Eigentlich müsste jetzt schon alles geklärt sein – zum Beispiel welche medizinische Fakultät ab 2020 die Hochschulausbildung für Hebammen übernimmt. Aber als Volkmar Zschocke, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, bei der Staatsregierung nachfragte, war er entsetzt. Sachsen sieht gar keinen Anlass zu handeln. Man wartet ja irgendwie mal wieder auf den Bund.

Die europäische Berufsanerkennungsrichtlinie erfordert bis zum 18. Januar 2020 die Überführung der Hebammenausbildung an die Hochschulen. Das war der Anlass für Volkmar Zschocke, der sächsischen Staatsregierung eine Kleine Anfrage dazu zu stellen.

„Die Antwort von Sozialministerin Barbara Klepsch ist ernüchternd. In Sachsen gibt es bisher weder Planungen, noch verabredete Zeitabläufe oder konkrete Vorhaben. Die Staatsregierung hat offenbar keinerlei Vorstellungen, an welchen Standorten und mit welchen Kapazitäten ein solcher Studiengang eingerichtet werden soll. Es ist völlig unklar, wie die erforderlichen zusätzlichen Studienplatzkapazitäten in die bestehende Hochschulrahmenplanung eingebunden und finanziert werden sollen“, kritisiert Zschocke.

„Da das Hebammenstudium ein vollkommen neu einzurichtender Studiengang in Sachsen ist, muss der Freistaat zusätzliche Studienkapazitäten schaffen. Doch der Doppelhaushaushalt 2019/2020 ist bereits beschlossen. De facto muss die konkrete Umsetzung noch in dieser Wahlperiode geklärt werden. Ich frage mich, wie lange die Staatsregierung noch warten will? Die Akademisierung der Hebammenausbildung darf nicht zur Hängepartie werden!“

Und woran hängt es?

„Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat dafür eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, welche Eckpunkte für die neue Hebammenausbildung in Deutschland erarbeiten soll. Bisher liegen dem Freistaat Sachsen noch keine Ergebnisse vor“, hatte Sozialministerin Barbara Klepsch geantwortet. „Seitens der Bundesländer sind daher noch keine Vorbereitungen zur Umsetzung der erwarteten Novelle des HebG auf Landesebene möglich. Dementsprechend gibt es auch im Freistaat Sachsen bisher keine Zeitschienen, Planungen oder konkrete Vorhaben.“

Und dabei fehlen heute schon Hebammen. Die wenigen existierenden Kurse zur Hebammenausbildung sind völlig überlaufen. Und dabei geht es nicht nur um die Hebammen, die in Stadt und Land ambulant unterwegs sind, sondern auch um die Hebammen in Sachsens Krankenhäusern. Schon allein zur Beendigung des Hebammenmangels müsste Sachsen ein eigenes Programm auflegen, das eine vorausschauende Regierung auch gleich in die medizinischen Fakultäten der Hochschulen eingliedern könnte. Dazu muss man nicht warten, bis das Bundesgesundheitsministerium Vorschläge zur Umsetzung erarbeitet.

„Sachsen kann es sich aufgrund des Hebammenmangels nicht leisten, dass der Berufsnachwuchs in andere Bundesländer abwandert“, kritisiert Volkmar Zschocke diese unverständliche Abwarte-Haltung. „Bayern zum Beispiel hat die Standorte für die akademische Hebammenausbildung längst bekanntgegeben und strebt das Wintersemester 2019/2020 als frühestmöglichen Studienbeginn an.

Angesichts der stetig steigenden Geburtenzahlen in den großen sächsischen Städten braucht es dringend Hebammennachwuchs. Der Deutsche Hebammenverband empfiehlt die Umsetzung durch das Modell des dualen praxisintegrierenden Hochschulstudiums. Die Voraussetzungen sind dafür in Sachsen sehr gut.“

Augenscheinlich traut sich in Sachsens Regierung kaum noch jemand vorausschauend zu handeln. Oder es hat sich eine Haltung eingebürgert, die meint, die Dinge würden sich von allein lösen, wenn man sie einfach nicht anrührt – ob das den Lehrermangel betrifft, die Umsetzung der Wasserrichtlinie, die Sicherung der Polizeiarbeit oder den Bedarf an Schulen. Als gäbe es da irgendwo eine zweite Staatsregierung, die derweil arbeitet, während man in Dresden gemütlich Kaffee trinkt.

„Neben dem Sozialministerium ist ebenso das Wissenschaftsministerium gefordert, umgehend konkrete Vorstellungen zu entwickeln. Die jetzigen und künftigen Ausbildungsstellen brauchen schnell Klarheit“, erläutert Zschocke. „Die Tatsache, dass es nur wenige qualifizierte Ausbildungskräfte für einen Studiengang gibt, erfordert sofortige Aktivitäten, um die notwendigen Fachkräfte frühzeitig zu gewinnen. Und auch Abiturientinnen und Abiturienten, die sich für das Hebammenstudium interessieren, wollen wissen, wo sie künftig in Sachsen studieren können.“

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