Gottseidank! Das ist ja gerade noch einmal gut gegangen mit dem Osterfest in diesem Jahr. Nach Orkantief Niklas' bitterem Pfeifen in der letzten Woche, als sich ‚der alte Winter, in seiner Schwäche' so gar nicht als jahreszeitgemäße Pflegestufe drei gebärdete, erscheint einem die österliche Ruhe nach dem Sturm samt Frühlingssonne als besonders kostbares Geschenk. So ein Osterspaziergang bringt es einfach: Alles drängt zur Landschaft hin, wo sich eine verbindende, fast verbindliche Stimmung auszubreiten scheint.

Man muss schließlich nicht mal das Neue Testament auf dem Nachtschränkchen liegen haben, um sich noch  immer aufs Neue an dem überwältigenden Schauspiel der erwachenden Natur zu freuen. Zu Ostern lässt sich eben alles gern einmal die Sinne wieder öffnen für den Aufbruch von Forsythie und Co.

Beim Wandeln durchs  knospend-sprießende Gezweig lässt sich auch prima mal wieder der eine oder andere Gedanke spazieren tragen. Besser aber nicht zu sehr über vom Eise befreite Ströme und die Bäche nachdenken und schon gar nicht über Faust bzw. dessen Egotrip, der bis in unsere Tage hinein auf betrübliche Art und Weise Schule gemacht hat, mehr als ein Gretchen über die Klinge springen lassend. Am Ende bleibt die Frage, ob es Faust war oder wir selbst, dass wir mittlerweile gerne anzunehmen gewillt sind, wir hätten uns heute ans Licht gebracht, obwohl wir doch ans Licht gebracht sind.

So viel Ehrlichkeit muss sein: Mal darüber nachzusinnen, wie viel Faust in einem selber steckt, bis man der Versuchung erliegt, dies als  – an eine brachiale Sexualpraktik erinnernde – Wortspielerei wegzulachen.

Lachen ist wichtig. Sonst würde dies nicht sogar seitens der Politik gefördert

Außerdem gebe es auch keinen “realen Grund zur Traurigkeit”, wie Christine Lieberknecht, die sich als ehemalige Thüringer Ministerpräsidentin nun mehr wieder auf ihre eigentliche Profession als Pfarrerin zu besinnen scheint, in der gestrigen Ausgabe der Thüringer Allgemeinen postuliert. Traurigkeit gehöre offenbar zum Deutschsein resümiert sie dort in einer kleinen Abhandlung zu einem Lorelei-Gedicht Christoph Eisenhuts, einem Pfarrerkollegen im Ruhestand. Genau genommen: Traurigkeit, Sentimentalität und “lebensferne Illusionen”. Des Weiteren trage der Deutsche ungern Verantwortung, flüchte oft furchtsam vor der eigenen Courage, blase lieber sicherheitshalber in das Horn der anderen.

Dabei gebe es heute keinerlei Gründe zum Traurigsein oder für diffuse Ängste in Deutschland, Vielfalt zum Beispiel sei dann eine Freude, wenn man den Gedanken zulässt, dass “der Fremde ein Fremder unter Fremden” sei und wie jeder andere von uns auch “als Gast auf dieser Erde lebt.”

Zugegeben: In Anbetracht dieser Ausführungen war ich zum ersten Mal seit langem nicht nur geneigt, Christine Lieberknecht wieder einmal Gehör zu schenken, sondern ihr in großen Teilen sogar Recht zu geben. Nur der Schluss-Satz des Beitrages enttäuschte in Spuren. Hieß es doch da allzu lapidar: “Überwinden wir den Strom der Zeit – möglichst mühelos.”

Gerade zum Osterfest hätte man dort dann doch gern die Antworten auf die Fragen WIE? und WARUM? gefunden.

Ich möchte mir deshalb an dieser Stelle unerlaubterweise erlauben, Frau Lieberknecht in jenem Belang mit einer kleinen Alltags-Anekdote ein wenig ergänzend unter die Arme zu greifen: Ungeschickt in der Abwehr von Kommunikationsanliegen wie ich zeitlebens vermutlich immer bleiben werde, sah ich mich vor einiger Zeit in einem Cafehaus erneut aufs Lebhafteste in ein Gespräch mit einer 94-jährigen Dame verstrickt und damit einem außerordentlich unterhaltsamen Nachmittage entgegen.

Mit der üblichen Zielgerichtetheit ihrer Generation kam meine Gesprächspartnerin schnell aufs Wesentliche zu sprechen: ihre Lebensgeschichte. Von einer sozialpädagogikfreien Kindheit wusste sie zu berichten, an die sie sich trotzdem sehr gern erinnere, von Pflichten, Ritualen und Familientraditionen. Auch vom Singen im evangelischen Kirchenchor war die Rede, von ihrer Arbeit als Krankenschwester ab 1938 bis zum Kriegsende. Von den vielen Menschen, denen sie die Augen zugedrückt habe. Von ihrem Mann, mit dem sie 66 Jahre verheiratet gewesen war.

Manch einer mag dies nun alles als allzu bekanntes geriatrisches Erzählsyndrom abhaken, ich muss allerdings hinzufügen, dass Frau K. völlig klar und stringent in ihren Aussagen war und überdies ihr Licht keineswegs unter den narrativen Schemel stellen musste. Zwei Dezibel leiser wäre die Geschichte zwar immer noch bestens an mein Ohr gedrungen, aber irgendeinen Tribut muss ein so alter Körper schließlich fordern.

Am Ende unserer so überraschend zustande gekommenen Zweisamkeit wagte ich es, mich zu der Frage aufzuschwingen, was eine so erfahrene Dame denn für ein Fazit aus ihrem Leben ziehe. Ein Fazit, aus dem man vielleicht etwas lernen könne.

Sie zögerte ein bisschen, dann fasste sie mich vertraulich bei der Schulter und sagte: “Wissen Sie, alles wovor ich im Leben Angst gehabt habe, ist nicht eingetreten. Nichts davon. Die Katastrophen kamen immer aus einer anderen, einer völlig unerwarteten Richtung. Daraus habe ich irgendwann geschlossen, dass man es mit der Angst auch sein lassen kann.”

In diesem Sinne: Keine Angst! Dann grünet im Tale vielleicht sogar tatsächliches Hoffnungsglück.

Frohe Ostern!

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