Natürlich wird das teurer. Ob nun 3 bis 4 Millionen Euro, wie Finanzbürgermeister Torsten Bonew am 15. Juni warnte, weiß ja noch niemand. Denn vor dem Jahr 2023 wird auch Leipzigs Verwaltung noch nicht wissen, wie viele zusätzliche Stellen in der Leipziger Kinder- und Jugendhilfeplanung entstehen könnten. Das ist deshalb eine prekäre Frage, weil Leipzig diese Kosten allein stemmen muss, wie Jugendbürgermeisterin Vicky Felthaus in der Stadtratsdebatte erklärte.

Städte bleiben im Regen stehen

Denn gerade beim Thema „Hilfen zur Erziehung“ lassen Bund und Land Städte wie Leipzig im Regen stehen – und mit den Kosten allein, die auflaufen, wenn die Stadt Kinder aus ihren Familien nehmen muss und die Familien mit meist multiplen Problemlagen beraten und betreuen muss. Der massiv steigende Aufwand dafür hat in der Vergangenheit immer wieder zu heftigen Diskussionen im Stadtrat geführt.

Aber der Mehrheit dort ist eigentlich klar, dass die Jugendhilfe noch viel größere soziale und gesellschaftliche Schäden verhindert. Aber natürlich nicht, wenn die Kinder immer nur in Obhut genommen werden und für die Familien, in denen die Konflikte sich ballen, nichts passiert. Doch dazu braucht es Personal. Und die Debatte am 15. Juni zeigte einmal mehr, dass in den Köpfen einiger Zeitgenossen immer noch der Vorwurf steckt, dass Personal zu teuer sei und eigentlich eingespart gehört.

Erste Zahlen zum Jahreswechsel, Fachförderrichtlinie frühestens 2023

Denn natürlich kann auch Finanzbürgermeister Torsten Bonew nicht ausrechnen, welche Schäden vermieden werden, wenn der Linke-Antrag „Personalbedarfe realistisch erfassen. Fachkräftegewinnung und -bindung im Bereich der sozialen Arbeit voranbringen“ umgesetzt wird.

Ganz abgesehen davon, dass die finanziellen Folgen frühestens 2024 beziffert werden. Das steht sogar so drin im Antrag der Linksfraktion: „Die Fachförderrichtlinie soll mit dem Doppelhaushalt 2023/2024 finanziell untersetzt werden.“

Oder etwas ausführlicher: „Es geht um ein Förderprogramm ‚Hilfen zur Erziehung‘ für die berufsbegleitende Ausbildung für Studierende der sozialen Arbeit sowohl beim öffentlichen als auch bei freien Trägern aufzulegen. Dieses soll für freie Träger zunächst 50 Plätze umfassen. Ziel ist es, vor allem kleine, regional tätige freie Träger zu fördern, die ohne öffentliche Unterstützung kaum eine Chance haben, berufsbegleitende Ausbildung für Studierende der sozialen Arbeit im Bereich Hilfe zu Erziehung zu leisten. (…)

Die zu erstellende Fachförderrichtlinie soll sich an den bereits bestehenden Praxen mit Studierenden der Berufsakademien bzw. der existierenden Fachförderrichtlinien Erzieher/-innenausbildung orientieren und sowohl die Refinanzierung des Praxisanteils als auch des zusätzlichen Verwaltungsaufwandes sowie der Praxisbegleitung der Träger (Praxisanleiter/-innen inkl. Ausbildungs- und Freistellungskosten) umfassen. – Nach drei Jahren Laufzeit erfolgt eine Evaluierung.“

Erst einmal geht es um Zahlen und Bedarfe

Am Ende drehte sich die Diskussion in der Ratsversammlung gar nicht einmal darum, dass es mehr Personal braucht – sowohl in den Kindertagesstätten (Punkt 5 des Linke-Antrags) als auch in der Jugendhilfe. Aber wirklich finanzielle Folgen hat nur der Punkt mit dem Förderprogramm, das ja nun einmal dafür sorgen würde, dass ausgebildetes Personal frühzeitig Kontakt zur Leipziger Jugendhilfe bekommt.

Ob es in Kitas eine Aufstockung gibt, entscheidet sowieso das Land Sachsen, das sich in der Vergangenheit immer schwer damit getan hat, den Betreuungsschlüssel in den Kitas zu verbessern.

Und wie ein realistischer Personalbedarf in „Kindertagesstätten und (stationären) Angeboten im Bereich der Hilfen zur Erziehung“ aussieht, das soll ja die Verwaltung erst einmal ermitteln. Dass das Thema im Jugendhilfeausschuss so vehement diskutiert wurde, hat ja damit zu tun, dass – so Juliane Nagel, die den Linke-Antrag vorstellte – die dort versammelten Stadträt/-innen keine belastbaren Zahlen zum Personalbedarf in den nächsten Jahren haben.

