Ein bisschen kühl war er ja, dieser Muttertag 2015. Vielerorts mussten sich durchgefrorene Mütter von unambitioniert schenkenden Kindern durchschütteln lassen und am Wege lagernde Blumenhändler schienen sich nicht nur aus rein wirtschaftlich motivierter Zufriedenheit die klammen Hände zu reiben. Kein Wunder also, dass man sich so langsam wieder mit dem unvergessenen Rudi Carrell zu fragen beginnt, wann es denn wieder mal richtig Sommer wird ..., na, ihr wisst schon, so ein Sommer wie er früher einmal war.

Abgesehen davon, dass ein Rudi Carrell einem das ganze Jahr über das Herz zu erwärmen wusste, keineswegs nur von Juni bis September, muss man für den Sommer trotz seiner unbestrittenen Potenz zum Herbeigesehntwerden feststellen: Juni bis September – das reicht vollkommen. Mehr Präsenz muss nicht sein. Und das hat gute Gründe.

Trotz verführerischster Begleiterscheinungen, kurzberockter Mädchen, Eis am Stiel mit Fassbrause und mitternächtlicher Hollywoodschaukelei. Trotz all der Frauen in durchsichtigen Kleidern, denen Männern mit durchsichtigen Absichten hinterpfeifen. Auch Fußballer kennen das: Andauernd wird vor ihnen her oder ihnen hinterher gepfiffen. Drehten Fußballer und Frauen sich dann jedes Mal um, entstünde eine völlig neue Sportart.

Man merkt hier vielleicht bereits: So ein Sommer kann auch anstrengend werden.

Kaum nämlich ist die erste Hitzewelle auf dem Rollfeld, befindet sich ganz Deutschland im medialen Ausnahmezustand. Platons Worte “Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit” in den Wind schlagend, alarmiert man mittels mahnender Ratschläge den Bürger auf allen Kanälen: “Trinken Sie mindestens 12 Liter Wasser oder ungesüßte Kräutertees, halten Sie sich möglichst im Schatten auf. Wählen Sie einen Lichtschutzfaktor von 250 und vor allem: Schließen Sie Kinder und Rentner weg.”

In letzterem Fall ist die Hysterie womöglich nicht ganz unbegründet. Die Alten und der Sommer – das kann durchaus als unglückliche Allianz enden. Aus der Zeit, die ich einmal in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Seniorenheim wohnend verbrachte, sind mir vor allem das Martinshorn als Sommerhit und die Herren vom Notarztwagen in Erinnerung geblieben. Kommt noch eine WM dazu, ist der Ofen meist ganz aus. Es hilft nichts schönzufärben: Während ganz Deutschland nationaldicht ist, kippen Senioren reihenweise aus den Flipflops. Vielleicht hat deshalb die Apotheken Rundschau doch nicht ganz unrecht: Ab 30 Grad gehört Oma eben vorsorglich an den Tropf.

Doch ab wann sollte der Zugang dafür gelegt werden? Wie schleicht es sich an, das Alter? Wenn man im Freibad nach einer halben Stunde schon wieder aufbrechen möchte? Mal ehrlich, Freibad und Wohlgefühl sind nicht zwingend immer gemeinsam unterwegs: Der Mitmensch taucht zu zahlreich, zu spärlich bekleidet und zu sehr aufs Wesentlichste reduziert auf der Wiese auf.  Er lärmt, er schmaust und schmatzt und turnt ungewollt ausschließlich auf den untersten Stufen der Maslowschen Bedürfnispyramide herum.

Schlimmer aber ist bei Weitem: Es STICHT aus allen Richtungen. Das Gras piekst, die Bienen hauen einem herzlos ihren Stachel in den Barfuß und wer es ganz hart mag, der legt sich noch eine modische Bastmatte unter. Aber selbst, wenn man zu ebener Erde auf ein Handtuch gebettet wird, ist die Freude begrenzt: Man kann nicht lange SITZEN, aber auch nicht LIEGEN, weil es dann wieder irgendwoher STICHT. Am Ende sogar im Rücken.

Wenn man dann noch kann, beginnt man unweigerlich zu träumen

Von einem Strand, weiß und feinsandig, und von einer Sitzgelegenheit, wo man mit Würde einen Kaffee und ein Buch positionieren sowie aus mindestens fünf Metern Mindestabstand die benachbarte Partei beäugen könnte. Da knallt einem aber schon ein Volleyball aus dem angrenzenden Feld an den Kopf und aus ist der Traum.

Aber auch jenseits von Badegelegenheiten bietet der Sommer seine Tücken: Für eine Gesellschaft, die sich größtenteils dem Credo verschrieben zu haben scheint, sich zu kleiden hieße lediglich, seine Blöße zu bedecken, entfällt im Sommer auch noch diese letzte Hürde. Bedauerlicherweise trifft auf die meisten Passanten einer sommerlichen Fußgängerzone eher nicht zu: “Das was sie nicht anhatten, stand ihnen gut.” Im Gegenteil: Tropische Zustände kehren bei uns Deutschen eher eine anrührende, unbeholfene Seite heraus. Selbst an Männern, die sonst wirken, als würden sie ausschließlich angesichts Militärmusik verrückt werden, gehen 37 Grad Außentemperatur nicht spurlos vorbei.

Anfänglich noch etwas scheu um sich blickend, werden dann gewagte Kurzarmhemden und helle Popeline-Hosen getragen. Bald sind sie aber soweit, in der Freizeitvariante des besagten Ensembles sogar ins sagenumwobene Camp David einzuladen. Vielleicht wartet dort Linderung für jene Frauen, die gern eindrucksvoll daraufhin weisen, dass mit Spaghettiträgern nicht immer italienische Kellner gemeint sein müssen und monatelang unter stark einschneidenden, unsichtbar sein wollenden Plastik-Haltern an der Schulter leiden.

Insofern dürfen wir nicht allzu enttäuscht sein, wenn der Sommer schon im August seinen vielleicht sogar durchnässten Strohhut nimmt und sich empfiehlt.  Ein bisschen bockig aber ist die Hoffnung dann aber doch: “Trotz allem glaub ich unbeirrt, dass unser Wetter besser wird, nur wann, und diese Frage geht uns alle an! Wann wird’s mal wieder richtig Sommer … ?”

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