Dieses Thema hat nicht allein die EU-Kommission gründlich versemmelt. Denn bevor die eine Verordnung erlässt, können dutzende Landesregierungen sich zu Wort melden und Korrekturen fordern. Aber auch in diesem Fall hat sich die sächsische Regierung einfach weggeduckt. Nun meldet der Zoo Leipzig, dass er die Haltung der Muntjaks aufgeben muss. Eine EU-Verordnung zwingt ihn dazu.

Die EU hat – schon im Jahr 2014 – eine Liste invasiver Arten definiert und per gesetzlich geltender Verordnung die Abgabe und Zucht von derzeit 37 Arten – inklusive der Chinesischen Muntjaks – untersagt. Invasive Arten sind Tierarten, die in Europa normalerweise nicht vorkommen, aber in den vergangenen Jahrzehnten durch Import, Einschleppung oder Einwanderung in Europa heimisch geworden sind und einheimische Arten bedrohen oder in ihrem Lebensraum einschränken. Am bekanntesten ist der Waschbär, der aus Nordamerika importiert wurde.

Es stand nicht dabei, wer in der Regierungskoalition von CDU und SPD als Erster munter geworden ist und einen gemeinsamen Antrag formuliert hat zu „Erhalt und Fortentwicklung der Artenvielfalt in der sächsischen Zoolandschaft“. Denn die Verordnung der EU muss die Staatsregierung ja seit 2014 auf dem Tisch haben. Und wenn sie die Liste durchgegangen wäre, hätte sie mitgekriegt, dass auch einige Tiere auf der Liste stehen, die in sächsischen Zoos gehalten werden.

Doch den Antrag schrieben CDU und SPD erst im Juni 2016. Am Mittwoch, 18. Januar, fand dazu dann eine öffentliche Anhörung im Europaausschuss des Sächsischen Landtages statt. Die Anhörung verfolgte das Ziel, die konkrete Umsetzung einer EU-Verordnung zu Tier- und Pflanzenarten zu hinterfragen, die sich invasiv sowie dominant ausbreiten und dabei andere Arten verdrängen (EU-Verordnung 1143/2014).

Ein bisschen spät.

„Wir unterstützen grundsätzlich das Ziel, die einheimische Fauna und Flora zu schützen. Biologische Vielfalt und ein Gleichgewicht der in Europa heimischen Arten müssen erhalten bleiben. Die seit dem 1. Januar 2015 geltende EU-Verordnung schießt jedoch über das Ziel hinaus. Die Experten kritisierten einhellig die strenge Positionierung der Europäischen Kommission, die keine Ausnahme für die Tier- und Pflanzenhaltung in den zoologischen und botanischen Gärten zulässt. Wir müssen aber die Zootradition auch für die Zukunft erhalten und dafür sind Ausnahmeregelungen notwendig“, meint Marko Schiemann, der europapolitische Sprecher der CDU-Fraktion.

Dass das auch den Zoo Leipzig betrifft, benannte die CDU-Abgeordnete und Kuratoriumsmitglied des Freundes- und Förderverein vom Zoo Leipzig e.V., Christine Clauß: „15 Millionen Zuschauer besuchen die Bundesliga, aber 30 Millionen Besucher gehen in Zoos und Tierparks. Die zoologischen und botanischen Gärten gehören zu den wichtigsten außerschulischen Bildungsträgern. Das Erleben und die Wissensvermittlung zu eingewanderten Arten, Informationen zu Biodiversität und Bedrohungsfaktoren von Lebensräumen spielen dabei eine wichtige Rolle. Der nunmehr auferlegte Zwang seitens der EU zu einer Artenreduzierung in Zoos steht im klaren Widerspruch zu deren Bildungsauftrag.“

Aber die EU-Verordnung 1143/2014 über „die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten“ gilt seit dem 1. Januar 2015. Die Verordnung verbietet gemäß Artikel 7 beispielsweise die Haltung, Züchtung, den Transport, Verkauf oder Tausch von namentlich gelisteten, invasiven gebietsfremden Tier- und Pflanzenarten, wie z. B. für  den Nutria, den Waschbär oder die Nordamerikanische Schmuckschildkröte. Und den Muntjak.

„Die Anhörung endete in Ernüchterung und Enttäuschung“, stellte denn auch Dr. Jana Pinka, umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion, fest. „Der Koalitionsantrag erweckte den Eindruck, als sei die Anhörung darauf gerichtet, die mit der EU-Verordnung 1143/2014 über ‚die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten‘ verbundenen kritischen Probleme durch parlamentarische Initiativen in Sachsen lösen zu wollen und zu können. Diese ergäben sich insbesondere aus Artikel 8 dieser EU-Verordnung für Zoologische Gärten, für die es nach Meinung aller Sachverständigen eine Ausnahmeregelung geben sollte. Doch der Vertreter des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit stellte auch auf mehrfache Nachfrage wiederholt klar, dass es dafür keine Spielräume mehr gibt, die wesentlichen Konsequenzen der Verordnung zu modifizieren.“

Die Spielräume, die es gab, wurden allesamt vertrödelt.

„Wozu also dieser Koalitionsantrag?“, fragt Pinka. „Ging es darum, europapolitische Aktivität zu demonstrieren? Dann ist das Ergebnis entlarvend. Mit dem Finger auf die EU zu zeigen, kann ja hier und da angebracht sein. Im vorliegenden Fall ist die EU allerdings nicht die alleinige Übeltäterin oder Grund dafür, dass ungewollte Konsequenzen der EU-Verordnung nicht mehr korrigiert werden können. Sondern schuld ist die weitgehende Ignoranz und Passivität der Mehrheit des Sächsischen Landtages bei EU-Gesetzgebungsverfahren. Bestehende Möglichkeiten wurden von CDU und SPD trotz unserer Aufforderungen nicht genutzt.“

Denn jede Verordnung hat einen Vorlauf. Und die Staaten können sich sehr wohl zu Wort melden, wenn sie eigene Interessen konterkariert sehen. Aber auch Sachsens Regierung befleißigt sich da lieber im Stillhalten. Man kümmert sich nicht – aber beschwert sich hinterher.

