Wahlen verzerren auch die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Nicht nur, wenn immer mehr ältere und alte Wähler durch ihre schiere Masse dafür sorgen, dass die gewählten Politiker fast nur noch ihre Interessen vertreten und die der jüngeren Generationen komplett aus den Augen verlieren. Auch durch die zunehmende Blindheit der Politiker selbst für das, was das Land eigentlich zukunftsfähig machen könnte.
Und das ist auch nicht erst so, seit die deutschen Leitmedien ihr Bashing der Babyboomer entdeckt haben. Was an den tatsächlichen politischen Weichenstellungen nun einmal nichts ändert. Es schürt nur wieder neue Animositäten. Und alle regen sich über etwas auf, was so nicht einmal ansatzweise die Realität spiegelt.
Denn wer sind eigentlich die „Boomer“? Diejenigen, die in dieser Zeit alle Geschenke mitgenommen haben, von florierenden Sozialsystemen, Löhnen, Erbschaften und hochdotierten Jobs profitierten? Oder gehören dazu nicht auch die Millionen, die genauso immer benachteiligt waren bei Löhnen, Renten und Sozialleistungen und jetzt in Scharen in die Armutsrenten rutschen und ihre Pflege nicht bezahlen können?
Oder um es noch deutlicher zu sagen: Wieder wird eine falsche Gegenüberstellung dazu genutzt, die Bürger gegeneinander aufzubringen und Frust zu produzieren, während über die eigentlichen Schieflagen in unserem Land nicht geredet werden soll.
Schieflagen, die die jüngeren Generationen zunehmend auch seelisch belasten, weil sie den ganzen Berg verweigerter Reformen samt riesigen Schuldenbergen erben werden, ohne den geringsten Einfluss auf heutige Entscheidungen zu haben.
Die Würde der jungen Menschen
Am 12. September thematisierte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, dieses Phänomen in seiner Kolumne in der „Zeit“. „Die Würde des Menschen ist unantastbar – so beginnt unser Grundgesetz. Doch viele junge Menschen in Deutschland zweifeln, ob dieses Versprechen für sie noch gilt. Selten zuvor stand eine Generation in unserem Land vor so vielen gleichzeitigen Krisen: Klimawandel, geopolitische Konflikte, wachsende soziale Ungleichheit, wirtschaftliche Unsicherheit und psychische Belastungen.
Die Jugendstudien zeichnen ein klares Bild: Sorgen und Ängste prägen die junge Generation. Gleichzeitig zeigen sie Pragmatismus, Verantwortungsbewusstsein und konkrete Erwartungen an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.“
Aber was macht das mit den jungen Menschen, wenn sie jeden Tag erleben, dass die große Politik weiter nur ans Umverteilen zu den Reichen und Superreichen denkt und die Vorsorge für die Zukunft sogar zurückschraubt?
„Die Sorgen der jungen Generation sind berechtigt“, stellte Fratzscher fest. „Wer heute jung ist, blickt auf eine unsichere Zukunft, deren Herausforderungen die eigenen Möglichkeiten weit übersteigen. 81 Prozent fürchten eine Ausweitung des Ukrainekriegs. Zwei Drittel sorgen sich um Inflation, Armut und Wohlstandsverluste. 63 Prozent sehen die Klimakrise als existenzielle Bedrohung. Hinzu kommt ein Gefühl wachsender sozialer Spaltung: 64 Prozent nehmen zunehmende Feindseligkeit in der Gesellschaft wahr, 40 Prozent fühlen sich persönlich benachteiligt.“
Kein Wunder, dass da gerade bei Jugendlichen die psychischen Belastungen zunehmen.
Klimaschutz, Gerechtigkeit, Bildung
Aber Fratzscher staunt auch. Denn. „Gleichzeitig zeigen die Befragungen auch: Die Mehrheit der Jugendlichen bewahrt einen gewissen Optimismus. Und die Jugend hat klare Forderungen: mehr Einsatz beim Klimaschutz, mehr soziale Gerechtigkeit, bessere Bildungschancen, faire Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung. Viele junge Menschen sind bereit, eigene Opfer zu bringen. 57 Prozent würden zum Beispiel ihren Lebensstandard für den Klimaschutz senken. Aber sie erwarten von der älteren Generation und den Verantwortlichen, endlich entschlossener zu handeln.“
Nur: Die handeln nicht, sondern spielen weiter die alten Spielchen, bedienen weiter vor allem die Interessen einer reichen und einflussreichen Klientel, während echte, belastbare Zukunftsprogramme für das Land als „nicht finanzierbar“ erklärt werden.
„Es geht aber auch um Respekt, Anerkennung – und Würde. So wie es das Grundgesetz vorschreibt“, schrieb Fratzscher. „Viele junge Menschen fühlen sich jedoch nicht gesehen, nicht ernst genommen, nicht wertgeschätzt. Deshalb reicht die Umverteilung von Geld allein nicht aus, um die wachsende Unzufriedenheit zu stoppen. Solange Jugendliche den Eindruck haben, ihre Sorgen würden abgetan und ihre Leistung nicht anerkannt, wächst das Risiko politischer Radikalisierung.“
Und dann benennt er etwas ganz Wesentliches: „Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien ist deshalb auch Ausdruck eines tiefen Bedürfnisses nach Respekt und Teilhabe. Ein Leben in Würde bedeutet eben nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern auch Selbstachtung, Chancen zur Selbstverwirklichung und gesellschaftliche Anerkennung.“
Er zählt dann mehrere Bereiche auf, wo endlich etwas getan werden müsste, aber nichts passiert als schlechte Verwaltung des Bestehenden – alle voran die Bereiche Bildung, Gesundheit und Klimaschutz.
Es geht immer um (Um-)Verteilung
Natürlich hat das auch mit Umverteilung zu tun, was denn sonst? Vor allem aber mit einer belastbaren Finanzierung des Staates, der diese Aufgaben anpacken muss. Deutschland ist nicht so arm, wie es die konservativen Parteien mit ihrer „Schwarze Null“-Politik immer darstellen. Das Geld fließt nur falsch, wird dem Staat regelrecht durch eine falsche Steuerpolitik entzogen.
„Eine Demokratie darf sich nicht damit zufriedengeben, Wohlstand zu verteilen. Sie muss allen Menschen – vor allem den jungen – Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben, Teilhabe und Sicherheit geben. Nur so wird das Versprechen des Grundgesetzes eingelöst“, mahnt Fratzscher. „Die Zukunftsängste der Jugend sind ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Versäumnisse. Sie zeigen, wo wir handeln müssen.“
Dann wird er noch ein bisschen salbungsvoll: „Es ist unsere Verantwortung, nicht ihre. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar – auch die der kommenden Generationen.“
Denn zur Wahrheit gehört nun einmal auch, dass der Wohlstand nicht einmal ansatzweise gerecht verteilt wird. Die Umverteilung von unten nach oben ist längst zum Grundmechanismus der Bundesrepublik geworden. Womit die Spielräume, Zukunftsthemen überhaupt noch finanzieren zu können, praktisch auf null geschrumpft sind.
Wer das Steuersystem nicht gerechter macht, wird auch keine Zukunftsthemen finanzieren können. Und wohl noch mehr Bundesregierungen produzieren, die einfach am Finanzieren ihrer Haushalte scheitern.
Gerechtigkeit fängt mit Geld an. Und mit einem Verständnis dafür, wie Geld für die Zukunft eines Landes produktiv gemacht werden muss.
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