Sie können also auch nicht einschätzen, welche konkreten Folgen eine Aufstockung hätte. Das sei zwar Sache der Verwaltung, meinte auch CDU-Stadtrat Karsten Albrecht. Aber das stimmt nur halb. Denn auch über die Personalkosten muss mit dem nächsten Doppelhaushalt 2023 / 2024 der Stadtrat abstimmen. Und das Jugenddezernat muss die notwendigen Gelder und Personalstellen in den Haushalt schreiben.

Der Kampf um Sozialfachkräfte hat längst begonnen

Darauf beharrte dann auch in gewisser Weise die Stellungnahme der Stadtverwaltung. Aber die hatte von Anfang an keine Chance auf Zustimmung. Dazu waren in den entsprechenden Beratungen des Jugendhilfeausschusses die Probleme der Träger der Jugendhilfe zu deutlich benannt worden. Und es müssen – wie es Grüne-Stadtrat Michael Schmidt formulierte – eigentlich Hilferufe gewesen sein. Denn der Personalmangel macht nicht nur der Stadt mit ihrer Jugendhilfe Probleme, sondern auch den freien Trägern, die wesentliche Aufgaben dabei übernommen haben.

Und wenn das mehr Geld kostet, hätten auch Finanz- und Verwaltungsbürgermeister frühzeitiger reagieren können. Denn die Mehrheit des Jugendhilfeausschusses befürwortete den detaillierten Linke-Antrag.

Das hätte zwar noch nachgeholt werden können. Karsten Albrecht beantrage deshalb noch einmal eine Verschiebung der Abstimmung. Aber dieses Anliegen fand nur 29:30 Stimmen, knapp zu wenig, um die Verschiebung in die nächste Ratsversammlung zu erreichen.

Der Verwaltungsstandpunkt bekam erst recht nur 23:34:1 Stimmen.

Bis auf die Boni alles beschlossen

Und der Linke Antrag wurde dann auf Antrag von SPD-Stadträtin Christina März punktweise abgestimmt. Wobei die Zustimmung zu fast allen Punkten mehr als deutlich war.

39:18 Stimmen gab es für die Beauftragung mit einer „Personalbedarfsprognose für die kommenden zunächst drei Jahre“. Eine klare Ansage: Die Stadtratsmehrheit will wissen, wie viel Personal da gebraucht wird. Denn dass der Fachkräftemangel auch die Jugendhilfe längst erreicht hat, ist den Beteiligten nur zu klar.

34:23 Stimmen gab es für das Förderprogramm „Hilfen zur Erziehung für die berufsbegleitende Ausbildung für Studierende der sozialen Arbeit“. Und auch wenn emsig diskutiert wurde, ob es nun 50 Stellen sein sollen oder nur die Hälfte, blieben die 50 Stellen erst mal drin. Aber eben auch die Tatsache, dass diese noch längst nicht im Doppelhaushalt 2023 / 2024 finanziert werden, sondern erst einmal nur die Fachförderrichtlinie. So richtig greifbar wird also die Finanzdebatte vom 15. Juni hier nicht. Finanziert wird erst einmal nur eine Vollzeitstelle im Amt für Jugend und Familie, um diese Förderrichtlinie zu erarbeiten.

38:20 Stimmen gab es für die Einrichtung eines „Runden Tisches“ mit den ansässigen Ausbildungsbetrieben.

Lediglich abgelehnt – und das auch noch recht knapp – wurde der Wunsch, ab 2024 „Personalentwicklungsboni“ auszureichen. Also wirklich mehr Geld auszugeben. Hierfür gab es 28:30 Stimmen.

Dafür aber wurden die beiden letzten Punkte des Linke-Antrags mit deutlicher Mehrheit von 41:19 Stimmen angenommen. Da geht es darum, dass sich die Stadt beim Freistaat dafür einsetzt, dass es eine „prinzipielle Verbesserung des Betreuungsschlüssels in Kita und Horten“ gibt – und eigentlich auch bei den „Hilfen zur Erziehung“. Denn in beiden Bereichen gilt, dass gut ausgebildetes Personal der Schlüssel dafür ist, nicht nur den Problemlagen in vielen Familien zu begegnen, sondern auch den betroffenen Kindern bessere Chancen fürs Leben mitzugeben. Und es ging um den Wunsch einer Informationsvorlage „erstmals zum 31. 12. 2022“.

Wenn man sich mit der Vorlage genauer beschäftigt, merkt man, dass sie tatsächlich einige Diskussionen im Jugendhilfeausschuss sehr genau widerspiegelt. Und dass auch keine wirkliche Zusatzbelastung in Millionenhöhe für den Doppelhaushalt 2023 / 2024 drinsteckt. Wenn es schon 2023 eine Förderrichtlinie geben sollte, könnte frühestens ab 2024 mit der Schaffung der benötigten Stellen begonnen werden.

Juliane Nagel hat schon recht, wenn sie sagt, dass das Tempo der Verwaltung auch bei solchen Vorlagen immer mitbedacht werden muss. Während der Personalmangel heute schon überall zu greifen ist und auch der Kampf um Fachkräfte im Sozialbereich längst entbrannt ist.

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