Das Plenum des Europäischen Parlaments hat am 7. Mai für die geplante Anpassung der CO₂-Flottengrenzwerte gestimmt. Heißt im Klartext: Die Flottengrenzwerte werden abgemildert. Die Autobauer haben länger Zeit, um ihre Fahrzeuge umweltfreundlicher zu machen. Obwohl sie schon seit Jahren auf Zeit spielen. Und auch die Probleme bei sächsischen Autobauern haben eher nichts mit zu strengen Grenzwerten zu tun. Entsprechend kontrovers waren die Wortmeldungen nach dieser neuerlichen Aufweichung.

CO₂-Flottengrenzwerte für Neuwagen legen fest, wie viel klimaschädliches CO₂ die neu zugelassenen Autos eines Herstellers im Durchschnitt ausstoßen dürfen. Eine „Flotte“ meint dabei alle Pkw, die ein Hersteller wie VW, BMW oder Renault innerhalb eines Jahres neu auf den Markt bringt. Je niedriger der erlaubte Grenzwert, desto klimafreundlicher muss die gesamte Neuwagen-Flotte sein.

Ziel dieser Regelung ist es, die Autohersteller zu sparsameren oder emissionsfreien Fahrzeugen – wie Elektroautos – zu bewegen und so den Klimaschutz im Verkehrsbereich voranzubringen. Dabei zählt der Durchschnitt: Ein emissionsfreies E-Auto kann ein verbrauchsstarkes Modell rechnerisch ausgleichen.

Ziel 2035 bleibt bestehen

Für Matthias Ecke, sächsischer Europaabgeordneter (SPD) und Vollmitglied im Industrieausschuss des Europaparlaments ist es ein vernünftiger Kompromiss.

„Die geplante Anpassung der CO₂-Flottengrenzwerte ist ein vernünftiger Kompromiss. Der Weg zur 100%-Zulassung klimaneutraler Pkw bis 2035 bleibt richtig – und wird mit der heutigen Eilentscheidung des Europäischen Parlaments konsequent fortgesetzt“, sagte er nach der Entscheidung. „In der aktuellen wirtschaftlichen Lage wären kurzfristige Strafzahlungen jedoch eine unnötige Belastung – für Hersteller, Beschäftigte und Standorte. Die Debatten über Arbeitsplatzabbau und Werksschließungen, auch bei uns in Sachsen, machen deutlich, wie angespannt die Situation in der Automobilbranche ist.“

Die Automobilbranche ist im Umbruch. Bisher erfolgreiche Exportmärkte wie China brechen weg. Und jahrelang haben sich die Autobauer darauf verlassen, dass der Staat den Kauf von E-Autos mit Prämien unterstützt.

Für Ecke bedeutet die befristete Entlastung bei Strafzahlungen, dass die Industrie nun den nötigen Spielraum bekommt, „um sich jetzt auf das Wesentliche zu konzentrieren: Innovationen und bezahlbare E-Autos. Gerade in Zwickau und Leipzig haben VW und BMW bewiesen, dass Elektromobilität erfolgreich sein kann – wenn die Bedingungen stimmen. Klar ist: Die Zukunft liegt in der E-Mobilität. Wir gestalten sie mit Augenmaß.“

Zurück zu alter Innovationskraft

Und auch Dirk Panter, Sächsischer Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Klimaschutz, sieht erst einmal die Chance für Sachsens Autobauer, sich auf die veränderten Marktbedingungen einzustellen.

„Die deutsche Automobilindustrie muss wieder zu alter Innovationskraft finden und wettbewerbsfähig Autos bauen – und zwar bei uns in Deutschland. ‚Made in Germany‘ ist international immer noch ein starkes Verkaufsargument. Die heutige Entscheidung aus Straßburg ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Branche“, sagte er.

„Es bleibt bei den Zielen, aber die Flexibilität hilft den Herstellern, ihre Klimaverpflichtungen einhalten zu können. Diese Flexibilität bei gleichbleibenden Zielen ist keine Rolle rückwärts, sondern eine Atempause in Zeiten eines rasanten technologischen Wandels und intensiven Wettbewerbs. Es geht darum, realistisch erfüllbare Rahmenbedingungen zu schaffen, die z.B. auch der sächsischen Automobilindustrie erlauben, weiter Autos in großen Stückzahlen zu bauen.

