Viel Wirbel gab es bekanntlich in den vergangen Tagen um den „zurückgetretenen“ Bürgermeister von Tröglitz. Ohne sich lange mit diesem grammatikalischen Unfug zu befassen, haben sich im Rahmen der Debatte um die brandgefährliche Situation in dem kleinen sachsen-anhaltinischen Örtchen auch die Grünen eingemischt. So forderte der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, unter anderem in der Berliner Morgenpost: "Allein mit einem Verbot der NPD ist menschenverachtendes, rassistisches Denken nicht aus den Köpfen herauszubekommen. Wir müssen den Kampf gegen Rechts verstärken und dafür mehr Mittel bereitstellen."

Man muss nur einen kurzen Blick auf die Frisur Hofreiters werfen, um neidlos anzuerkennen, dass er im Kampf gegen Glatzen bisher persönlich durchaus erfolgreich gewesen zu sein scheint. Was die Methode aber im „Kampf gegen Rechts“ angeht, der nun auch noch mit „noch mehr Mitteln“ geführt werden müsse, so irrt Herr Hofreiter vermutlich doch.

Noch mehr Mittel?! In einem Kampf, der bundesweit bereits von über 200 „Initiativen gegen Rechts“ unterstützt wird? Der sich von Fußball- und Golfturnieren übers Tanzen, Singen, Springen und bis hin zu „Laut ficken gegen Rechts“ erstreckt und doch – angesichts aktueller Ereignisse immer aussichtsloser zu werden droht?

Ich fürchte, noch mehr Geschlechtsverkehr und vor allem noch mehr Mittel würden niemandem schaden. Aber helfen würde es vermutlich auch nichts.

Neue Lösungsmöglichkeiten sind längst vonnöten. Nur – welche? Es ist zweifellos eine verdammt harte Nuss, aus feigen Nazis richtig mutige Menschen zu machen. Es fängt ja schon beim lockeren Begriffsverständnis von „Mut“ an. Ich selbst würde mich als wenig mutigen Menschen einstufen. Ein Sprung vom Dreimeter-Brett? Nur mit Kerze! Bei Rot über die Straße? Nur wenn keiner guckt. Außerdem scheue ich alle Extrem-Sportarten: Wenn andere am Bungee-Jumping-Seil schlingern, bin ich die, die unten steht und Latte Macchiato trinkt. Ich gebe zu: Die Angst vor Versehrtheit begleitet mich.

Wenn man Mut aber weniger in physischer Hinsicht betrachtet, sondern mehr als Befähigung, sich gegen erwartbaren Widerstand, Gefahren oder persönliche Nachteile für eine als notwendig erkannte Sache einzusetzen, dann darf es davon gern 100 Gramm mehr sein.

Wie aber kann das gehen? Wir haben in unserer recht bequem eingerichteten Gesellschaft allerlei Komfortzonen geschaffen, die ein aktives Handeln oder gefahrvolles, heldenhaftes Tun ja gar nicht tagtäglich erfordern. Ob Flatscreens über dem Zahnarztstuhl oder Hypnose bei der Heuschnupfenbehandlung – wir sind möglicherweise schon ein bisschen verzärtelt und haben es gern kommod. Verständlich ist das allemal. Es ist sicher nicht zurückzuwünschen, dass wir allnächtlich im Walde wilden Tieren trotzen und damit unseren Mut unter Beweis stellen sollten.

Vermutlich steckt das größere, modernere Potential des Mutigwerdens eher in der Handlungsverweigerung.

In der Gabe, einer als Unrecht erkannten Handlung zu widerstehen. Mehr noch vielleicht, einem Lebensstil zu widerstehen, der nur aufgrund der ungerechten Behandlung anderer aufrechtzuerhalten ist. Ich weiß, das klingt gut, aber Wertebewusstsein, eigenständiges Denken, und charakterliche Stärke gibt’s nicht im Online-Warenkorb. Daran muss man betrüblicherweise arbeiten.

Und man macht es uns nicht leicht, selbst wenn wir immerhin den ersten Schritt zur Einsicht getan haben. Man lenkt uns ab. Man gibt uns Spielkonsolen in die Hand, verwirrt uns in groben und feinen Medien, spricht seltsame Sprachvarianten am Arbeitsplatz.

Warum aber lassen wir das zu?

Warum lassen wir zu, dass Anzug-Heinis in ICEs sitzen, auf einen Laptop starren und Sätze sprechen wie “Das möchte ich hier nicht finally besprechen. Dazu müssen wir wohl eine TELKO anberaumen!” Warum lassen wir zu, dass diese Menschen hinterher Frau Meyer aus der Buchhaltung rundmachen, weil diese die 243. Email nicht gelesen hat? Warum wird hingenommen, dass diese radebrechenden Gefühlsbehinderten bestimmen, wann gearbeitet wird, den Samstag in die Länge ziehen, sich dann und wann auch noch des Sonntages der Arbeitnehmer bemächtigen?

Sollte man nicht wenigstens in Betracht ziehen, dass Mist Mist bleibt, auch wenn man ihn zu Deppen-Business-Kauderwelsch aufbläst? Dass der gesunde Menschenverstand nicht zwingend Leitlinie in Führungsetagen sein muss und dass selbst äußere Zwänge, die uns allein schon der Existenzsicherung wegen umgeben, uns ein paar Freiräume lassen, auch mal die Stirn zu zeigen? Sollte man nicht auch erwägen, dass gerade die Menschen mutig sein könnten, die sich selbst kritisch oder zumindest realistisch betrachtend, eine ihnen angetrage Aufgabe oder angebotenes Amt ablehnen?

Dazu gehört vielleicht auch, vorher nein zu sagen, wenn man nicht weiß, wie man auf Hoffnungslosigkeit antworten soll, wenn man keine Hoffnung auf Arbeit machen kann? Vielleicht gehört auch dazu, langsam mal ganz laut zu schreien, dass man sich bescheuert vorkommt, das hundertfuffzigste Bewerbertraining mit Jugendlichen zu veranstalten, deren Schwierigkeiten auf dem Weg von der Schule in die Arbeitswelt sich längst zu dem Eindruck verfestigen haben, nicht gebraucht zu werden und nichts wert zu sein.

Irgendein anständiges Lebensmodell muss es doch geben zwischen dem berufsbetroffenen Dauer-Nölprinzen und dem abgedumpften Kopfsenker!

Schließlich ist die Gartenlaube als Refugium auch nur Aufschub der Probleme und überdies eine nicht sehr verwegene Variante, die eigene Biographie zu absolvieren. Die für die man bekanntlich nicht allzu viele Lose zugesprochen bekommt.

Deshalb erinnern wir uns immer wieder mal des Bedeutungskerns eines der schönsten kleinen Wörtchen, welche die deutsche Sprache hervorgebracht hat, diese seltsam würdige Mitte irgendwo zwischen Leichtsinn und Feigheit: M-U-T.

Ansonsten ist oder wird man vom Leben wohl irgendwann zurückgetreten.

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