Wenn's mal wieder kracht in der Stadt, werden gerne Schuldige gesucht. Dass viele Probleme gar nicht erst entstehen müssten, wenn sich die Gesellschaft - das heißt wir alle, auch Du, lieber Leserschaftler - verantwortungsbewusst mit anderen Menschen auseinandersetzt, hieße jetzt dem intelligenten Menschen Eulen nach Athen nachschleppen. Nun sind nicht immer alle Entscheidungsträger allumfassend intelligent, manche haben sogar Kompetenzprobleme - und deshalb wird es einigen Helfenden eben auch schwer gemacht, zu helfen. Tanner traf Holger Kappe und sprach mit ihm über das Ende des "Schulclub am Adler" und was danach kam. Ausgiebig! Hier Teil eins.

Guten Tag Holger Kappe. Du hast jahrelang für RAA Leipzig den Schulclub der Schule am Adler geleitet. Dann war vor einiger Zeit Schluss damit. Was ist geschehen?

Hallo, Volly Tanner. Eigentlich dachte ich immer, es wäre ein gut gehütetes Geheimnis, wer von den drei MitarbeiterInnen im Jugendclub nun Leiter bzw. Leiterin war bzw. ist. Aber im Ernst: Offiziell gibt es den Leiter oder die Leiterin bei uns im Jugendclub gar nicht. Mit nur drei Teilzeitkräften kannst du einfach die Vielzahl der Aufgaben, von denen nur ein Teil für die Öffentlichkeit sichtbar ist, nicht nach “Leitung” und “MitarbeiterInnen” aufteilen. Natürlich gibt es Sachen, die dem einen mehr und dem anderen weniger liegen, aber leiten können wir alle drei gut. Das heißt, wenn es schon einen Leiter geben muss, dann hat der Jugendclub aber drei davon. Tatsache ist aber auch, dass die Außenwelt einfach erwartet, dass es diesen “Leiter” nun einmal gibt. Und dann tauche ich mit meinen 47 Jahren und davon 14 im Jugendclub in diversen Runden auf und erzähle vom “Schulclub am Adler”… Irgendwie waren irgendwann alle der Meinung, dass ich wohl der Leiter sein müsste.

Hallo, Holger – Konzentration! Bitte!

Ja ja – aber nun zu deiner Frage, warum nach fast genau 18 Jahren der stadtteiloffene “Schulclub am Adler” seine Türen schließen musste.  Dass ich hier noch einmal erwähne, dass wir stadtteiloffen waren, das heißt, Schüler der Schule als auch Kinder und Jugendliche aus dem Stadtteil konnten gemeinsam unsere Angebote nutzen, hat einen bestimmten Grund: als schulinternes Angebot würde es uns sicherlich weiterhin geben.

Wenn du an einem Ort arbeitest, der gleichzeitig von vier verschiedenen Einrichtungen genutzt wird (Oberschule, Grundschule, Hort, Schulclub) und an dem sich Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 27 Jahren bewegen, dann bleiben Probleme nicht aus. Noch in 2011 und 2012 haben sich alle Einrichtungen zusammen für mehr Personal vor Ort eingesetzt. Gerade der Hort und wir als Schulclub, mit zwei MitarbeiterInnen und teilweise bis zu 100 BesucherInnen am Tag, kamen hier tagtäglich an unsere Grenzen. Aber leider kam statt Unterstützung der Auftrag, sich vor Ort mit den zur Verfügung stehenden Mitteln dem Problem zu stellen.

Ab Oktober 2013 konnten dann die Kinder und Jugendlichen aus dem Stadtteil nicht mehr unsere Einrichtung besuchen und im Februar 2014 erhielt mein Verein, die RAA Leipzig – Verein für interkulturelle Arbeit, Jugendhilfe und Schule e.V, die Information, das Angebot in der Schule am Adler zum Jahresende einzustellen und den Auftrag, bis dahin einen neuen Standort für einen offenen Freizeittreff im Stadtteil zu finden. In den darauf folgenden Wochen und Monaten haben wir keine Gelegenheit ausgelassen, um nicht um ein Fortbestehen unserer Einrichtung an der Schule am Adler zu kämpfen. Und so war der “Schulclub am Adler” Thema im Stadtbezirksbeirat Süd-West, dem Quartiersrat Leipziger Westen und dem Jugendhilfeausschuss.

