Sie erinnern sich an den Anfang des Jahres 2025? Da erhob sich der Eindruck, Friedrich Merz und seine CDU, ebenfalls Markus Söder mit der CSU, hätten ein Patentrezept für alle Probleme Deutschlands. Man musste sie nur wählen und mit dem „Herbst der Reformen“ käme ein goldenes Zeitalter auf uns zu. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ja, politische Prozesse brauchen ihre Zeit, aber Veränderungen müssen eben auch angegangen werden.

Kurz zusammengefasst mussten, laut Merz und Söder, die Grünen raus aus der Regierungsverantwortung und schon könnte man aus völlig unideologischen Gründen alles sofort verbessern. Es war halt dieses Wahlkampfgeklingel, wer daran glaubte, war selbst schuld. Es ist schon Ende Herbst, die Merz-Regierung ist ein halbes Jahr im Amt. Und was ist geblieben?

Konzentration auf Angst

Es wird in der Bevölkerung Angst geschürt, vor Migration, vor faulen Bürgergeldempfängern und vor dem daraus entstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch Deutschlands. Mit den Diskussionen um das „Stadtbild“ und aktuell das „sichere Syrien“, aber auch um das mehrstellig milliardenschwere Einsparpotential beim Bürgergeld war ein Tiefpunkt erreicht.

Es geht aber noch tiefer. Inzwischen wird über Arbeitspflicht für nicht-arbeiten-dürfende Menschen, sprich asylsuchende Menschen ohne Arbeitsgenehmigung, gesprochen. Ja, Sie haben richtig gelesen, geflüchtete Menschen dürfen nicht einfach einen Job annehmen und Unternehmen dürfen diese nicht einstellen, solange keine Arbeitsgenehmigung vorliegt.

Diese sollen jetzt in Tätigkeiten gezwungen werden, für die sich niemand findet. Das hat wohl „Charme“, besonders für kommunale Verwaltungen, die klamme Kassen haben. Wer arbeitet schon ohne Zwang für 80 Cent pro Stunde? Die Vorstellung, diesen Menschen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt zu gewähren, erscheint geradezu als absurde Forderung.

Was hat das mit Angst zu tun? Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben, leben teils jahrelang in der Angst, abgeschoben zu werden. Jetzt auch noch Sanktionen riskieren, eventuell die Gefahr, chancenlos im Asylverfahren zu sein? Da gibt man dem Zwang wohl widerspruchslos nach.

Aber nicht nur Asyl suchende Menschen, auch Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld werden unter Druck gesetzt. Mit der „Bürgergeldreform“ hin zur „Neuen Grundsicherung“ drohen sehr schnell Leistungskürzungen, bis hin zur kompletten Einstellung der Zahlungen. Auch das „Schonvermögen“ wird reduziert.

Was bringt das Ganze, außer Angst der Betroffenen? Merz sprach beim Bürgergeld von zweistelligen Milliardenbeträgen, andere von zumindest hohen Beträgen im einstelligen Milliardenbereich. Am Ende werden es eher 80–90 Millionen, die Kosten für die Bürokratie dahinter sind noch unklar.

Auch hier die Angst, vor Leistungskürzungen oder dem Zwang zum Aufbrauchen des gesparten Geldes. Der Zwang zur Aufnahme jedes Scheißjobs. Das hat wohl mehr mit CDU/CSU-Ideologie, als mit tatsächlichen Effekten zu tun.

Die Wirtschaftskompetenz der Merz-Regierung

Die war doch das eigentliche Wahlversprechen, was ist daraus geworden? Wirtschaftsministerin Reiche verkämpft sich an der fossilen Front, das Bremsen der Energiewende durch den Bau neuer Gaskraftwerke als Ziel band Ressourcen, die man besser hätte einsetzen können. Am Ende blieb die Regelung, die ihr grüner Amtsvorgänger getroffen hatte.

Das Gebäudeenergiegesetz, im Springer-Sprech „Heizungsgesetz“, sollte abgeschafft werden, seit Mitte des Jahres ist nicht viel passiert. Verbraucher und Industrie wurden verunsichert, das war es auch schon. Immerhin kommt wahrscheinlich der Industriestrompreis, den Ministerin Reiche jetzt einführen will. Es ist wahrscheinlich ein anderer, als der von Habeck vorgeschlagene und von der CDU als „grünes Schurkenstück“ abgelehnte im Jahre 2023, oder?

Ehrlich gesagt: Wirtschaftskompetenz sieht für mich anders aus.

Was machen die Bundesländer?

Ja, da gehen wichtige Dinge vor sich. Beispielsweise fordern die Ministerpräsidenten der Bundesländer eine Aufweichung des auf EU-Ebene geplanten Verbots neuer Verbrennermotoren nach 2035. Ja, tatsächlich sprechen sie vom „Verbot der Verbrennertechnologie“. Es gibt kein solches Verbot, auch wenn es oft als solches bezeichnet wird.

Ab 2035 sollen neu zugelassene Fahrzeuge emissionsfrei sein, ganz technologieoffen. Die Forderung der Ministerpräsidenten bedeutet also im Klartext: Es gibt keinen Verbrenner, auch keinen mit eFuels, der dieses Kriterium erfüllt. Wasserstoff, der „Champagner der Energiewende“, wird nicht in Pkw zum Einsatz kommen, mangels Verfügbarkeit. Ob mit dieser Forderung auch nur ein Problem der exportorientierten deutschen Automobilindustrie gelöst wird, erschließt sich wohl nur Söder, Kretschmer & Co.

In Hessen gehen auch wichtige Dinge vor sich, es gibt das „härteste Genderverbot Deutschlands“, selbstverständlich völlig unideologisch. Was ist daran so besonders? Es wird nicht nur für neue Publikationen, Social-Media-Beiträge oder ähnliches angewendet, auch solche vor dem Erlass gemachten müssen korrigiert werden. Das muss dieser Bürokratieabbau sein, von dem CDU-Politiker gern reden.

Wenn, wie die GEW sagt: Schulen nach ihre kompletten Webseiten „bis zum Bericht einer Klassenfahrt von 2018“ auf Anweisung korrigieren müssen, dann gibt es scheinbar in hessischen Schulen freie Kapazitäten.

Fazit: Der „Herbst der Reformen“ lässt sich, wie in der Überschrift angedeutet, mit „Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet“ beschreiben. Debatten um Migrationspolitik und Bürgergeld, so wichtig diese auch sind, verstellen den Blick der Bevölkerung auf die wirtschaftlichen Probleme des Landes. Sie lösen aber keines der wichtigen Probleme.

Wenn alle Migrantinnen und Migranten abgeschoben und alle Bürgergeldempfängerinnen und Empfänger in prekäre Jobs gezwungen sind, ist keine Wohnung mehr gebaut worden, die Lebensmittel im Supermarkt, Mieten, Heizung und Strom sind nicht preiswerter geworden.

Eine Änderung dieser Vorgehensweise ist nicht in Sicht, das untergräbt wahrscheinlich endgültig das Vertrauen vieler Menschen in unsere parlamentarische Demokratie. Vielleicht ist das aber auch Absicht, wer weiß das schon?

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