Ein neuer Donnerstagsdiskurs an der Universität Leipzig: Diesmal diskutierten Hochschulrektorinnen, Professoren und weitere in der Flüchtlingshilfe engagierte Menschen über Unterstützerangebote und stellten diese vor. Etwa 200 Zuhörer im Audimax-Hörsaal verfolgten den Diskussions- und Infoabend.

Schaffen wir es oder schaffen wir es nicht? Die Frage, ob Deutschland und seine Bevölkerung dazu in der Lage sind, mehrere hunderttausend Flüchtlinge pro Jahr menschenwürdig zu behandeln und in die Gesellschaft zu integrieren, spaltet derzeit das Land. Während viele Menschen nicht einmal den Versuch wagen möchten und stattdessen lieber eine menschliche Grenze bilden oder Flüchtlingsheime attackieren, sind andere schon deutlich weiter. Sie diskutieren nicht mehr über das „Ob“, sondern über das „Wie“. Und mehr noch: Sie belassen es nicht nur beim Reden, sondern handeln auch.

Die neueste Auflage des Anfang des Jahres anlässlich der Legidakundgebungen gestarteten „Donnerstagsdiskurses“ an der Universität Leipzig verknüpfte am Abend beides. Reden, und zwar darüber, wie konkret gehandelt werden kann.

Etwa ein Dutzend Personen beteiligten sich an der Diskussion, die zunächst als Podiumsgespräch begann. Die beiden Rektorinnen Beate Schücking (Uni) und Gesine Grande (HTWK), StuRa-Antirassismus-Referent Marcus Adler sowie Günther Fitzl, der Flüchtlingskoordinator der Uni Leipzig beschäftigten sich mit der Frage, wie es um die „Willkommenskultur“ an den hiesigen Hochschulen bestellt ist.

„Die Universität ist seit ihrer Gründung eine internationale Hochschule und lebt diesen Anspruch insbesondere in den vergangenen 100 Jahren“, erklärte Schücking. „Ich plädiere dafür, die Universität noch internationaler auszurichten und die bestehende Expertise zu nutzen. Allerdings fehlen uns teilweise die Instrumente. Viele junge Leute wollen studieren.“ Jedoch mangele es ihnen teilweise an sprachlichen Fähigkeiten und der Hochschule an nötigen Kapazitäten. Ein Mittel sei demnach die Gasthörerschaft. „Diese führt zwar nicht zum Abschluss, kann aber geeignet sein, eine Brücke zu schlagen.“

Antira-Referent Adler übte generelle Kritik am „Willkommenskultur“-Begriff und dem Umgang mit Geflüchteten: „Sie werden größtenteils als Verwaltungsmasse wahrgenommen und selten als politische Subjekte oder Menschen mit individuellen Bedürfnissen.“ Dies zeige sich auch daran, dass kein Flüchtling auf dem Podium vertreten war.

Thema an diesem Abend war auch die Ernst-Grube-Halle, die seit Mitte August als Notunterkunft zur Erstaufnahme von geflohenen Menschen dient. Nach aktuellen Plänen der Landesdirektion Sachsen steht die Halle der Universität bis mindestens Ende März 2016 nicht zur Verfügung. „Wir haben deutlich gemacht, dass wir dies nicht für eine ideale Lösung halten“, bekräftigte Schücking nochmals den bekannten Standpunkt der Unileitung. „Einige Veranstaltungen wurden bereits in das kommende Sommersemester verschoben. Deshalb wäre es wichtig, die Halle dann wieder nutzen zu können.“ In einer Stadt wie Leipzig mit sehr viel Leerstand müsse es möglich sein, bis dahin Alternativen zu finden.

Die vier Diskutanten verließen dann das Podium und machten Platz für andere Personen, die aktuelle oder geplante Unterstützerinitiativen für Geflüchtete vorstellten. Verena Klemm vom Orientalischen Institut der Universität, an dem zahlreiche Studenten ehrenamtlich übersetzen, verwies etwa auf den praxisorientierten Unterricht. „Deshalb sind wir seit Langem auf solche Situationen wie jetzt eingestellt.“ Zudem wolle man aber auch auf die grassierende Islamophobie reagieren und arbeite deswegen an einem Buch mit dem Titel „Muslime in Sachsen“, das Anfang kommenden Jahres erscheinen soll.

Erziehungswissenschaftlerin Kerstin Popp stellte ein Projekt vor, mit dessen Hilfe geflüchtete Kinder auf die Schule vorbereitet werden sollen. „Wir wollen diese Hilfsangebote bei uns bündeln, denn wenn damit jeder einzeln an den Flüchtlingsrat herantreten würde, wäre dies das reine Chaos“, so Popp. Wer dazu bereit sei, sich im Rahmen dieses Projektes zu engagieren, müsse jedoch längerfristig dabei bleiben, also zumindest ein Jahr. „Sonst macht das keinen Sinn.“ Der ehemalige Uni-Prorektor Claus Altmayer, nun anwesend als Mitarbeiter am Herder-Institut, nahm schließlich einen Vorschlag auf, Deutschkurse für Geflüchtete als Praktikum anrechnen zu lassen. „Es gibt entsprechende Überlegungen.“

Aus dem Publikum gab es an diesem Abend nur wenige Wortmeldungen. Angeregt wurde etwa, den Flüchtlingen und ihren Unterstützern mehr Räume für verschiedene Aktivitäten zur Verfügung zu stellen. HTWK-Rektorin Grande fand dazu eine schlichte Antwort: „Ich darf das nicht. Für Außenstehende ist das kaum vorstellbar, wie bürokratisch alles geregelt ist.“ Die zuständigen Ministerien müssten dafür Ausnahmegenehmigungen erteilen. Immerhin versprach ein anwesender Mitarbeiter des Landtagsabgeordneten Holger Mann, dass dieser das Gespräch mit Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (alle SPD) suchen werde.

In Erinnerung blieben am Ende vor allem zwei leidenschaftliche Plädoyers für mehr staatliches Engagement und Rücksicht auf die Bedürfnisse der Geflüchteten. André Gries, ärztlicher Leiter der Notaufnahme am Universitätsklinikum, mahnte: „Die medizinische Versorgung ist derzeit sehr auf individuelles Engagement angewiesen. Ein so reiches Land wie Deutschland kann sich viel mehr leisten.“

Kurz zuvor hatte bereits die Wirtschaftswissenschaftlerin Carmen Bachmann das Wort ergriffen. Sie verwies auf eine Online-Plattform für geflüchtete Wissenschaftler namens „Chance for Science“, die sie gemeinsam mit einer Kollegin initiiert hat. „Wenn wir in eine Flüchtlingsunterkunft eine Zeitung hängen, dann stürzen sich die Menschen darauf. Sie brauchen Bildung und zwar jetzt.“ Besonders wissenschaftliches Lehrpersonal nahm sie dabei in die Pflicht: „Jeder kann sich einbringen.“

Der nächste Donnerstagsdiskurs soll laut Uni-Rektorin Schücking am 5. November stattfinden, dann mit Gästen aus Politik und Wirtschaft.

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