Immer wieder tauchen neue Finanzierungslöcher bei Sachsens Kommunen auf. Manche Straße in Leipzig sieht noch aus wie vor 25 Jahren, der Investitionsstau ist gewaltig. Aber wo blieb eigentlich das ganze Geld, das da seit der "Wende" in ostdeutsche Landschaften geflossen sein soll? Kann das ein gelernter Finanzrevisor wie Klaus Richard Grün alias Finanzrevisor Pfiffig erklären?

Kann es sein, dass viele Kommunen mit ihrem Geld nur deshalb nicht zurecht kommen, weil es keine Prüfungsabteilung gibt, die die tatsächlich verausgabten Gelder kontrolliert?

Nein, diese Schlussfolgerung entspricht nicht der Realität.

Was geschah bei der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern? Die kommunalen Verwaltungsstrukturen der DDR wurden zerschlagen. In Schallgeschwindigkeit wurden die Leitungsposten (u.a. Bürgermeister, Landräte) in den Städten, Gemeinden und Landkreisen vorwiegend mit Vertretern der sogenannten Blockparteien und Kirchen besetzt. Viele Verwaltungen wurden von der Reinigungsfrau bis zum Bürgermeister gesäubert und vom Blumentopf bis zur Schrankwand entkernt. Die fachliche und menschliche Eignung schien kaum eine Rolle zu spielen. Viele der neuen Chefs waren hoffnungslos überfordert. Nicht wenige dieser “Helfer der ersten Stunde” haben ihr Amt schamlos missbraucht. Auch wenn das nicht flächendeckend erfolgte, handelte es sich nicht um Einzelfälle. Deshalb betrachte ich es als erforderlich, dazu einige Darlegungen zu machen.

Mit der Wiedervereinigung änderte sich die Arbeit der Verwaltungen grundlegend. Plötzlich war sie da, die kommunale Selbstverwaltung, die das Recht der Kommunen umfasst, ohne Einmischung des Staates einen Großteil der Aufgaben in eigener Regie zu erledigen. Sie ist gekennzeichnet durch Gebietshoheit, Finanzhoheit, Personalhoheit, Planungshoheit und Verwaltungshoheit. Kommunen haben außerdem das Recht, eigene Satzungen zu erlassen.

Die kommunale Selbstverwaltung ist unstrittig eine der bedeutendsten Errungenschaften der Wiedervereinigung.

Sämtliche Städte, Gemeinden und Kreise der DDR wurden schuldenfrei “übergeben”. Diese Bemerkung ist deshalb wichtig, um zu erkennen, dass die in der Zwischenzeit oftmals sehr hohen Verschuldungen alle nach der Wiedervereinigung entstanden sind. Die zur Tilgung erforderlichen Mittel belasten die Haushalte enorm. Die nach meiner Ansicht fragwürdige Rolle der Rechtsaufsichtsbehörden, die diese Kredite zu betätigen haben bzw. hatten, erwähne ich nur nebenbei.

Also haben doch die Kontrollinstanzen versagt?

Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit war schnell erkennbar, dass oftmals keine demokratischen Verwaltungen, sondern “Königreiche und Fürstentümer” entstanden, deren “Herrscher” mit dem viele Jahre reichlich und unproblematisch fließendem Geld gehaust haben wie die “Raubritter”. Die Parlamente haben diesen Wahnsinn nicht gestoppt, weil sie selbst überfordert waren und eine ihrer “Lieblingsbeschäftigungen” darin bestand, ewig über neue Namen für den Kindergarten “Wilhelm Pieck” oder die “Walter Ulbricht Straße” zu diskutieren. Ihre eigentliche Aufgabe, der Verwaltung auf die Finger zu schauen, war Nebensache. Dadurch war es beispielsweise Verwaltungen großer Gebietskörperschaften ungehindert möglich (z.B. Landkreise), das gesamte Landratsamt sowie sämtliche Außenstellen, mit nicht gerade preiswerten Möbeln auszustatten, ohne sich auf das Wichtigste, die dringend erforderlichen Sanierungen von Schulen, Kindergärten und Kinderkrippen zu konzentrieren.

Untertanen der “Könige und Fürsten” wurden recht bald auf gut bezahlte Posten manövriert. Zu kritische Angestellte wurden mit “unschönen” Mitteln aus den Verwaltungen “entfernt” und hohe rechtswidrige Abfindungen an “Getreue” der “Könige und Fürsten” gezahlt. An dieser Stelle höre ich vor Wut auf.

Aber das war doch so gewollt, der Osten sollte doch im Schnellzugtempo modernisiert werden?