Die heute angekündigte Lockerung der CO₂-Vorgaben ist hilfreich, doch grundsätzlich müssen wir natürlich auch unsere eigenen Probleme im Freistaat lösen. Daran arbeiten wir u.a. beim heutigen Automobildialog in Zwickau und im kürzlich eingeleiteten Masterplan-Prozess für die besonders betroffene Automobilregion Südwestsachsen.“

Das gefährdet auch die Wettbewerbsfähigkeit der Autobauer

Deutliche Kritik freilich gab es am 9. Mai vom BUND Sachsen. Mit der Entscheidung der, die CO₂-Flottengrenzwerte für Neuwagen drastisch abzuschwächen, werde ein zentrales Klimaschutzinstrument geopfert – langfristig sei dies auch für die Wirtschaft schlecht, die die postfossile Transformation damit weiter verschläft.

„Diese Entscheidung ist ein verheerendes Signal für Klimaschutz und Transformation. Statt klare Leitplanken zu setzen, knickt die Politik erneut vor kurzfristigen Interessen ein. Die Hersteller verlieren den nötigen Innovationsdruck – das gefährdet nicht nur unsere Klimaziele, sondern langfristig auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie“, sagte Professor Felix Ekardt, Vorsitzender des BUND Sachsen.

Die EU-Staaten – mit deutscher Zustimmung – beschlossen am 7. Mai, das ursprüngliche Ziel einer 55-Prozent-Reduktion der CO₂-Emissionen bei Neuwagen bis 2030 auf lediglich 15 Prozent bis 2025 abzusenken. Aus Sicht des BUND ist das verantwortungslos. Besonders enttäuschend ist aus seiner Sicht die ausdrückliche Befürwortung durch Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter (SPD), der die Entscheidung mit „wirtschaftlicher Vernunft” und vermeintlicher „Technologieoffenheit“ rechtfertigte.

„Der Begriff Technologieoffenheit wird hier missbraucht, um überfällige Weichenstellungen zu verhindern“, betonte Ekardt. „Das Ergebnis ist maximale Planungsunsicherheit – für Unternehmen wie für Verbraucher. Wer weiter auf Verbrenner-Technologie setzt, zementiert unsere Abhängigkeit von teuren fossilen Kraftstoffen, finanziert so indirekt weiter fossil basierte Regime und Kriege wie die von Russland und verbaut zukunftsfähige Alternativen.“

Der Verkehrssektor hat noch nicht geliefert

Die Rücknahme der Klimaziele im Verkehrssektor stehe außerdem in eklatantem Widerspruch zu den rechtlichen Verpflichtungen, die der BUND erst 2023 vor Gericht erstritten hat. Mit dem wegweisenden Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg wurde die Bundesregierung zu deutlich mehr Anstrengungen im Klimaschutz verpflichtet – besonders im bislang stark untererfüllten Verkehrssektor.

„Mit ihrer Zustimmung zur Aufweichung der EU-Flottengrenzwerte konterkariert die Bundesregierung ihre eigenen rechtlichen Verpflichtungen zum Klimaschutz“, ergänzt Ekardt. „Es ist nicht hinnehmbar, dass selbst gerichtlich bestätigte Klimaschutzziele bei politischem Gegenwind so einfach über Bord geworfen werden.“
Der BUND Sachsen fordert die Landesregierung deshalb auf, sich künftig entschieden für ambitionierte, verlässliche Klimaschutzstandards im Verkehrssektor einzusetzen. Nur so ließen sich ökologische Verantwortung und wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit in Einklang bringen.

Dabei hat sich der Trend auch auf dem deutsche Automarkt längst gedreht. „Im ersten Quartal 2025 wurden in Deutschland insgesamt 664.571 Pkw neu zugelassen, davon 371.918 Fahrzeuge mit alternativen Antrieben (reiner E-Antrieb, Hybride mit und ohne Stecker sowie Gasantrieb)“, meldete der Verband der internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK) erst am 16. April.

„Während der Pkw-Gesamtmarkt so mit 4,3 Prozent zum Vorjahresquartal im Minus lag, stiegen die Neuzulassungen von alternativen Antrieben um 22,1 Prozent an, bei gleicher Anzahl an Arbeitstagen. Alternative Antriebe machten in dieser Zeit rund 56,0 Prozent aller Neuzulassungen aus, davon entfielen rund 44,9 Prozent auf internationale Marken. Im März lag der Markt für alternative Antriebe mit 25,5 Prozent im Plus, bei 145.189 Neuzulassungen.“

Die Zukunft liegt also eindeutig bei Elektrofahrzeugen. Und Krisenerscheinungen gibt es vor allem dort, wo die Autobauer viel zu lange auf Luxuskarossen mit fossilen Antrieben gesetzt haben, während viele Käufer vergebens auf bezahlbare E-Auto-Modelle für den Alltag gewartet haben.

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