertelsmann Stiftung gefordert.

Das wäre eigentlich ein aktuelles politisches Diskussionsthema, nicht das jämmerliche Theater der alten Männer, die nicht mehr mitbekommen, wie die Welt sich verändert.

Und die Einschätzung, Sachsen sei mittlerweile Betreuungsschlusslicht, bestätigt der Blick auf die Auswertung der Bertelsmann Stiftung: Sachsen-Anhalt und Brandenburg sind einfach vorbeigezogen. Die ostdeutschen Nachbarn sind ja der direkte Vergleich, denn die westlichen Bundesländer sind beim Ausbau des Kita-Systems noch lange nicht da, wo die ostdeutschen Bundesländer von Anfang an schon lange waren.

Hier werden deutlich mehr Kinder in der Kita betreut, weil auch deutlich mehr junge Frauen zwingend wieder in ihren Beruf zurück wollen oder müssen. Nur die Betreuungsrelation ist nach wie vor nicht ausreichend und die gewählten Schritte in Sachsen sind eigentlich zu klein.

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