Das Highlight war aber sicherlich das “Kreuzungsfest”, an dem wir mit Unterstützung langjähriger Freunde und Partner sowie Künstler aus dem Stadtteil für einen Nachmittag die Kreuzung Wachsmuth-/Siemensstraße am “Adler” sperren ließen und dort mit Bühne und jeder Menge Angeboten auf fehlende Freiräume für Kinder und Jugendliche im Stadtteil aufmerksam gemacht haben. Erfreulicherweise hat sich die Politik dann für ein Aufrechterhalten eines offenen Angebotes für Kinder und Jugendliche im Umfeld des “Adlers” ausgesprochen. Parallel haben wir uns auf die Suche nach geeigneten Räumen für einen Jugendclub im Umfeld der “Schule am Adler” gemacht, denn der neue Club sollte für die ehemaligen Besucher des Schulclubs auch weiterhin zu Fuß erreichbar sein. Nachdem klar war, dass keine städtischen Immobilien zur Verfügung stehen, haben wir nach Gewerbeflächen gesucht, die man als Jugendclub nutzen kann.

Die Lösung ist jetzt gefunden, ihr habt neue Räume. Wo denn und wer kommt da zu Euch?

Als wir im Juni letzten Jahres eigentlich schon jede Hoffnung aufgegeben hatten, geeignete Räume im Umfeld des Adlers zu finden, stießen wir online auf Räumlichkeiten auf dem Gelände der Alten Kammgarnspinnerei in der Erich-Zeigner-Allee 64e, die zur Vermietung standen: knapp 500m² und das nur fünf Minuten zu Fuß von der “Schule am Adler” entfernt. Nach der ersten Besichtigung waren wir total begeistert: eine riesige Fläche, die wir in Gedanken gleich einrichteten. Hinzu kam ein tolles Umfeld mit Gewerbetreibenden, Tanz- und Sportangeboten, Ateliers und Bandproberäumen.

Einziehen konnten wir natürlich nicht sofort, denn zunächst mussten wir noch den Eigentümer von der Idee eines Jugendclubs in seinen Räumen begeistern und die Stadt Leipzig musste ihre Bereitschaft bekunden, die Mietkosten zu übernehmen. Im Februar 2015 bekamen wir dann aber “grünes Licht” und konnten im März umziehen. Ich erinnere mich noch an die Begeisterung der Kinder und Jugendlichen, die zum ersten Mal die neuen Räume besichtigen konnten. Spätestens da wurde uns allen noch einmal so richtig bewusst, für was wir all die Anstrengungen der letzten Monate auf uns genommen hatten.

Und wie ging es dann weiter?

Nachdem der Eigentümer dann noch einige Baumaßnahmen auf unseren Wunsch hin durchgeführt hatte, wir umgezogen waren und dank ehemaliger Schulclub-Besucher (mittlerweile teilweise selbst über 30 Jahre alt) auch unsere Küche samt Theke stand, konnten wir Mitte April die Türen des Jugendclubs öffnen. Viele unserer jetzigen Besucher kennen wir bereits aus der “Schule am Adler”. Neue Gesichter – jüngere und ältere – sind dazugekommen, so dass jetzt bis zu 30 Kinder und Jugendliche täglich unsere Angebote nutzen. Aber auch Eltern haben zwischenzeitlich den neuen Club um die Ecke entdeckt und kommen vorbei, um mal eine Runde Billard mit ihren Kindern zu spielen.

Das ist auch für uns eine gute Gelegenheit, um miteinander ins Gespräch zu kommen und sich kennenzulernen. Und wenn dann gefragt wird, ob man sich bei uns Tische und Stühle für die anstehende Geburtstagsfeier ausleihen kann, sagen wir natürlich nicht nein. Die Mutter einer Clubbesucherin kommt regelmäßig vorbei und versorgt die Kinder und Jugendlichen mit selbst gebackenem Kuchen und letztens kam ein älterer Anwohner, der uns sein Schlagzeug, Mikrophone und einen Gitarrenverstärker für unseren Bandraum angeboten hat. Das haben wir natürlich gern angenommen. Der Jugendclub ist Anlaufstelle für Menschen, die sich im Leipziger Westen engagieren wollen. Zwei ehrenamtliche MitarbeiterInnen verstärken täglich unser Team und seit kurzem sind wir auch “Bundesfreiwilligendienst-Einsatzstelle”.

Aber natürlich haben wir auch BesucherInnen “verloren”. Vor allem diejenigen Schüler, die unsere Pausenangebote in der “Schule am Adler” genutzt hatten oder gleich nach Schulschluss noch einmal schnell in den “Schulclub” gekommen sind, bevor es nach Hause ging, kommen jetzt nicht mehr. Aber wir schauen positiv in die Zukunft. Jetzt gibt es das “L-OFT 64” fünf Monate und alle, die ihr Herzblut in diesen Ort gesteckt haben bzw. es auch weiterhin tun, können stolz darauf sein, was in dieser Zeit alles geschafft wurde. Das “L” steht übrigens für “Leipzig”, das “OFT” für “Offener Freizeittreff” und “64” ist unsere Hausnummer.

Teil zwei des Interviews morgen an dieser Stelle.

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