Oftmals wird auch heute noch vom “Preis der Freiheit” gesprochen. Dazu zählen für mich nicht die riesigen Geldbeträge, die in die Milliarden Euro gehen, welche durch im Schafspelz getarnte Spekulanten, Berater, Architekten- und Ingenieurbüros, “Verwaltungsexperten” und Baufirmen, durch manipulierte Rechnungen, nicht erbrachte Leistungen, rechtswidrige Rechnungen und überdimensionierte Projekte in die eigene Tasche gewirtschaftet wurden. Das hatte mit dem Preis der Freiheit nichts zu tun. Da waren Kriminelle am Werk, die nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Keiner davon hätte es sich in den alten Bundesländern gewagt, den Verwaltungen derartige Rechnungen vorzulegen. Das Ansehen dieser Firma bzw. Person wäre sonst auf Dauer massiv geschädigt gewesen. Aber im “Osten” gab es keine Skrupel. Die vorhersehbare Unwissenheiten in vielen Verwaltungen wurde schonungslos ausgenutzt. Mir “blutete” oft mein “Revisorenherz”.

Nicht vergessen werden darf, dass durch die Abdelegierung von Aufgaben der Länder auf die untersten Verwaltungsebenen in verschiedenen Bereichen eine auskömmliche finanzielle Ausstattung nicht gewährleistet ist.

Damit mir keine Unsachlichkeit vorgeworfen wird, die Mangelwirtschaft der DDR hat einen erheblichen Sanierungsbedarf hinterlassen. Diese Arbeiten werden noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Manchmal hat man als Bürger ja das Gefühl, dass Verwaltungen argumentieren, wie sie gerade lustig sind: Wenn es um dringende Investitionen geht, wird den Bürgern etwas von “fehlenden Geldern” erzählt, wenn es um Prestigeprojekte geht, finden sich auf einmal Millionen?

Die Praxis sieht nüchterner aus. Eine der wichtigsten Arbeitsgrundlagen für die Behörden des Freistaates Sachsens ist die Sächsische Gemeindeordnung, die unter anderem Festlegungen zu den Aufgaben einer Gemeinde, zur Arbeit des Parlaments, des Bürgermeisters, zur Haushaltswirtschaft, zum Vermögen und zum Prüfungswesen enthält. Diese wurde in Leipzig präzisiert durch die Hauptsatzung der Stadt Leipzig. Darin sind für die Ratsversammlung, den Verwaltungsausschuss sowie den Oberbürgermeister (OBM) Entscheidungsbefugnisse mit Wertgrenzen festgelegt. So haben bei über- und außerplanmäßigen Aufwendungen oder Auszahlungen die Ratsversammlung über 1 Million Euro, der Verwaltungsausschuss bis 1 Million Euro und der OBM bis 500.000 Euro zu beschließen. Die Finanzierungsquelle (z.B. Fördermittel, Mehreinnahmen) ist anzugeben. Im Extremfall müssen geplante Leistungen reduziert oder ganz gestrichen werden, was nur bei freiwilligen Aufgaben möglich ist.

Jüngstes Beispiel in Leipzig ist ja der Katholikentag. Oder Freiheitsdenkmal. Wie kommt es, das eine Stadt wie Leipzig, die mit Ach und Krach ihren Haushalt zurechtschnürt, bei solchen Gelegenheiten auf einmal aus dem vollen schöpft? Gibt es da immer noch städtische Sparkonten, die man einfach anzapft? Oder gehen solche Lorbeer-Aktionen aufs Konto der Allgemeinheit, die mit Sparmaßnahmen dafür bezahlen muss?

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Da die Mittel für das Freiheitsdenkmal vom Bund und Freistaat bereitgestellt werden, wird der Haushalt der Stadt nicht belastet. Die Finanzierung des Katholikentages erfolgt nach meiner Kenntnis aus Mitteln der Stadt. Aus dem bereits gefassten Beschluss müsste die Finanzierungsquelle ersichtlich sein. Die L-IZ kann ja einmal nachfragen.

Eine geheime Schatztruhe besitzt die Stadt Leipzig nicht.

Wie kann es sein, dass es bei der Haushaltsprüfung fürs Leipziger Gewandhaus eine Deckungslücke von 1 Million Euro geben kann – und keiner merkt das? Kann das an einem einzigen Mitarbeiter der bbvl liegen, der dann geschasst wird? Oder fehlen Leipzig und seinen Eigenbetrieben tatsächlich eigenständige Rechnungsämter, die die Ausgaben der Kommune permanent überprüfen?

Die Aufstellung eines Wirtschaftsplanes ist ein Prozess, der sich über mehrere Monate erstreckt und an dem viele Personen beteiligt sind. Vor der Beschlussfassung im Stadtrat wird der Wirtschaftsplan meist mehrmals im Betriebsausschuss vorberaten. Er hat in Aufwendungen und Erträgen ausgeglichen zu sein. Eine Einzelperson, die zudem nicht Angestellter des Gewandhauses war, als Hauptschuldigen hinzustellen war unfair (Bauernopfer). Leider ist es keine Seltenheit, dass sich in solchen bzw. ähnlichen Fällen der Arbeitgeber nicht schützend vor seine Mitarbeiter stellt.

Irgendwie sieht es so aus, das wirklich unabhängige Prüfinstanzen fehlen im Land. Aber dazu morgen an dieser Stelle mehr.

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