Warum nicht mal eine staatstragende Rede halten? So in Personalunion als Ministerpräsident und Innenminister? Kann ja nicht viel schiefgehen, sind solche Ansprachen trotz vieler Worte meist eher nichtssagend und verallgemeinernd. Man will ja niemandem weh tun. Anders die Leipziger Autorin Heike Geißler, die sich in einem Web-Video mal eben zur sächsischen Ministerpräsidentin und gleichzeitig zur Innenministerin ernennt. Hinter der scheinbar platten und irgendwie amüsanten Rede verbirgt sich jedoch der vielgerühmte Schalk im Nacken. Aber auch eine Wut gegenüber Intoleranz, Egoismus und niedrigen Instinkten wie Sozialneid, Fremdenfeindlichkeit und blindem Hass.

Das Problem nachdenklicher Menschen

Nachdenkliche Menschen, oder sagen wir, Menschen, die sich viele Gedanken machen, haben ein Problem. Ein Problem mit Menschen, die wenig oder manchmal gar nicht nachdenken. Auch wenn man sich das als nachdenklicher Mensch unmöglich vorstellen kann. Heike Geißler, die in Leipzig wohnende Autorin, ist ein solch nachdenklicher Mensch. Und sie hat eben Probleme mit Menschen, die nicht oder nur wenig nachdenken. Sicher auch ein Grund, der sie dazu bewogen hat, ein Video ins Netz zu stellen, das zum Nachdenken anregen soll.

Auch Sie, liebe Sächsinnen und Sachsen, sind Menschen

Was allerdings auch nachdenklich stimmt, ist, dass Dinge, die man ins Netz stellt, oft ungeahnte Folgen haben können. Vor allem, wenn sie provozieren. Mit ihrem Web-Video hat die in Riesa geborene Heike Geißler gleichzeitig Aufsehen, Unmut, Beifall und Unverständnis geerntet. Dabei sagt sie eigentlich ganz normale, ja, selbstverständliche Dinge wie: “Liebe Sächsinnen und Sachsen, ich bin ein Mensch. Auch Sie, liebe Sächsinnen und Sachsen, sind Menschen. Außerdem sind alle, die Sie kennen, und alle, die Sie nicht kennen, Menschen. Auch jene, die manche von Ihnen nicht kennenlernen oder sehen oder wahrhaben wollen, sind Menschen. Das dürfen Sie nicht vergessen. Manche von Ihnen haben das leider vergessen.”

Solidarität, nicht nur mit jenen, die Tag für Tag ihr Leben riskieren

Wer jedoch genau hinhört, und nicht zu vergessen, nachdenkt, der spürt, was die Autorin wirklich bewegt. Sie fordert etwas, das heutzutage immer weniger selbstverständlich zu werden scheint. Nämlich Toleranz gegenüber Flüchtlingen, Schwachen, Wehrlosen und Menschen mit Migrationshintergrund. Sie wünscht sich Solidarität, nicht nur mit jenen, die Tag für Tag ihr Leben riskieren, um unmenschlichen und entwürdigenden Bedingungen in ihren Ländern zu entkommen. Nein, auch Solidarität unter den Sachsen, oder Menschen hier in Deutschland.

Solidarität der Mitbürger, die nachdenken und wissen, dass andere Menschen ihrer Hilfe bedürfen. Das macht Heike Geißler teils drastisch, wenn sie ganz unpolitisch sagt: “Liebe Sächsinnen und Sachsen, leider haben manche von Ihnen ein Rad ab.” Und: “So kann es nicht weitergehen. Jetzt hört einfach mal auf.” Eine Ministerrede, wie sie sich kein Tillich, kein Ulbig erlauben würden. Schließlich will man es sich nicht mit allen verderben, die gern konservativ wählen.

Schaut nicht neidvoll auf die, die Schutz suchen

Pegida-Anhänger gehören für Heike Geißler allerdings nicht zu denen, mit denen sie es sich nicht verderben will, wenn sie sagt: “Hört auf, voller Neid auf jene zu schauen, die hier sind, um Schutz zu suchen, und voller Hass und voller Wut, und voller Wut und voller Hass. Habt Ihr sie noch alle?”

Ein Interview zu ihrem Video lehnte Heike Geißler aus verständlichen Gründen ab. Nachdenkliche Menschen sind von Natur aus ein wenig sensibler als Menschen, die sich eben keine Gedanken machen. Denn sich keine Gedanken zu machen, belastet auch das Gewissen nicht so außerordentlich, dass am Ende doch Selbstzweifel am eigenen Handeln aufkommen könnten. Nicht so bei Heike Geißler, die schließlich dennoch gegenüber dem Autoren der L-IZ begründete, warum sie kein Interview geben wollte.

Wie mit der explodierenden, sprachlichen Gewalt umgehen?

Eine Aussage, die in ihrer Klarheit und Kürze dennoch genug aussagt: “Ich habe nun nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht über das Video sprechen möchte. Auch, weil sich das Video selbst erklärt. Ich denke viel darüber nach, wie man sagen kann, was man sagen möchte, wie man mit der explodierenden sprachlichen Gewalt umgehen kann, wie man aus Schauplätzen von Protest und Gegenprotest wieder lebendige, mögliche, normale Orte werden lassen kann. Wie ich meinem eigenen Anspruch, mit allen zu reden, auch mit jenen, deren Meinung ich überhaupt nicht teile, gerecht werden kann. Wie jener Umstand, dass alle Menschen Menschen sind und als solche behandelt werden müssen, nicht noch weiter lädiert wird, wie er bekräftigt wird. Ich habe als Reaktion auf das Video etliche E-Mails erhalten, die sagen: ja, aber… Menschenrechte, aber nicht für Wirtschaftsflüchtlinge und so weiter.”

Viel mehr möchte man eigentlich auch nicht dazu sagen, wenn man mal richtig darüber nachdenkt. Und das lohnt sich in jeder Hinsicht.

Das Video zum Nachdenken:

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Es gibt 4 Kommentare

Gerade Christen müssen sich so verhalten, wie es die Bibel vorschreibt. Aber Nächstenliebe und Empathie ist vielen fremd geworden. Was ist aus uns geworden?
Die junge Frau ist sehr mutig. Im Netz wird es bestimmt wieder Hasskommentare geben, sowie es dem Studenten gegangen ist, der auf Change.org die Petition “Heime ohne Hass” eingestellt hatte und der daraufhin Morddrohungen erhalten hat.
Die Politik trägt an solchen Entwicklungen eine große Schuld. Man weiß gar nicht, bei welchen Vorkommnissen man anfangen soll und wo es endet.
Ich hätte auch nie für möglich gehalten, dass die “braune Brühe” so dermaßen auf Ostdeutschland nach Fall der DDR überschwappt. Vielleicht hat man die ware Gesinnung mancher auch nicht so mitbekommen?

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