Jana Pinka: „Der richtige Weg wäre gewesen, die bestehenden Bedenken spätestens im Rahmen der Subsidiaritätskontrolle über Subsidiaritätsrügen (wie es das österreichische Parlament getan hat) oder wenigstens mit Subsidiaritätsbedenken (wie sie durch nationale Parlamente in Italien, Portugal, Rumänien und Tschechien geltend gemacht wurden) gegenüber Brüssel vorzubringen und so auf die EU-Gesetzgebung einzuwirken. Derartige Versuche, auf EU-Gesetzgebung vor der Verabschiedung Einfluss zu nehmen, wurden bislang durch die CDU und jeweils mit ihr koalierende Fraktionen blockiert. So aber werden sächsische Interessen nicht auf europäischer Ebene vertreten. Stattdessen werden Ressentiments gegen die EU befeuert.“

Und für den Leipziger Zoos heißt das: Er steckt in einem unlösbaren Konflikt.

„Die seit langem geplante Abgabe der Muntjaks ist somit nicht mehr gestattet. Ohne ein erlaubtes Zuchtmanagement ist jedoch auch die artgerechte Haltung der Muntjak-Gruppe nicht möglich, da die Fortpflanzung für einen gesunden Bestand, der nicht natürlich ausdünnt und ein einzelnes Tier übrig lässt, zwingend notwendig ist. Der Zoo befindet sich in einem Konflikt zwischen EU-Verordnung und dem Tierschutz, da sich beides gleichzeitig nicht umsetzen lässt“, teilt der nun mit.

Nach Prüfung aller Optionen unter Beachtung der gesetzlichen Bedingungen und unabhängig von den räumlichen Gegebenheiten hat die Zoo-Leitung nun die Entscheidung gefällt, die Haltung der Muntjaks aufzugeben. „Zuchtfähige männliche Tiere sind bereits nicht mehr in der Gruppe enthalten. Die verbliebenen Tiere werden bis auf weiteres im Zoo Leipzig gehalten und perspektivisch für die artgerechte Fütterung der Raubtiere geschlachtet. Die Verfütterung von geschlachteten Tieren ist grundsätzlich Bestandteil der artgemäßen Ernährung von Raubtieren.“

„Mit der getroffenen Entscheidung wird der EU-Verordnung und gleichermaßen dem Tierschutz entsprochen. Ich bedauere sehr, dass es keine andere Lösung gibt. Wir sind allerdings gezwungen, uns an geltendes Recht zu halten“, erklärt Zoodirektor Prof. Jörg Junhold.

Der Zoo Leipzig will sich gemeinsam mit den betroffenen deutschen und internationalen Zooverbänden auch weiterhin intensiv dafür einsetzen, dass Zoos spezielle Genehmigungen erhalten, die es ihnen ermöglichen, sogenannte invasive Arten auch künftig artgerecht zu halten und den Besuchern nahezubringen.

Die EU-Verordnung zu den invasiven Arten zum Schutz der heimischen Fauna und Flora im Freiland sei grundsätzlich sinnvoll, betont die Zooleitung, jedoch müssten Zoos in die Lage versetzt werden, weiterhin Artenvielfalt zu zeigen und damit ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und ihrem Bildungs-, Artenschutz- und Forschungsauftrag zu entsprechen.

Der am 18. Januar verhandelte Antrag von CDU und SPD zielt zwar darauf, das Dilemma zu lösen. Die Staatsregierung solle sich dafür einsetzen, „dass bei der Umsetzung der EU-Verordnung auf mitgliedsstaatlicher oder regionaler Ebene Ausnahmeregelungen für anerkannte Zoos aufgenommen werden, die eine Haltung der auf der Artenliste genannten invasiven gebietsfremden Tier- und Pflanzenarten ermöglicht“, heißt es darin.

Aber bis so ein Anliegen auch die EU-Ebene erreicht, können Jahre vergehen.

Der Zoo seinerseits sieht den Verband der Zoologischen Gärten (VdZ) als Aktivposten, der sich dafür einsetzt, dass Zoos alle Tierarten weiterhin halten, züchten und transportieren dürfen, welche gemäß der EU-Verordnung als gebietsfremde, invasive Tierarten gelistet werden.

Denn wenn Arten in Europa als invasiv gelten, bedeutet das ja nicht, dass sie in freier Wildbahn nicht im Bestand bedroht sind. Zum Muntjak heißt es auf Wikipedia: „Vermutlich sind viele Arten aufgrund der Zerstörung ihres Lebensraums in ihrem Bestand bedroht. Für die meisten Arten gibt es jedoch zu wenig Daten, um einen genauen Gefährdungsgrad angeben zu können. Neben dem Menschen zählen Tiger, Rothunde, Krokodile und Riesenschlangen zu ihren Hauptfeinden. Muntjaks werden dennoch überwiegend im asiatischen Raum als Delikatesse angeboten. Ihr Fleisch gilt als zart und schmackhaft.“

Nachtrag d. Red.: Nach übereinstimmenden Medienberichten gilt laut EU noch eine Übergangsfrist bis 2. August 2017, in welcher die Tiere noch verkauft werden dürfen. Da es allerdings um eine EU-Verordnung geht, dürfte ein Verkauf nur in einen außereuropäischen Zoo möglich sein. Was der Leipziger Zoo genau unternimmt, ist derzeit noch unklar.

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