Wir haben an dieser Stelle schon über eine ganze Reihe von Eitelkeiten der Leipziger Stadtpolitik berichtet. Oft genug tanzte man diese Eitelkeiten in fröhlichem Paartanz mit der LVZ. Dazu gehört auch der neueste Streich: Der aus der Rathausspitze angekündigte Bedarf, der Stadt jetzt unbedingt einen Masurplatz schenken zu wollen.

Ehrenbürger war der jüngst verstorbene einstige Gewandhauskapellmeister ja schon. Ehrendirigent ist er auch. Am 14. Januar veranstaltet die Stadt in der Thomaskirche einen Trauergottesdienst für den Maestro. Und im Neuen Rathaus “laufen gerade Planungen an, den Namen von Kurt Masur dauerhaft im Stadtbild zu verankern. Eine Kommission werde in der nächsten Zeit über die Umbenennung einer Straße oder eines Platzes beraten”, berichtete die LVZ am 6. Januar, nachdem sie mit einem euphorischen Feier-Klientel unterm eigenen Lesepublikum schon mal lauter Ideen gesammelt hatte, wie man den verstorbenen Dirigenten im Stadtbild ehren könnte. “Konkrete Vorstellungen gebe es bei der Verwaltung noch nicht. LVZ-Leser hatten allerdings schon eine Idee: Der Augustusplatz könnte geteilt und der Bereich vor dem Gewandhaus in Kurt-Masur-Platz umbenannt werden.”

Und der Gewandhaus-Pressesprecher wurde mit den Worten zitiert: “Das hätte Charme.”

Zumindest einer konnte diesen neuen Selbstläufer der Eitelkeiten nicht begreifen: Roland Mey. In seiner im Selbstverlag erschienenen Schrift “Wahrheit über Vergangenheit der Zukunft zuliebe” hat er sich auch einmal etwas eingehender mit der staatlichen Verbandelung des Gewandshauskapellmeisters Masur beschäftigt. Denn wer nur immer die halbe, die Jubelgeschichte sieht, der sieht im Grunde eine gefälschte Wirklichkeit.

Deswegen verblüffte ihn schon die Jubelarie, die die LVZ gleich nach dem bekannt gewordenen Tod von Kurt Masur im Dezember anstimmte: Seitenweise Elogen, kein bedenklicher Ton. Das schaukelte sich über Weihnachten regelrecht auf. Und es erzeugte ein Bild, das Mey fatal an alte Zeiten erinnert, als die Welt ebenfalls nur in Schwarz/Weiß gemalt wurde und “Helden des Sozialismus” emporgejubelt wurden.

“Wenn ein Mensch unter totaler Wegdefinition seiner Schwächen und Fehler über Jahrzehnte hinweg (insbesondere von den Leipziger Medien) derartig zu einem göttlich unantastbaren Wesen aufgebaut wird, dann ist das mehr als nur unseriöse Berichterstattung”, schreibt Roland Mey deshalb jetzt in einem Offenen Brief an den Oberbürgermeister und die Stadtratsfraktionen. “Diese Methode ist hochgefährlich und führt bei Übertragung von der ‘harmlosen’ Kunst auf die mächtige Politik – nur ein winziger Schritt – sofort in die nächste gesellschaftspolitische Katastrophe!”

In einem Leserbrief an die LVZ hatte er sich schon am 21. Dezember kritisch zu den dortigen Jubelarien geäußert, die Kurt Masur zu einer Heldengestalt hochstilisiert hatten, die der Mann zeitlebens nicht war. Wer ihm begegnete, wusste genau, dass Masur selbst um den schwierigen Spagat wusste. Und seine Größe entsteht nicht dadurch, dass ihn feierlustige Politiker und Redakteure zum Helden von ’89 aufgeblasen haben, sondern darin, dass er sich auch in den durchwachsenen Zeiten der SED-Herrschaft nicht scheute, sein musikalisches und persönliches Renommé in die Waagschale zu werfen, um Zugeständnis für sein Gewandhausorchester zu bekommen. Er war ein Pragmatiker des Auslotens der Möglichkeiten. Was etwas anderes ist als die ihm nach 1990 angedichtete Gloriole.

Roland Mey kritisiert das zwar explizit am Umgang mit Kurt Masur. Aber dasselbe Phänomen ließ sich auch bei einem Dutzend weiterer Helden und “Promis” beobachten, die sich im fröhlichen Katzenkonzert zwischen LVZ und Rathaus zu so etwas wie der prominenten Elite Leipzigs entwickelt haben, eine Art Vorzeige-Panoptikum der Berühmten und Gefeierten. Eine für Leipzigs Kultur fatale Entwicklung, denn damit verlagerte sich auch die Kulturpolitik des Rathauses völlig auf die Königsebene. Wer nicht zu den Berühmten und Beklatschten gehörte, fand nicht statt. Die Verzerrung spiegelt sich selbst in dem, was die Stadtspitze glaubt, was eigentlich Leipziger Kultur und Selbstverständnis ausmacht. Musikstadt Leipzig? So klein hat sich die Stadt vor der Erfindung der modernen Tourismusmanager nie gemacht.

Aber die Narrentänze gehen ja weiter: Denn die Umbenennung des “halben Augustusplatzes” in Masurplatz wäre die Fortsetzung eines Kultes um den Berühmten, die dem Selbstverständnis der Kulturstadt gar nicht gut tut.

“Es wird noch eine Zeit dauern, bis ein Biograph das ambivalente Leben des Maestros in der DDR publiziert und Kurt Masur als Mensch beschreibt”, schrieb Roland Mey in seinem Leserbrief auf einen LVZ-Jubelartikel zum Leben Kurt Masurs. “Dass Herr Korfmacher seinen LVZ-Leitartikel vom 21.12.15 mit der nicht mehr steigerungsfähigen Überschrift ‘Humanistischer Imperativ’ betitelt, überrascht mich nicht.”

Da kommen dann die Eventisierung der Politik und die Eventisierung der Medien zusammen. Ein einzig Feuerwerk der bunten Blasen. “Es ist schlichtweg eine Lüge, dass sich Kurt Masur ‘nichts und niemandem unterordnete’, wie in der LVZ vom 21.12.15 zu lesen ist”, kritisierte Mey. Man muss seine harte Kritik nicht teilen. Aber fest steht auch: Kleiner wird Masur deshalb nicht, wenn man auch seinen eigensinnigen Umgang mit den Mächtigen in der DDR beleuchtet. Im Gegenteil: Er wird kompletter, ein Mann mit Schwächen und Stärken, Ecken und Kanten, der für die ganze Leipziger Zwiespältigkeit der letzten Jahrzehnte steht.

Das sollte man nicht immer wieder aufs Neue zukleistern. Der bunte Zirkus-Rummel passt nicht wirklich. Auch nicht zu Kurt Masur.

Da täte auch Leipzigs Stadtpolitik gut daran, einmal die Lautstärke zu dimmen und das Zirkusorchester um Ruhe zu bitten.

Der Offene Brief von Roland Mey.

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Es gibt 2 Kommentare

Kleiner Nachtrag:

Für seine Tätigkeit im Gewandhaus wurde Herr Masur mehr als fürstlich entlohnt!!!!

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